Der Weg zu neuen EU-weit gültigen gesetzlichen Vorgaben – ein Überblick zur EU-MDR
Medizinprodukte werden eingesetzt, um Patienten zu heilen. Darunter gibt es Produkte wie ein einfaches Pflaster, die Patienten im Alltag ganz selbstverständlich selbst einsetzen. Bei einer – ebenfalls noch einfachen – Spritze wird aber schnell klar, dass es Medizinprodukte gibt, die dem menschlichen Körper noch viel näher rücken. Weitergedacht, sind Medizinprodukte zum Beispiel auch Implantate fürs Knie, die sicher in den Körper eingebracht werden und lange darin verweilen sollen, oder gar solche, die ebenfalls implantiert werden und dann aktiv Herz oder Hirn mit elektrischen Impulsen reizen.
Für alle, vom einfachsten Pflaster bis zum komplexen Großgerät wie einem MRT, müssen deren Hersteller schon seit langem gesetzliche Vorgaben erfüllen. In Deutschland sind die Details im Medizinproduktegesetz geregelt. Dieses wiederum setzt europäische Vorgaben um, die in der Medical Device Directive (MDD) zusammengefasst sind.
Was die Richtlinie Medical Device Directive vorschreibt, haben bisher alle Mitgliedsländer der Europäischen Union in nationale Gesetze gegossen. Darin ist unter anderem beschrieben, dass ein Medizinprodukt, das in der EU in Verkehr gebracht wird, bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss. Welche das im Einzelnen sind, hängt davon ab, welche Risiken vom Produkt ausgehen. Je komplexer das Produkt, desto detaillierter die Vorgaben.
Vorgaben hängen von der Risikoklasse ab, zu der Medizinprodukte gehören
Um die Einordnung von Produkten zu erleichtern, werden diese Risikoklassen zugeordnet, wobei die Klasse I die einfachsten Medizinprodukte enthält, die Klasse III die mit dem höchsten Risiko für einen Patienten. Um Medizinprodukte der höheren Risikoklassen auf den Markt zu bringen, muss der Hersteller bisher schon gegenüber einer Benannten Stelle nachweisen, dass sein Produkt alle Anforderungen erfüllt. Dann kann es der Hersteller mit dem CE-Kennzeichen ausstatten. Das ist die Voraussetzung, um das Produkt in der EU anzubieten: es „in Verkehr zu bringen“. Für einfachere Produkte liegt die Verantwortung allein beim Hersteller: Er muss dokumentieren, dass sein Produkt sicher ist, und darf es dann als CE-konform erklären. Gemäß MDD gibt es in ganz Europa etwa 50 Benannte Stellen in vielen verschiedenen Mitgliedsländern.
Doch es steht ein regulatorischer Paradigmenwechsel an: die Medical Device Directive soll durch die Medical Device Regulation ersetzt werden – was auch eine Neuaufstellung der Benannten Stellen erfordern wird.
Um was geht es bei der Medizinprodukteverordnung der EU
Ein Medizinprodukteskandal machte weltweit Schlagzeilen: Ein Hersteller hatte – vereinfacht gesagt – entgegen allen gesetzlichen Vorgaben Werkstoffe für Brustimplantate verwendet, die nicht für die Anwendung in Medizinprodukten zugelassen waren. In der Folge hatten zahlreiche Patientinnen gesundheitliche Probleme.
Damit war die Frage aufgeworfen, ob die gesetzlichen Regelungen für Medizinprodukte streng genug seien. Die Politik hat diese mit Nein beantwortet, und der Prozess einer strengeren Gesetzgebung mit mehr Kontrollmöglichkeiten und mehr Dokumentationspflichten für die Hersteller kam so in Gang.
Das Ziel über allem war, mit der neuen Gesetzgebung – der Medical Device Regulation – mehr Patientensicherheit zu erreichen. Sie sollte nicht als Richtlinie in jedem Land in nationales Recht umgesetzt werden, sondern als Verordnung unmittelbar für jedes Land Gültigkeit haben.
