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Bildgebung: Klang der Moleküle nutzen

Bildgebung
Klang der Moleküle hilft der Medizin

Die heutige Medizin kann Verletzungen und Krankheiten heilen, die noch vor wenigen Jahrzehnten bleibende Schäden oder den Tod zur Folge gehabt hätten. Vieles davon verdanken wir nicht-invasiven bildgebenden Diagnoseverfahren wie Ultraschall, CT oder MRT. Wissenschaftler am Helmholtz Zentrum verfolgten einen neuen Ansatz zur Nutzung des photoakustischen Effekts für die biomedizinische Bildgebung.

Dagmar Glashoff-Dedek
Siemens Digital Industries Software, Köln

Alexander Graham Bell entdeckte 1880, dass Moleküle Schall abgeben, wenn sie von Lichtblitzen getroffen werden. Dabei sendet jedes Molekül ein einzigartiges Tonsignal, das auch mit der Wellenlänge des eintreffenden Lichts variiert. Der Effekt wird zur Materialanalyse genutzt, beispielsweise zur Bestimmung der CO2-Konzentration in anderen Gasen. Auf gepulste Laserstrahlen reagieren Moleküle in Weichgewebe mit Ultraschall, der in der medizinischen Diagnose gebräuchlichen Wellenlänge.

Die photoakustische Bildgebung mittels multispektraler photoakustischer Tomographie (MSOT) brachte 2010 vielversprechende Ergebnisse. Daraufhin gründeten zwei Helmholtz-Forscher die Ithera Medical GmbH mit Sitz in München, um praktische medizinische Anwendungen dafür zu finden und aus akademischem Wissen klinische Verfahren und marktfähige Produkte zu machen. Zu den Erfolgsfaktoren des Unternehmens gehört das Verwalten sämtlicher produktbezogener Unterlagen für Entwicklung und Produktion mit der Software Polarion ALM. Dabei handelt es sich um eine Software für das Application Lifecycle Management (ALM) aus dem Siemens Xcelerator-Portfolio, dem umfassenden, integrierten Portfolio von Software, Hardware und Dienstleistungen.

Hohes Potenzial in der Diagnose

MSOT-Geräte von Ithera Medical fügen visuelle Darstellungen der Molekül-Antworten in konventionelle Ultraschallbilder ein. Damit lassen sich Moleküle mit großer Ähnlichkeit unterscheiden, beispielsweise Hämoglobin mit höherer oder niedrigerer Sauerstoffsättigung. Mittels einer einstellbaren Laserquelle nahe am Infrarot lässt sich damit Materie bis 40 mm unter der Oberfläche untersuchen. MSOT kann Serienaufnahmen mit unterschiedlichen Laser-Frequenzen mittels Software-Algorithmen kombinieren. Das macht es zu einem mächtigen Diagnosewerkzeug für viele Anwendungen.

MSOT kann besser als andere Methoden Lymphgefäße visualisieren. Das bringt Vorteile in der Krebsbehandlung, da mit MSOT Lymphknoten nur bei erwiesenem Befall entfernt werden können statt auf Verdacht. Andere lohnende Anwendungsbereiche sind neuromuskuläre Erkrankungen bei Kindern. Dort könnte MSOT ein objektiveres Feststellen des Krankheitsverlaufes ermöglichen als die gebräuchlichen Funktionsprüfungen. „Mittels MSOT lassen sich auch Biomarker für chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa nicht-invasiv feststellen“, sagt Ingmar Thiemann, Vice President Quality Management (QM) and Regulatory Affairs (RA) bei Ithera Medical. „Damit könnte es zum Game Changer werden, denn es kann die Notwendigkeit invasiver Verfahren wie der Endoskopie reduzieren und vielleicht sogar eliminieren.“

Von Forschungsergebnissen zu klinischen Geräten

Das erste Medizinprodukt von Ithera Medical war die Serie MSOT Invision. Mehr als 100 dieser Scanner werden in Laboratorien in aller Welt für die biomedizinische Forschung an Kleintieren verwendet. Seit 2014 entwickeln die Ingenieure bei Ithera Medical Systeme für Anwendungen in der Humanmedizin. Am weitesten entwickelt sind die für verschiedene Tiefen und Auflösungen optimierten Raster Scan Optoacoustic Mesoscopic (RSOM) Explorer für die hochauflösende Bildgebung und MSOT Acuity Echo für tieferes Eindringen in das Gewebe.

MSOT Acuity Echo trägt seit 2021 das CE-Zeichen als Medizingerät. Das Gerät wird bisher ausschließlich in der klinischen Forschung verwendet, denn es verfügt noch über keine Zulassung für die Verwendung bei bestimmten klinischen Indikationen. Ein Schritt auf dem Weg zur Erlangung dieser Zertifizierung ist die multizentrische internationale Euphoria-Studie, bei der mehrere Universitäten und Kliniken MSOT für die Diagnose entzündlicher Darmerkrankungen nutzen.

