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Nicht-invasive Hirnstimulation: Gegen Depression und Schmerzen

Neurostimulation
Transkranielle Hirnstimulation: Lindernde Reize durch die Schädeldecke

Transkranielle Hirnstimulation: Lindernde Reize durch die Schädeldecke
Prof. Dr. Andrea Antal leitet die Arbeitsgruppe „Noninvasive Brain Stimulation Lab“ in der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Göttingen, UMG (Bild: Litha Fotodesign)
Mit der nicht-invasiven Gehirnstimulation lassen sich verschiedene Erkrankungen behandeln. Forscher sehen Möglichkeiten, wie die Therapie weiterentwickelt werden kann. Wünsche an die Gerätehersteller und an den Gesetzgeber erläutert Prof. Andrea Antal von der Universitätsmedizin Göttingen.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Frau Prof. Antal, wie verbreitet ist die nicht-invasive Gehirnstimulation heute?

Die Stimulation bestimmter Gehirnareale von außen ist seit vielen Jahren bekannt und bietet Vorteile. Allerdings wird sie bisher hauptsächlich in der Forschung und im Rahmen von Studien eingesetzt. Da die Krankenkassen die Kosten nicht übernehmen, haben Patienten nur im Rahmen privat finanzierter Therapien Zugang dazu.

Für wen ist die Therapie von Nutzen?

Es gibt Patienten mit Depressionen oder Schmerzerkrankungen, die auf klassische Behandlungen nicht ansprechen oder die Einnahme von Medikamenten wegen Nebenwirkungen ablehnen. Hier können wir mit der nicht-invasiven Gehirnstimulation helfen – mit einer Erfolgsrate von rund 70 Prozent, was ähnlich dem ist, was wir bei manchen Krankheiten mit Medikamenten beobachten. Des weiteren ist die Behandlung für Menschen interessant, die Anzeichen von Demenz erkennen lassen. Deren Entwicklung lässt sich durch die Stimulation verlangsamen.

Wie sieht die Behandlung aus?

Wir untersuchen zunächst die Pathologie. Gibt es bei einem depressiven Patienten zum Beispiel eine niedrige kortikale Erregbarkeit links frontal, suchen wir anhand von Studien ein passendes Behandlungsprotokoll. Das wird über mehrere Wochen täglich für etwa 20 Minuten angewendet. Dabei können wir mit der Magnetstimulation gezielt in einem Bereich vorgehen oder mit elektrischen Reizen einen größeren Bereich zwischen zwei Elektroden ansprechen. Für die Magnetstimulation nutzen wir in der Vorbereitung bildgebende Verfahren, um die Geräte auf zwei bis drei Zentimeter genau zu platzieren.

Wie zeigt sich, ob die Therapie hilft?

Die beobachteten Symptome sowie zum Beispiel EEG-Untersuchungen vor und nach der Behandlung zeigen, ob diese in die richtige Richtung geht. Wobei man klar sagen muss: Wir lindern Symptome. Eine Heilung ist so nicht möglich. Aber eine schmerzfreie Phase ist für viele Patienten ein großer Erfolg.

Fördermittel für Hirnstimulation und BCI mit Quantensensoren

Wie gut sind Wirkungsweise und Risiken schon bekannt?

Die häufig auftretenden Erkrankungen wie Depressionen oder Schmerzen zum Beispiel durch Fibromyalgie sind gut erforscht. Dafür gibt es eine Reihe von Protokollen. Risiken können sich ergeben, wenn im Kopfbereich metallische Implantate wie ein Hörgerät oder Sonden vorhanden sind – dann ist die nicht-invasive Hirnstimulation als Therapie nicht geeignet. Auch unfallbedingte Fehlstellen im Schädelknochen sind ein Thema, ebenso Herzschrittmacher oder eine Epilepsie. Zu möglichen Nebenwirkungen zählen Müdigkeit, Kopfschmerzen oder ein Muskelzucken. Und wenn zu viel Strom fließt, gibt es eine Schmerzreaktion in der Haut.

Gehören die Geräte in die Hände erfahrener Mediziner?

Während der Corona-Pandemie haben wir nach Möglichkeiten gesucht, eine Behandlung zu Hause zu ermöglichen. Wir haben dafür Geräte soweit wie möglich programmiert und genaue Instruktionen gegeben. Da sehe ich allerdings noch Verbesserungspotenzial.

Was sollten die Geräte können?