Seit 2017 ist die MDR in Europa in Kraft
Nach vielen vorbereitenden Diskussionen fand der entscheidende Schritt zur Medical Device Regulation, der Verordnung (EU) 2017/745, 2017 statt: am 5. Mai 2017 wurde die EU-MDR veröffentlicht, am 25. Mai 2017 trat sie in Kraft – gleichzeitig übrigens mit der Verordnung zu In-vitro-Diagnostika, kurz auch als IVDR bezeichnet.
Um den Herstellern ausreichend Zeit zu geben, die Neuerungen umzusetzen, wurden Übergangsfristen festgelegt. Diese sollten am 25. Mai 2020 enden, so dass ab dem 26. Mai 2020 die Anforderungen der MDR zu erfüllen gewesen wären.
Doch zwischen 2017 gab es eine Reihe von Veränderungen. Die am weitesten reichende war die Entscheidung, angesichts der kurz vor dem Geltungstermin hereinbrechenden Coronavirus-Pandemie den Geltungsbeginn – grob gesagt – um ein Jahr auf Mai 2021 zu verschieben.
Was verändert die Medical Device Regulation
Die Medical Device Regulation ist ein umfangreiches gesetzliches Regelwerk, das mehrere hundert Seiten umfasst. Darin beschrieben sind Veränderungen, die alle Medizinprodukte betreffen, aber auch solche, die nur für bestimmte Produktgruppen neue Vorgaben bringen.
Seit dem Inkrafttreten im Jahr 2017 werden daher zahlreiche Details und Interpretationsmöglichkeiten diskutiert, die in Guidelines vom Gesetzgeber geklärt werden sollen.
Themen, die alle Medizinprodukte betreffen, sind beispielsweise:
Benannte Stellen und Kapazitätsengpässe
Die EU-MDR erfordert, dass Institutionen, die Medizinprodukte als Benannte Stelle zu prüfen haben, neu bewertet werden. Faktisch heißt das: Jede der unter der MDD aktiven 50 Benannten Stellen muss sich neu aufstellen und die angebotenen Dienstleistungen bewerten lassen, um weiterhin als „Notified Body“ (NB) tätig sein zu können. Dieser Prozess zog sich ab 2017 hin, es gab bis Anfang 2019 (rund ein Jahr vor Ablauf der geplanten Übergangsfristen) keine Benannten Stellen, die ihre Funktion gemäß EU-MDR ausüben durften. Hinzu kam, dass die erste neue Benannte Stelle in Großbritannien ansässig war und im Rahmen der Brexit-Diskussionen nicht klar war, wie sich die Verhältnisse zwischen Großbritannien und der EU weiter entwickeln würden. Eine der ersten Benannten Stellen in Deutschland war TÜV Süd.
Das Problem, das sich daraus für die Hersteller von Medizinprodukten ergab, hatte zwei Hauptaspekte: Zum Einen waren und sind Mitarbeiter knapp, die sich mit den neuen gesetzlichen Vorgaben auskennen. Um diese konkurrieren Hersteller und Benannte Stellen.
Zum anderen sieht sich selbst das aufgestockte Personal bei den Benannten Stellen einem Berg von Arbeit gegenüber. Denn nach Ablauf der Fristen müssen Hersteller alle Medizinprodukte gemäß der EU-MDR in Verkehr bringen – also auch bewährte Produkte erhalten eine neue Bewertung. Und da sich für eine Reihe von Produkten die Zuordnung zur Risikoklasse ändert, sie also höher eingestuft werden, gibt es mehr mehr Produkte, die einer Benannten Stelle vorgelegt werden müssen.
UDI und die Eudamed-Datenbank
Mit der EU-MDR soll ein weltweites System der Medizinproduktekennzeichnung eingeführt werden. Die Idee dahinter: Jedes Produkt trägt eine unverwechselbare Kennzeichnung – als Produkt selbst, auf seiner Verpackung und auch auf der nächsten Verpackungsebene. Sollten zum Beispiel Probleme mit einem Implantat aus einer bestimmten Fertigungscharge auftauchen, wäre es mit diesem System einfach möglich, alle betroffenen Patienten ausfindig zu machen. Die gängige Bezeichnung für das System ist Unique Device Identification oder kurz UDI.
