Startseite » Medizintechnik »

Was ist eine Benannte Stelle für Medizinprodukte?

Benannte Stelle für Medizinprodukte
Was ist eine Benannte Stelle oder ein Notified Body gemäß EU-MDR?

Was ist eine Benannte Stelle oder ein Notified Body gemäß EU-MDR?
Bevor ein Medizinprodukt in der EU auf den Markt gebracht werden darf, muss der Hersteller bewerten, ob das Produkt mit geltendem Recht konform ist. Oft spielt dabei eine Prüfung durch eine Benannte Stelle eine Rolle (Bild: HNFOTO/stock.adobe.com)
Was ist eine Benannte Stelle und was sind ihre Aufgaben im Zusammenhang mit Medizinprodukten? Dieser Artikel gibt einen Überblick darüber, was eine Benannte Stelle gemäß der EU Medizinprodukteverordnung (EU-MDR) prüft und wie die Konformitätsbewertung grob abläuft.

Anke Biester
Fachjournalistin in Memmingen

Grundsätzlich sind Benannte Stellen privatwirtschaftliche Prüforganisationen. So wie der TÜV oder die Dekra in Deutschland Autos auf ihre Straßentauglichkeit hin überprüfen, prüfen die Benannten Stellen, ob ein Produkt den gesetzlichen Bestimmungen der EU entspricht, also gesetzeskonform ist. Das wird auch als Konformitätsbewertung bezeichnet. Benannte Stellen gibt es für verschiedene Bereiche, wie zum Beispiel Fahrstühle, Pyrotechnik, Eisenbahnfahrzeuge und vieles mehr. Und es gibt sie für Medizinprodukte, um die es in diesem Artikel geht.

Damit eine Organisation als Benannte Stelle tätig und damit Anlaufstelle für die Hersteller von Produkten sein kann, muss sie von einem EU-Staat autorisiert sein („notified“ auf Englisch, daher die häufige Bezeichnung als notified body).

Die Verfahren, nach denen eine Benannte Stelle Produkte prüft und bewertet, sind in der gesamten EU einheitlich. Dementsprechend gelten die Prüfungsbefunde einer Benannten Stelle auch EU-weit. Hersteller können sich also EU-weit an eine Benannte Stelle ihrer Wahl wenden – sofern diese für das jeweilige Produkt autorisiert ist.

Aufgaben einer Benannten Stelle

Fährt man mit seinem Auto zum TÜV, schaut eine Fachkraft sich das Fahrzeug an und prüft zum Beispiel die Bremsen und die Lichter. Im Gegensatz dazu prüfen die Experten einer Benannten Stelle jedoch meist nicht das Medizinprodukt selbst. Das müssen die Hersteller selbst übernehmen. Was sie dabei alles betrachtet und berücksichtigt haben, müssen sie in einem Konformitätsbewertungsverfahren belegen.

Die Benannte Stelle prüft dann vereinfacht gesagt, ob der Hersteller dieses Verfahren richtig umgesetzt hat. Ist das der Fall, bescheinigt die Benannte Stelle die (Gesetzes-)Konformität des Produkts. Der Hersteller darf dann das CE-Kennzeichen auf seinem Produkt anbringen und hat damit die Anforderungen erfüllt, um sein Produkt auf dem EU-Markt in Verkehr zu bringen.

Nun gibt es für Medizinprodukte verschiedene Risikoklassen: Je größer das Gefährdungspotenzial eines Produktes ist, desto höher ist die Klasse, zu der es gehört. Je nach Risikoklasse eines Medizinprodukts fordert die EU-MDR unterschiedliche Module für das Konformitätsbewertungsverfahren.

Was ist die Medical Device Regulation – kurz EU-MDR?

Module für die Konformitätsbewertung von Medizinprodukten

So ein Modul kann beispielsweise sein:

  • eine Technische Dokumentation anzulegen,
  • jedes produzierte Produkt zu prüfen,
  • einzelne Baumuster vorzulegen,
  • klinische Daten zu erstellen und/oder
  • ein Qualitätsmanagement zu etablieren

(Quelle: https://lexparency.de/eu/MDR/ANX/)

Die Benannten Stellen prüfen für die Zertifizierung zuerst, ob der Hersteller die für sein Produkt richtigen Module gewählt hat, und dann die jeweiligen Module selbst. Des Weiteren haben sie das Recht, unangekündigte Audits durchzuführen, um beim Hersteller dessen Qualtitätsmanagementsystem (QMS) zu überwachen.

Audit-Checkliste von Medical Mountains

In puncto Strenge der Prüfung nehmen sich die unterschiedlichen Benannten Stellen nach Angaben des Johner-Instituts in Konstanz übrigens nichts. Das Johner Institut unterstützt Medizinprodukte-Hersteller bei der effizienten Entwicklung ihrer Produkte und dem Aufbau von QM-Systemen. Auf der Website heißt es auch, dass es unabhängig von der Strenge durchaus Preisunterschiede bei den Benannten Stellen gebe.

