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Über die Klasse Ir nach Medical Device Regulation

EU MDR und die Klasse Ir
Neuzertifizierung für manche chirurgischen Instrumente

Neuzertifizierung für manche chirurgischen Instrumente
Arjan Stok ist als selbständiger Unternehmensberater nach ISO9001 zertifiziert und unter anderem als Referent einer Benannten Stelle für Medizinprodukte tätig Bild: Stoq Managementservice
Wiederverwendbare chirurgische Instrumente | Mit der EU-MDR wird in der Risikoklasse I eine neue Untergruppe eingeführt: die Klasse Ir für wiederverwendbare chirurgische Instrumente. Für Hersteller entsprechender Produkte steht eine Neuzertifizierung an. Unternehmensberater Arjan Stok erläutert, worauf zu achten ist.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Aktualisierung Dez 2019:

MDR: Keine harte Deadline mehr für Medizinprodukte der künftigen Klasse Ir

Herr Stok, warum wurde in der MDR eine Klasse Ir für wiederverwendbare
chirurgische Instrumente eingeführt?

Wiederverwendbare chirurgische Instrumente gehörten bisher der Risikoklasse I an, wurden also als Medizinprodukte mit geringem Risiko eingestuft. Für diese kann der Hersteller selbst die Konformitätserklärung abgeben. In den vergangenen Jahren wurde aber diskutiert, wie man hier zu regelmäßigen Kontrollen kommen kann, die über gelegentliche Besuche von Vertretern des Regierungspräsidiums hinausgehen. Zeitweilig stand sogar die Einstufung in der Klasse 2a zur Debatte. In der EU MDR ist nun als Kompromiss festgeschrieben, dass für die wiederverwendbaren chirurgischen Instrumente die neue Klasse Ir eingeführt wird. Ein Produkt dieser Klasse darf das CE-Kennzeichen nur tragen, wenn eine Benannte Stelle die technische Dokumentation geprüft hat und das Qualitätsmanagementsystem des Herstellers konform zur MDR ist.

Mit welchem Prozedere sind die Abläufe für die neue Klasse Ir vergleichbar?

Man kann das Vorgehen mit dem vergleichen, was wir von den Klassen Im und Is kennen, in die Produkte mit Messfunktion oder Sterilprodukte eingestuft sind. Bei der Klasse Ir geht es vor allem darum, in der technischen Dokumentation nachzuweisen, dass es eine verifizierte Vorschrift für die richtige Aufbereitung des Produktes gibt.

Was bedeutet das für die Hersteller dieser Produkte?

Für sie steht eine Neuzertifizierung an, die bis zum Ende der Übergangsfrist am 26. Mai 2020 vorliegen muss. Nur damit können Produkte nach Ablauf der Frist auf den Markt gebracht werden. Die inhaltlichen Anforderungen haben sich aber nicht verändert: Wer die für die selbst abgegebene Konformitätserklärung erforderlichen Dokumente vorliegen hat, hat das meiste schon erledigt. Wer darüber hinaus freiwillig nach der EN ISO 13485 zertifiziert ist, kennt auch die jährlichen Prüfungen, die ab 2020 auf alle zukommen und von den Benannten Stellen durchgeführt werden. Unternehmen, die da Lücken haben, trifft die Änderung doppelt.

Welche Produkte gehören in die neue Klasse?

Ohne Ausnahme alle wiederverwendbaren chirurgischen Instrumente. Lediglich die wiederverwendbaren elektrochirurgischen Instrumente waren schon in einer höheren Risikoklasse eingestuft und behalten diese Einstufung auch. Sonderreglungen sind nicht vorgesehen: Der Anhang 8, Ziffer 2.3, listet die betroffenen Instrumente auf.

Was müssen die Hersteller jetzt in Angriff nehmen?

Mein Rat ist, so schnell wie möglich alle Unterlagen für die technische Dokumentation zusammenzustellen, die den Benannten Stellen vorgelegt werden müssen. Denn realistischerweise werden die Benannten Stellen, die für die Neuzertifizierung tätig werden müssen, erst gegen Ende 2019 akkreditiert sein. Bis zum Ende der Übergangsfrist im Mai 2020 ist dann nicht mehr viel Zeit. Wer seine Unterlagen nicht beisammen hat, sobald die ersten Benannten Stellen akkreditiert sind, wird wohl länger warten müssen.

Der Mangel an Benannten Stellen, die nach der neuen MDR akkreditiert sind, wird vielfach diskutiert. Welche besondere Situation bietet sich für Produkte der neuen Klasse Ir?

Es ist bisher nicht davon auszugehen, dass es für diese Klasse eine verlängerte Übergangsfrist geben wird. Im Naki wurde diese Frage in der Untergruppe 1 diskutiert, die sich mit Übergangsbestimmungen befasst. Die Antwort zur Frage 10 in der MDR-FAQ-Liste dieser Untergruppe ist eindeutig: Die Konformitätserklärung des Herstellers gilt nicht als Bescheinigung im Sinne von Art. 120 Abs. 2 MDR, da sie keine Bescheinigung einer Benannten Stelle ist. Verlängerte Übergangsfristen sind also nur möglich, wenn Benannte Stellen im Prozess aktiv waren und MDD-Bescheinigungen vorliegen, die über den 26. Mai 2020 hinaus gültig sind. Dieser Fall ist bei der Klasse Ir ganz eindeutig nicht gegeben, da es noch nie entsprechende Bescheinigungen gab.