Die Vereinigten Staaten von Amerika sind mit einer UDI-Lösung bereits vor einigen Jahren an den Start gegangen. Im Hintergrund ist dazu eine Datenbank erforderlich, in der die Hersteller ihren Daten in vorgegebener Form hinterlegen.
Eine eigene Datenbank für Europa
Für Europa wird es eine eigene Datenbank geben: Sie wird unter der Bezeichnung Eudamed starten – allerdings waren die Arbeiten daran bis zum Herbst 2019 nicht abgeschlossen. Ende 2019 erging dann der Beschluss, dass die Vorgaben für die UDI-Kennzeichnung erst zu einem späteren Termin zu erfüllen sein sollen.
Für die Hersteller ist UDI eine Herausforderung, da die Daten zu den Produkten im Unternehmen entsprechend vorgehalten werden und an die Datenbank weitergegeben werden müssen. Das kann unter Umständen eine Neuorganisation erfordern. Da die Planungen für das UDI-System schon lange laufen, haben einige Hersteller mit diesem Aspekt der MDR schon früh begonnen.
Was die MDR noch an Neuerungen mit sich bringt
Weitere Neuerungen der MDR betreffen
- die Dokumentation von Daten,
- die Zusammenarbeit mit Zulieferern,
- dieZuordnung von Software in höhere Risikoklassen,
- die Einführung der neuen Klasse Ir für wiederaufbereitbare chirurgische Instrumente oder auch
- die Überwachung der Produkte nach der Markteinführung.
Wann tritt die EU-MDR in Kraft
Seit 2017 war der vorgesehene Termin für den Geltungsbeginn der Medical Device Regulation der 26. Mai 2020. Da es in den drei Jahren Verschiebungen für Teilbereiche gab und vor allem das Corona-bedingte Moratorium die Lage geändert hat, ist es nicht einfach, den Überblick über die relevanten Termine für die jeweilige Gruppe von Medizinprodukten zu behalten.
Eine Zusammenfassung darüber, was sich bei der MDR verschiebt und was bleibt, gibt Dr. Cord Schlötelburg vom VDE.
Was hält die Medizintechnik-Branche von der MDR
Die Medizintechnik-Branche ist gerade in Deutschland geprägt von vielen mittelständischen Unternehmen, für die der wachsende regulatorische Aufwand besonders stark ins Gewicht fällt. Schulungen zur MDR sind daher willkommen. Kleinere Unternehmen haben zum Teil aber auch den Weg gewählt, nicht mehr als Inverkehrbringer von Medizinprodukten tätig zu sein, sondern ihre Rolle allein als Zulieferer definiert. Andere ringen mit Personalengpässen oder schließen sich in Gruppen zusammen, um den Aufwand zu bewältigen. Am ehesten scheint die MDR-Aufgabe für Konzerne lösbar zu sein. Und gelegentlich ist zu hören, dass das erste Audit gemäß MDR weniger schlimm war als vermutet.
Da früher oder später jedes Medizinprodukt den Vorgaben der EU-MDR wird entsprechen müssen, sehen Fachleute eine Gefahr. Manche etablierten oder bewährten Produkte könnten mit der neuen Gesetzeslage vom Markt verschwinden. Das gilt insbesondere für Nischenprodukte, mit denen der Hersteller in überschaubarem Maß im Markt vertreten ist, die aber bei der Einführung der MDR den gleichen Aufwand verursachen würden wie ein Massenprodukt.
Aktuelle Informationen zur Medical Device Regulation:
Das Original – EU-MDR mit Stand vom April 2020:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1600086650817&uri=CELEX:02017R0745-20200424
Über NAKI
Der Nationale Arbeitskreis zur Implementierung der EU-Verordnungen über Medizinprodukte (MDR) und In-vitro-Diagnostika (IVDR) identifiziert Probleme und Fragen im Zusammenhang mit einer sinnvollen Implementierung der beiden Verordnungen. Auch sollen Lösungen dafür entwickelt werden.
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/naki.html