(Quelle: https://www.johner-institut.de/blog/tag/benannte-stellen/)

Wie läuft die Zertifizierung von Medizinprodukten gemäß EU MDR ab?

Für viele Produkte der niedrigsten Risikoklasse I kann der Hersteller das Konformitätsbewertungsverfahren ohne eine Benannte Stelle durchführen. Er zertifiziert sich quasi selbst.

Für die Zertifizierung gemäß der EU MDR prüft der Hersteller, ob sein Produkt alle Anforderungen der MDR erfüllt. Das Verfahren selbst besteht, wie oben beschrieben, aus einem oder mehreren Modulen und ist nicht allein abhängig von der Risikoklasse des Medizinproduktes, sondern auch von dessen besonderen Merkmalen (Artikel 52 der MDR).

Die Einteilung in Risikoklassen nimmt der Hersteller wiederum über die Zweckbestimmung des Produkts vor. Bei der Zuordnung hat sich mit der MDR einiges im Vergleich zur vorher gültigen Medical Device Directive geändert.

(Quelle: https://health.ec.europa.eu/system/files/2020–09/md_manufacturers_factsheet_de_0.pdf)

Leitfaden hilft bei der medizinischen Zweckbestimmung

Doch auch innerhalb der Risikoklasse I gibt es Unterschiede und Unterklassen. Haben Produkte der Risikoklasse I

  • eine Messfunktion (Klasse Im),
  • den Zusatz „steril“ (Klasse Is) oder
  • sind „wiederverwendbare chirurgische Instrumente“ (Ir)

müssen die Hersteller – ebenso wie bei Produkten der höheren Risikoklassen II und III – eine Benannte Stelle in ihr Konformitätsbewertungsverfahren einbeziehen.

Neuzertifizierung für manche chirurgischen Instrumente

(Quelle: https://www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/Ueberblick/Basisinformationen/Konformitaetsbewertung/_artikel.html)

Bewertung bei Medizinprodukten der Risikoklasse I

Hier sind noch einmal die Verfahrensweisen gegenübergestellt:

Risikoklasse 1:
Der Hersteller erstellt eine Technische Dokumentation und bewertet sowie bescheinigt selbst die Konformität. Er muss keine Benannte Stelle hinzuziehen.

Risikoklasse 1m, 1s und 1r:
Der Hersteller benötigt eine Produktionsqualitätssicherung (siehe Anhang XI der MDR, Teil A). Dazu gehört auch eine Technische Dokumentation (gemäß der Anhänge II und III). Die Benannte Stelle auditiert das Qualitätsmanagementsystem, das der Hersteller für die Produktion verwendet.

ODER:
Der Hersteller hat ein Qualitätsmanagementsystem (QMS), zu dem auch eine Technische Dokumentation gehört (gemäß der Anhänge II und III). Die Benannte Stelle auditiert dann das gesamte QMS, aber beschränkt auf spezielle Aspekte.

Entsprechend aufgegliedert sind auch die Vorgaben für Produkte der höheren Risikoklassen IIa und IIb sowie III.

(Quelle: https://www.vde.com/topics-de/health/beratung/konformitaetsbewertung-bei-medizinprodukten)

Für die Risikoklassen Is, Im, Ir, II und II schreibt die MDR den Einsatz eines Qualitätsmanagementsystems (QMS) vor. Die Anforderungen an das QMS sind jedoch unterschiedlich. Das kann bei der Wahl der Konformitätsbewertungsverfahren eine wichtige Rolle spielen.

Hat sich der Hersteller für ein Verfahren entschieden, empfiehlt beispielsweise der VDE, sich aus den QMS-relevanten Vorgaben in der MDR eine komplette Anforderungsliste zum QMS zu erstellen und diese Punkt-für-Punkt abzuarbeiten. (Quelle: https://www.vde.com/topics-de/health/beratung/vde-detailsseite-standard)

Benannte Stellen und die EU-MDR – einheitliche Regeln in Europa

Mit der europaweit gültigen Medizinprodukterichtlinie (MDR) legt die EU fest, dass Medizinprodukte in all ihren Mitgliedsstaaten die gleichen Anforderungen an Sicherheit und Qualität erfüllen müssen.

Aus Sicht der Benannten Stelle: Zu viele Unklarheiten für die Medical Device Regulation

Daher gibt es für die gesamte EU einheitliche Regeln, nach denen alle Benannten Stellen prüfen. Das erleichtert den Herstellern den Zugang zum gesamten europäischen Markt. Denn es gilt: Wenn eine Benannte Stelle in einem Mitgliedsstaat das Zertifikat für ein Medizinprodukt ausstellt, darf dieses in allen Mitgliedsstaaten in Verkehr gebracht werden.

