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Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung laut MDR, Annex XVI

Vorgaben für Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung
Annex XVI: EU-MDR ist nicht nur für Medizinprodukte relevant

Annex XVI: EU-MDR ist nicht nur für Medizinprodukte relevant
Brustimplantate können sowohl Medizinprodukte sein – wenn sie zum Beispiel nach einer Tumoroperation implantiert werden – als auch Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung. Letzteres gilt, wenn ein solches Implantat aus ästhetischen Gründen eingesetzt wird (Bild: xy/stock.adobe.com)
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Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung waren von bisherigen EU-Regularien nicht erfasst. Mit dem Annex XVI in der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) ändert sich das: Die Auflagen sind ähnlich streng wie bei Medizinprodukten. Benannte Stellen können die Konformität dieser Produkte prüfen – aber Hersteller müssen den EU-Konformitätsnachweis aktiv vorantreiben.

Christian Götz, Dr. Jara Brenke
Tüv Süd Product Service, München

Die 2017 beschlossene EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, kurz EU-MDR) hat viele Neuerungen gebracht. Dazu gehört unter anderem, dass im Annex XVI ganze Produktgruppen neu aufgenommen wurden, die als „Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung“ bezeichnet werden. Gemeint sind Produkte oder Geräte, die aus ästhetischen Gründen verwendet werden, wie farbige Kontaktlinsen oder Laser-Applikationen für die Haut, zum Entfernen von Tattoos oder Haaren. Auch so genannte Dual-Use-Produkte, die sowohl eine medizinische als auch eine nicht-medizinische Zweckbestimmung haben, fallen unter den Annex XVI. Geräte zur Fettabsaugung oder körperformende Implantate aus Silikon ließen sich hierunter einordnen. Brustimplantate beispielsweise kommen sowohl bei der Brustrekonstruktion nach einer Krebs-OP zum Einsatz als auch zu Verschönerungszwecken.

Annex XVI: Hersteller von Produkten ohne medizinische Zweckbestimmung oft überrascht

Vorgestellt wurde der Annex XVI bereits Anfang 2022, zum Jahresende wurden ergänzende Verordnungen veröffentlicht. Daher gilt inzwischen: Die MDR sieht auch für die Produkte aus dem Annex XVI eine Prüfung nach den Vorgaben der Verordnung vor.

Der Hintergrund: Die Anwendung solcher Produkte am oder im Körper führte in der Vergangenheit zu teils schweren medizinischen Komplikationen. Denn viele Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung sind ihren Verwandten unter den Medizinprodukten in puncto Funktion, Risikoprofil und Anwendung sehr ähnlich. So kam es nach Anwendung zum Beispiel zu Nekrosen, Augenentzündungen oder sogar Erblindung. Deshalb hat die EU-Kommission gehandelt und den Verbraucherschutz mit der Erweiterung der MDR verbessert.

Viele Hersteller müssen nun also für ihre im Annex XVI aufgeführten Produkte die gleichen grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen erfüllen wie für reguläre Medizinprodukte – und sind von dieser Entwicklung überrascht worden. Für nicht wenige von ihnen war der EU-Konformitätsnachweis absolutes Neuland.

Konformitätsnachweis für Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung: Erstmal Strukturen schaffen

Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang: Hersteller sollten sich bewusst sein, dass sie in jedem Fall von sich aus eine Benannte Stelle kontaktieren müssen, die die Konformität mit der MDR bewerten und bestätigen kann. Es ist also mit einem beachtlichen Andrang bei solchen Anfragen zu rechnen. Doch bevor es an die Überprüfung der Konformität geht, müssen Hersteller einige Hausaufgaben erledigen. So muss beispielsweise eine technische Dokumentation über das Produkt erstellt werden. Außerdem ist eine klinische Bewertung erforderlich: Bei klinischen Studien müssen die Hersteller dann auf die Expertise von Prüfärzten oder anderen klinischen Prüfern oder Prüfzentren zurückgreifen. Ein innerbetriebliches Qualitätsmanagement-System ist ebenfalls vorgeschrieben.

Medical Device Regulation: Was für die Klinische Bewertung gefordert wird

Auch nach Inverkehrbringen des Produkts gibt es Pflichten wie die Post Market Surveillance. Diese fordert, Produkte nach Markteintritt fortlaufend zu überwachen und zu bewerten, um die Sicherheit der Verbraucher dauerhaft zu gewährleisten. Ein Versicherungsschutz muss vorhanden sein, um bei Haftungsfällen abgesichert zu sein. Diese betriebsinternen Prozesse und Maßnahmen aufzusetzen, ist zwingend erforderlich. Ist das nicht im Vorfeld passiert, wird es zu Verzögerungen kommen. Das Produkt kann dann keinen Umsatz generieren, da es erst einmal nicht verkauft werden darf.

