Alarm! Ein Patient mit Herz- und Atemwegsproblemen nutzte zuhause ein fortschrittliches Beatmungsgerät mit drahtloser Herzüberwachung. Ein entfernt gelegenes medizinisches Zentrum überwachte seinen Zustand und erhielt Alarmmeldungen. Offensichtlich Fehlalarme, denn Anrufe beim Patienten zeigten, dass es ihm gut ging. Obwohl der Hersteller sorgfältige Analysen durchführte, ließen sich weder Hardware- noch Softwarefehler feststellen. Die Lösung brachte der Zufall: Beim Hausbesuch bemerkte eine Krankenschwester ein eigenartiges Geräusch im Radio, während im selben Moment ein Alarm ausgelöst wurde. Nach weiteren Untersuchungen stellte sich heraus, dass ein Industrieunternehmen in der Nähe ein Hochleistungsschweißgerät mit unzureichender Schirmung im Gebrauch hatte. Die dadurch abgestrahlten hochfrequenten Wellen beeinflussten den Sensor-Schaltkreis für die Patientenüberwachung und lösten die Alarme aus.
Elektromagnetische Einflüsse müssen überdacht werden
Dieses Beispiel mag anekdotenhaft klingen, ist aber eines von vielen, die die medizintechnische Industrie veranlassen, die Problematik elektromagnetischer Beeinflussungen zu überdenken – um sicherzustellen, dass ihre Produkte reibungslos und sicher funktionieren. Seit 2010 wächst die Zahl der vernetzten Geräte, und die drahtlose Übertragung im medizinischen Umfeld nimmt zu. Gleichzeitig steigt die Zahl der Berichte über Fehlalarme, sporadische Fehler und Fehlfunktionen. In vielen der bekannt gewordenen Fälle war es außerordentlich schwierig, den Grund für die Fehlfunktion ausfindig zu machen – wobei man oft auf Funkstörungen als Ursache stieß. In den USA registriert die FDA solche Fehlfunktionen in einer zentralen Datenbank namens „Maude“, die eine stark steigende Zahl an EMV-Problemen dokumentiert.
Je mehr Produkte Funksignale aussenden, desto schwieriger wird es für die Hersteller medizinischer Geräte, deren ordnungsgemäßen Betrieb sicherzustellen. Auch die Anbieter von Netzteilen müssen zukünftig durch eigenständige Tests nachweisen, dass der drahtlose Datenaustausch in der Umgebung keine negativen Einflüsse auf ihre Stromversorgungen für medizinische Anwendungen hat – insbesondere für medizinische Anwendungen außerhalb des Klinik- oder Praxisumfeldes, also im Home-Healthcare-Bereich.
Das korrekte Vorgehen in Fragen der elektromagnetischen Verträglichkeit beschreibt die IEC 60601-1-2 in der 4. Edition (2014). Sie enthält eine Reihe von Änderungen gegenüber der Vorgängerversion, einschließlich neuer Anforderungen an die Störfestigkeit und zuverlässige Risikoanalyse für die Medizingeräte.
Vorrangiges Ziel der 4. Edition ist es, sicherzustellen, dass lebensrettende medizinische Behandlungen nicht durch EMV-Phänomene gestört werden. Auch Hersteller von Netzteilen haben diese Aspekte vor Augen, wenn sie neue Lösungen für medizintechnische Anwendungen oder für das medizinische IoT entwickeln.
Gekapselte Geräte wären
keine ideale Lösung
Die Geräte komplett in einem abgeschirmten Metallgehäuse zu kapseln, wäre eine Möglichkeit, aber nicht zielführend, da zu teuer, zu schwer und zu unflexibel. Daher haben sich Netzteilhersteller auf die Entwicklung neuartiger Technologien konzentriert, und erste Schaltnetzteile mit so genannter in-sich-geschlossener Störaussendung erscheinen auf dem Markt. Ihre Störpegel liegen im Durchschnitt um 15 dB unterhalb des vorgeschriebenen Pegels der EN 55011 Klasse B – das gilt im gesamten Frequenzbereich von 30 MHz bis 1 GHz. Niedrige Störpegel sind vor allem dann wichtig, wenn die Netzteile zusammen mit sehr empfindlichen Sensoren betrieben werden sollen. Die Reduzierung von Störungen, im Extremfall bis nahezu hin zur „Null-Abstrahlung“, wird neue Technologien und Konzepte erfordern.