Wie wird eine Institution in Europa zur Benannten Stelle

Jeder Staat in der EU kann mehrere Benannte Stellen haben, die wiederum verschiedene Medizinprodukte oder Produktkategorien bearbeiten. Ist eine Prüforganisation – nach einem entsprechenden Antrag – als Benannte Stelle in einem Staat zertifiziert, wird diese Zertifizierung im zentralen Register New Approach Notified and Designated Organisations (Nando) eingetragen. Andere Mitgliedsstaaten der EU haben so die Gelegenheit, der Benennung zu widersprechen. Erfolgt kein Widerspruch, ist die Benennung abgeschlossen. Das zentrale Register ist über das Internet einsehbar.

Jeder Hersteller von Medizinprodukten kann sein Konformitätsbewertungsverfahren EU-weit bei einer passenden Benannten Stelle prüfen lassen.

Benannte Stellen außerhalb der EU

Die EU hat Abkommen mit einigen Ländern abgeschlossen, um den Handel mit ihnen zu erleichtern. In diesen Drittländern übernehmen so genannte „conformity assessment bodies“ (CABs) die Aufgaben einer Benannten Stelle vor Ort – und ermöglichen damit den Zugang zum EU-Markt. CABs gibt es in Australien, Japan, Kanada, Neuseeland, Schweiz und den USA.

Für die Medizinprodukte-Zulassung in Japan den richtigen Partner suchen

(Quellen:
https://webgate.ec.europa.eu/single-market-compliance-space/#/notified-bodies/by-country
https://www.zlg.de/medizinprodukte/konformitaetsbewertungsshystellen-fuer-drittstaaten)

Benannte Stellen außerhalb der EU – Sonderfall Großbritannien

Ein Sonderfall ist Großbritannien. Durch den Brexit gehört es nicht mehr zur EU. Bereits seit Januar 2021 hat das Land eine eigene UKCA-Kennzeichnung mit eigenen Benannten Stellen. Diese Stellen erkennt die EU nicht an. Hersteller aus Großbritannien müssen daher ihre Produkte von einer Benannten Stelle in einem EU-Land zertifizieren lassen.

Umgekehrt müssen Hersteller, die nach Großbritannien liefern wollen, sich über die dortigen Benannten Stellen zertifizieren lassen. Doch es gibt eine Übergangsfrist: Bis Juni 2025 gelten in Großbritannien neben den neuen UKCA- auch noch die CE-Kennzeichnungen.

(Quelle: https://www.bsigroup.com/de-DE/medical-devices/Globaler-Marktzugang/marktzugang-uk-ukca/)

Zusammenarbeit zwischen Medizinprodukte-Herstellern und Benannten Stellen

Für eine erfolgreiche Zertifizierung müssen Medizinprodukte-Hersteller und Benannte Stelle eng zusammenarbeiten. Der Umfang an Dokumenten, die der Hersteller dabei zur Hand haben muss, ist hoch. Viele Hersteller benötigen für ihre Produkte ein zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem – das sie in vielen Fällen erst auf die Beine stellen und/oder zertifiziert lassen müssen. Sie sollten daher frühzeitig Kontakt zu einer Benannten Stelle aufnehmen, um Unklarheiten im frühen Stadium zu beseitigen.

EU-Austritt der Briten bringt mehr Bürokratie und eine neue Produktkennzeichnung für Medizinprodukte

Auch unangekündigte Audits können jederzeit kommen, für die alle erforderlichen Unterlagen griffbereit sein müssen.

TÜV Süd erhält Zulassung als UK Approved Body (UKAB) für Medizinprodukte

(Quelle: https://health.ec.europa.eu/system/files/2020–09/md_manufacturers_factsheet_de_0.pdf)

Wer kontrolliert die Benannten Stellen?

Bis der Staat eine Benannte Stelle autorisiert, muss diese selbst einen anspruchsvollen Zertifizierungsprozess durchlaufen. In Deutschland prüft und zertifiziert die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) die Benannten Stellen. Das Zertifikat gilt für maximal fünf Jahre. Die ZLG prüft jährlich die Benannten Stellen und führt dazu auch unangekündigte Audits durch.

(Quelle: https://www.zlg.de/medizinprodukte/benennung-von-zertifizierungsstellen/anerkennung-als-zertifizierungsstellen)

Benannte Stellen und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)

Kommen in einem Medizinprodukt Arzneimittel zum Einsatz, ziehen Benannte Stellen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hinzu. Das BfArM übernimmt vereinfacht gesagt den Prüfteil, in dem es um die Sicherheit der Arzneimittel geht.

(Quelle: https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Zulassung/Zulassungsverfahren/Nationales-Verfahren/ablauf_konsult_verfahren.html)

Unsere Whitepaper-Empfehlung
Aktuelle Ausgabe
Titelbild medizin technik 5
Ausgabe
5.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Titelthema: 6G in der Medizin

6G in der Medizin: Vitalparameter in Echtzeit überwachen

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Aktuelles Webinar

Multiphysik-Simulation

Medizintechnik: Multiphysik-Simulation

Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de