Common Specifications: Was zusätzlich zur MDR gilt

Neben den Anforderungen, die schon in der MDR formuliert sind, gelten für die Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung zusätzlich die so genannten Common Specifications. Sie betreffen in erster Linie das Risikomanagement und die Sicherheitsinformationen.

In insgesamt sieben Anhängen der EU-MDR sind Bedingungen für die Zulassung der Produkte beschrieben, die im Annex XVI aufgelistet sind. Da die Common Specifications eine Vielzahl unterschiedlichster Produkte mit unterschiedlichsten Anwendungsgebieten betreffen, hat es bis zur Freigabe dieser Anforderungen durch die EU im Dezember 2022 länger gedauert als erhofft – und solange die Spezifikationen fehlten, konnten keine davon betroffenen Produkte bewertet werden.

Frühzeitig handeln – Wartezeiten durch Annex XVI-Vorgaben  verkürzen

Hinzu kommt, dass die Common Specifications bereits zwanzig Tage nach der Veröffentlichung im Dezember 2022 in Kraft getreten sind. Unternehmen, die bei den regulären Anforderungen durch die MDR noch Nachholbedarf haben, setzte das zusätzlich unter Druck. Darüber hinaus gelten die spezifischen Anforderungen nicht nur für neue Produkte, sondern auch für Bestandsprodukte. Und auch für Dual-Use-Produkte – die sowohl als Medizinprodukte als auch als Annex-XVI-Produkte eingesetzt werden – benötigen Hersteller neben der regulären Zertifizierung gemäß MDR zusätzlich eine Genehmigung, in der belegt wird, dass die Common Specifications erfüllt werden – wohlgemerkt für ein und dasselbe Produkt.

Noch komplizierter wird es bei Produkten aus dem Annex XVI, bei denen ein Medikament integraler Bestandteil ist. Hier wird die Bewertung durch eine zuständige Behörde zur Zulassung des Wirkstoffes benötigt, was die Wartezeit bis zur finalen Zertifizierung nochmals verlängern kann.

Das wichtigste: Wegen Annex XVI Kontakt mit einer Benannten Stelle aufnehmen

Zwar räumt die EU-Kommission den Herstellern Übergangsfristen ein, deren Dauer von vielen Faktoren abhängt. Doch die Warteschlangen bei Benannten Stellen sind jetzt schon lang. Daher empfiehlt es sich, die Zertifizierung der unter Annex XVI aufgeführten Produkte sobald wie möglich vorzubereiten – mit Informationen aus dem Internet, Webinaren, Checklisten und Best Practice Guidelines.

Mehr Informationen von Tüv Süd zu Annex XVI, darunter ein Podcast-Link:
http://hier.pro/nLjyD


Kontaktlinsen in unterschiedlichen Farben sind ein Beispiel für Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung
(Bild: stryjek/stock.adobe.com)

Produktgruppen im Annex XVI der EU-MDR

Folgende Produkte aus dem gesundheitlichen Bereich sind im Annex XVI der EU-MDR aufgeführt:

  • Kontaktlinsen oder andere zur Einführung in oder auf das Auge bestimmte Artikel. Dazu gehören auch Kontaktlinsen in unterschiedlichen Farben.
  • Produkte, die durch chirurgisch-invasive Verfahren zum Zweck der Modifizierung der Anatomie oder der Fixierung von Körperteilen vollständig oder teilweise in den menschlichen Körper eingeführt werden. Ein Beispiel sind Silikonimplantate. Ausgenommen davon sind Tätowierungen und Piercings.
  • Produkte, die als Haut- oder Schleimhautfüller mittels Injektionen in den Körper eingebracht werden. Diese werden auch als Dermal Filler bezeichnet.
  • Geräte, die bei der Fettabsaugung zum Einsatz kommen und deren Ziel es ist, Fettgewebe zu entfernen, zu reduzieren oder zu zersetzen.
  • Für die Anwendung am menschlichen Körper bestimmte Geräte, die hochintensive elektromagnetische Strahlung, kohärentes und nicht kohärentes Licht sowie monochromatisches Licht und Licht im Breitbandspektrum abgeben. Dazu gehören zum Beispiel Laser, die bei der Tattoo- oder Haarentfernung verwendet werden.
  • Geräte zur transkraniellen Stimulation des Gehirns durch elektrischen Strom oder magnetische beziehungsweise elektromagnetische Felder, die die neuronale Aktivität im Gehirn ändern.

Wie groß der Markt für Produkte dieser Art ist, zeigt ein Blick auf den Wellness-Sektor. Die Nachfrage zum Beispiel für ästhetische Körperverschönerungen verzeichnet ein stetiges Wachstum. Und damit steigt auch die Anzahl der dort nachgefragten, vertriebenen und eingesetzten Produkte.


Kontakt:
TÜV SÜD Product Service GmbH
Ridlerstraße 65
80339 München

www.tuvsud.com

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