Eingebettet in ein Netzwerk von Entwicklungspartnern nutzt Ithera Medical für seine Diagnosegeräte kundenspezifisch angepasste Hardware für Laser, Ultraschall und Elektronik. Das Entwickeln von Bildverarbeitungsalgorithmen ist eine Kernkompetenz des Unternehmens. Deren Implementierung in Software-Code erfolgt gemeinsam mit externen Partnern.

Dokumentationsintegrität auch bei Zertifizierungen gefragt

Ithera Medical muss die Erfordernisse für ein umfassendes Qualitätsmanagementsystem für das Design und die Herstellung von Medizinprodukten nach ISO 13485 erfüllen. Bereits 2012 begann das Unternehmen mit einem voll digitalen Prozess zur Erlangung der Qualifikation nach ISO 13785. „Nach der europäischen Medizinprodukte-Verordnung EU 2017/745 müssen alle Unterlagen leicht auffindbar und durchsuchbar sein“, betont Thiemann.

Ithera Medical nutzt Polarion ALM als Plattform für die Applikationsentwicklung. Die Experten für die photoakustische Diagnose wandten sich an Avasis Solutions. Der Technologie- und Implementierungspartner von Siemens Digital Industries Software ist auf Lösungen auf Basis von Polarion ALM für medizinische Aufgaben spezialisiert. Zu diesen gehören Anwendungen für das Anforderungsmanagement, Risikoanalysen und -überprüfungen sowie ein auf die Bedürfnisse von Medizingeräteherstellern zugeschnittenes Qualitätsmanagement.

Diese Software ist nun integraler Teil des Qualitätsmanagementsystems (QMS) von Ithera Medical. Beinahe alle 50 Mitarbeiter in Deutschland und den USA haben Zugriff auf das System. Damit verwalten sie sämtliche produktbezogenen Unterlagen für Entwicklung und Produktion. Dazu gehören auch Dateien zur Entwicklungshistorie, Device Master Records, Qualitäts- und Risikomanagement-Informationen sowie Bedienbarkeits-Spezifikationen und klinische Evaluierungsdaten. Zudem erstellen sie durch einfaches Konfigurieren der Software, ohne Kompromisse bei der Nachvollziehbarkeit, eigene Applikationsmodule.

Polarion ALM und das ERP-System bei Ithera Medical können mittels Representational State Transfer (REST) APIs Daten austauschen. Als kleines Unternehmen am Beginn einer langen Reise von Forschung und Entwicklung zu serienreifen Produkten brauchte Ithera Medical eine Lösung, die mitwachsen kann. „Polarion ALM bildet eine solide Basis für ein effizientes Entwicklungsinformationsmanagement“, bestätigt Thiemann. „Damit verringerten wir den Zeitaufwand für Datensuchen um über 65 Prozent.“

Digitales Datenmodell hilft, Audits zu bestehen

Die europäische Medizinprodukte-Verordnung (MDR) EU 2017/745 für die klinische Untersuchung und das Inverkehrbringen von Geräten für die Humanmedizin ersetzt die frühere EU Medizingeräte-Direktive (MDD) und muss bis 2024 implementiert werden. Bis dahin muss die gesamte Dokumentation beiden Normen entsprechen. Das macht die intelligente Wiederverwendung der existierenden Dokumentation erforderlich.

Thiemann ist Teil einer Initiative zur Definition eines einheitlichen, voll digitalen Datenmodells für Medizingeräte unter Verwendung so genannter Medical Device Knowledge Units. Realisiert werden können diese mit Polarion Work Items. Das schafft Durchgängigkeit der Information über Dokumente hinweg. Wie beim Instanziieren von Objektklassen in der objektorientierten Softwareentwicklung können Polarion Work Items nach einmaliger Änderung in allen Instanzen aktualisiert werden.

Ithera Medical nutzte Polarion Work Items für die Wiedereinreichung einer MDD-konformen Datei. Diese wurde in kurzer Zeit aus einer MDR-konformen Dokumentation abgeleitet. „Die Möglichkeiten von Polarion für Wiederverwendung und Anpassung ersparen uns Kosten und erhöhen die Erfolgswahrscheinlichkeit von Einreichungen“, ist Thiemann überzeugt. „Das ist entscheidend für behördliche Genehmigungen in anderen Märkten wie China, Japan, Brasilien und den USA.“

Als besonders hilfreich erwies sich das beim Bestehen von zwei Audits nach ISO 13485 während kritischer Phasen der Covid-19-Pandemie. Mittels Polarion ALM konnte Ithera Medical die für das Erstellen einer konformen Dokumentation benötigte Zeit signifikant verkürzen. „Mit herkömmlichen Methoden bedeutet die Dokumentation Arbeit für zwei zusätzliche Personen und zusätzlich bei jedem Audit einige Beanstandungen“, sagt Thiemann. „Wir werden voraussichtlich die Markteinführungszeit um 40 Prozent von fünf auf drei Jahre reduzieren.“

www.siemens.com/polarion-alm
www.ithera-medical.com


Weitere Informationen

Zu den Software-Spezialisten:
www.plm.automation.siemens.com

Zu den Experten für photoakustische Bildgebung:
www.ithera-medical.com

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