Den perfekten Stimulator habe ich noch nicht gesehen, alle haben Vor- und Nachteile. Für den Einsatz zu Hause wäre es hilfreich, zum Beispiel Maximalwerte vorzugeben. Der Patient sollte festgelegte Abstände zwischen den Behandlungen auch nicht unterschreiten können. Die Kombination mit Apps wäre super, und wir würden gern Geräte sehen, mit denen wir sowohl Gleichstrom- als auch Wechselstromstimulation ausführen können. Mehr als zwei Elektroden anschließen zu können, wäre interessant, wenn ein größeres Areal behandelt werden soll. Darüber hinaus würde ich mir Elektrodenhalter wünschen, die es dem Patienten einfach machen, die Elektroden am Kopf selbst fehlerfrei zu platzieren – ich denke da an eine Art Kappe, die eine Stimulation nur an bestimmten Stellen zulässt. Aber da stellt uns die Medical Device Regulation in der EU vor Probleme.

Implantat könnte Medikamente ersetzen

Inwiefern schränkt die die EU-MDR die Weiterentwicklung ein?

Es gibt Geräte, die als Medizinprodukte zertifiziert sind, mit der Zweckbestimmung für die Depression zum Beispiel. Für eine klinische Studie zu neuen Einsatzmöglichkeiten so eines Gerätes ist gemäß MDR ein Antrag erforderlich, der viel Aufwand an Zeit, Geld und Dokumentation mit sich bringt. Ohne klinische Studien – und davon gibt es noch nicht genug in unserem Bereich – haben die Gerätehersteller aber Probleme, ihre Produkte zu zertifizieren. Wir könnten eine Menge mehr tun. Es gibt zum Beispiel Ideen, wie wir die Stimulation von außen in größere Tiefen bringen könnten, ohne die äußeren Bereiche des Gehirns zu überreizen. Aber die MDR hat die regulatorischen Hürden immens vergrößert. Da sind die USA weiter und kommen auch schneller voran – sowohl was die Erstattung von Behandlungskosten als auch die Weiterentwicklung der Therapie angeht, die dann schneller zu Resultaten führt.

Neurotechnologie soll bei psychischen Erkrankungen helfen

Mit elektrischen Reizen arbeitet auch die Tiefe Hirnstimulation, für die feine Elektroden im Gehirn implantiert werden. Bei welchen Erkrankungen gibt es eventuell Überschneidungen zur Ihrer Arbeit?

Auch wenn es jeweils um Gehirnstimulation geht, muss man diese beiden Therapieoptionen deutlich trennen. Die Stimulation über implantierte Elektroden lässt sich erfolgreich einsetzen bei schwer erkrankten Patienten, für die es keine anderen Therapieoptionen gibt. Nur in diesen Fällen geht man die Risiken ein, die sich aus Narkose, OP und möglichen Infektionen ergeben können. Was wir anbieten, ist interessant – wenn Medikamente oder sonstige Therapien nicht helfen, sich ein operativer Eingriff aber nicht begründen ließe.

Sichere neuronale MMI

Welche Perspektive sehen Sie mittelfristig für die nicht-invasive Gehirnstimulation?

Ich glaube, dass wir einer großen Zahl an Patienten helfen könnten. Dafür müsste die Therapie aber bei niedergelassenen Ärzten bekannter sein.


Weitere Informationen

Mehr über die Arbeitsgruppe Noninvasive Brain Stimulation Lab (NBS-Lab) in Göttingen.

http://hier.pro/mD0Gi


Die Patientin wird mit Magnetfeldern behandelt – die Spule dafür platziert die Therapeutin über dem Kopf
(Bild: Universitätsmedizin Göttingen/NBS Lab)

Nicht-invasive Gehirnstimulation

Magnetfelder oder elektrische Felder können das zentrale Nervensystem von außen beeinflussen. Bei der nicht-invasiven Gehirnstimulation wirken sie transkraniell, also durch die Schädeldecke hindurch, und sollen einzelne Bereiche des Gehirns gezielt stimulieren. Das Ziel: unteraktivierte Gehirnareale zu reaktivieren oder überaktivierte Areale zu hemmen.

Behandeln lassen sich damit verschiedene Erkrankungen des Gehirns wie beispielsweise Depression, Demenz oder die Fibromyalgie, bei der der gesamte Körper schmerzt. Die Behandlung kann alternativ zur medikamentösen Therapie mit Psychopharmaka oder auch anstelle von Physiotherapie und kognitivem Training eingesetzt werden.

Bei der transkraniellen elektrischen Stimulation (TES) werden zwei Elektroden an der Oberfläche des Kopfes befestigt. Durch diese wird ein kurzer Stromimpuls geschickt. Bei der Transkraniellen Magnetstimulation (TMS) befindet sich eine Magnetspule über dem erkrankten Bereich.

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