IoT-Geräte werden zukünftig auch in der medizinischen Welt häufiger eingesetzt. Die Power-Industrie ist daher gefordert, die Grundlagen elektromagnetischer Beeinflussung und Koexistenz zu überdenken. Für Netzteilentwickler eröffnet sich damit ein spannendes Feld für technische Innovationen.
IEC 60601-1-2:2014: Stichtag Ende 2018
Die vierte Edition der IEC 60601-1-2:2014 ist bereits veröffentlicht. Seit April 2017 ist dieser Standard in den USA für neue Produkte zwingend vorgeschrieben.
In Europa wird das Ende der 3. Edition im Zeitraum 2017-2018 erwartet. Der ursprüngliche Stichtag für die verbindliche Gültigkeit der EN 60601-1-2:2015 war für den 31. Dezember 2018 vorgesehen. Das endgültige Datum muss noch im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden.
Die wichtigsten Änderungen in Kürze:
- Anwendungsumgebung: In der vierten Edition beziehen sich die Anforderungen auf den Einsatzort des Equipments (professionelle Umgebung wie im Krankenhaus, häusliche Umgebung oder spezielle Umgebungen in Industrie- oder Militärgebieten oder in der Nähe medizinischer Hochleistungsgeräte)
- Die vierte Edition führt neue Definitionen ein: So ist mit dem „Intended use“ ausschließlich der medizinische Einsatz gemeint, mit dem „Normal use“ werden auch Transport, Wartung und Standby eingeschlossen
- Die Grenzwerte für die EMV Tests werden nicht mehr abhängig vom Gerätetyp, sondern hinsichtlich der Einsatzumgebung und des damit verbundenen Risikos definiert. Laut Punkt 6.2 müssen Hersteller im Vorfeld einen Testplan oder eine Risikoanalyse anfertigen und an ein EMV-Testlabor übermitteln.
- Unter Berücksichtigung der zum Teil außergewöhnlichen Gegebenheiten in den „speziellen Umgebungen“ können andere Störfestigkeitspegel zugelassen werden als im professionellen oder häuslichen Umfeld. Diese müssen jedoch bereits in der Entwicklungsphase in enger Abstimmung mit dem Endkunden definiert werden.
- Für das medizinische Equipment wird eine EMV-Risikoanalyse verlangt, die auch ein Statement des Netzteilherstellers beinhaltet. Dieser muss sich zu den zu erwartenden Risiken durch elektromagnetische Störungen äußern. Entsprechende Tests beinhalten neue Frequenzen und verschiedene Pegel, abhängig von der Kategorie.
- Die Testspannungen für den ESD-Test wurden erhöht. So sind nun für die Kontaktentladung 8 kV statt 6 kV und für die Luftentladung 15 kV statt 8 kV einzuhalten. Bei leitungsgeführten Störgrößen in den ISM-Bändern beträgt der Störfestigkeitspegel nun 6 V.
- Da immer mehr Geräte drahtlos Daten übertragen und die Leistung dieser Signale zunimmt, ist in definierten Frequenzbändern bis 6 GHz mit Pegeln von bis zu 28 V/m eine Störfestigkeitsprüfung neu hinzugekommen. Sie ist für alle Produkte vorgeschrieben.
- Insgesamt besteht eine sehr geringe Flexibilität, niedrigere als die in der Norm festgelegten Störfestigkeitspegel zuzulassen. Anhang „E“ beschreibt den Prozess, wie Störfestigkeitspegel zu ermitteln sind. Um die Hersteller beim Erstellen ihrer Testpläne zu unterstützen, wurde zusätzlich eine „Guideline“ im Anhang „G“ der Norm aufgenommen.
Über den Hersteller
Seit seiner Gründung im Jahre 1974 versorgt Powerbox mit der Zentrale in Schweden und Niederlassungen in 15 Ländern Unternehmen aus der Industrie, Medizintechnik, Bahn- und Verkehrstechnik sowie Militärtechnik mit Produkten für die Stromversorgung.