Warum wäre eine Fristverlängerung wünschenswert?

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass wir eventuell auf einen Versorgungsengpass zulaufen. Wir haben allein in der Region Tuttlingen 300 bis 500 Unternehmen, die wiederverwendbare chirurgische Instrumente anbieten, die nach EU-MDR Anhang IX (Kap. I & III) beziehungsweise Anhang XI(A) und ISO13485 zertifiziert werden müssen. Das Produktspektrum geht dabei zum Teil in die Zehntausende. Auch Anbieter, die außerhalb der EU fertigen, müssen die neuen Voraussetzungen für die CE-Kennzeichnung erfüllen. Es kommt also ein Berg von Aufgaben auf die Benannten Stellen zu. Das alles wird in dem engen Zeitraum zwischen Ende 2019 bis zur aktuell festgelegten Frist im Mai 2020 nicht zu schaffen sein – was übrigens genauso auch seitens der Benannten Stellen geäußert wird. Wenn bei Geltungsbeginn nur sehr wenige Anbieter die Berechtigung haben, ihre Produkte auf dem europäischen Markt zu verkaufen, könnte die Versorgung gefährdet sein. Das wiederum wäre eine Situation, die eventuell zu einer verlängerten Frist führen könnte.

Wie könnte das geregelt werrden?

Zum einen kann jede Regierung in den EU-Staaten eine nationale Sonderregelung nach Artikel 59 treffen, die einzelne Bereiche der EU MDR außer Kraft setzt. Das Problem der Akkreditierung Benannter Stellen betrifft aber alle Länder in der EU. Daher wäre die vielleicht sinnvollere Herangehensweise, dass der Artikel 120 EU-weit geändert und für wiederverwendbare chirurgische Instrumente eine neue Frist für den Übergang festgelegt wird. Das würde zu einer einheitlichen Lage führen, die für alle übersichtlicher wäre als national unterschiedliche Fristen für diese Gruppe von Produkten.

Welche Informationsquellen zur Klasse Ir stehen zur Verfügung?

Bislang ist noch nicht bekannt, welche Benannten Stellen eine Akkreditierung für die Klasse Ir beantragen – das macht Rückfragen bei einer Benannten Stelle fast unmöglich. Medical Mountains hat aber Ende Februar einen Leitfaden herausgegeben, in dem die bisherigen und neuen Regelungen inklusive der geltenden Paragraphen gegenübergestellt sind. Das hilft Unternehmen, strukturiert vorzugehen und die praktische Umsetzung intern rechtzeitig zu gestalten.

Über Medical Mountains: www.medicalmountains.de


Nationaler Arbeitskreis (Naki) zu MDR und IVDR

Für Hersteller, Benannte Stellen, zuständige Behörden, Bundesoberbehörden und alle anderen Rechtsunterworfenen sind MDR und IVDR ab dem 26. Mai 2020 beziehungsweise ab dem 26. Mai 2022 originäres und vorrangiges Recht.

Der vom BMG ins Leben gerufene Nationale Arbeitskreis zur Implementierung der MDR und IVDR, kurz Naki, soll Probleme und Fragen zeigen und die Grundlage für sinnvolle Lösungen schaffen.

Mitglieder im Naki sind:

  • Bundesministerien:
    Gesundheit (BMG), Wirtschaft und Energie (BMWi), Bildung und Forschung (BMBF), Verteidigung (BMVg)
  • Bundesoberbehörden:
    Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Paul-Ehrlich-Institut (PEI), Deutsches Institut für Dokumentation und Information (DIMDI), Robert Koch-Institut (RKI)
  • acht oberste Landesbehörden und die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG)
  • zwölf Herstellerverbände (einschließlich Unternehmen)
  • die Interessengemeinschaft der Benannten Stellen für Medizinprodukte in Deutschland (IG-NB)
  • Vertreter des Handels:
    Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels (Phagro)
  • die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG)
  • der GKV-Spitzenverband
  • das Aktionsbündnis für Patientensicherheit (APS)
  • die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF).

Das BMG berichtet auf den Naki-Seiten über den aktuellen Stand der Diskussion in den Untergruppen. So sind nach der Plenumssitzung Anfang Februar auch FAQ-Listen und Protokolle der einzelnen Untergruppen verfügbar. Fragen zu den Übergangsbestimmungen beispielsweise wurden in der Untergruppe 1 diskutiert, die sowohl einen Bericht als auch FAQ-Listen zur MDR und IVDR bereitgestellt hat.

Mehr Informationen des BMG über den Naki:

http://hier.pro/yEbdP

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