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Neue Perspektiven für die Medizin

Generative Fertigung: Dreidimensionale Strukturen – sogar aus Biomaterialien
Neue Perspektiven für die Medizin

Neue Perspektiven für die Medizin
Dipl. Ing. Ralf Schumacher ist Dozent und Wissenschaftler am Institut für Medizinal- und Analysetechnologien IMA der Hochschule für Life Sciences – Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW in Muttenz
Generative Verfahren in der Medizintechnik werden zur Messe Metav bei der Sonderschau Metal meets Medical zu sehen sein. Ralf Schumacher befasst sich seit 15 Jahren mit diesem Thema und erläutert, wie der 3D-Druck die Arbeit im OP verändert hat und verändern wird.

Herr Schumacher, welche Haupteinsatzgebiete gibt es für den 3D-Druck in der Medizin?

Bohrschablonen sind für Knie- und Hüftoperationen sowie im Dentalbereich inzwischen Standard. Sie helfen dem Arzt, das, was er am Computer geplant hat, am Patienten umzusetzen. Auch generativ gefertigte Knochenersatzprodukte werden heute eingesetzt. Von Standard kann man hier aber nicht sprechen. Es gibt sowohl Alternativen beim Behandlungsverfahren als auch bei der Wahl des Herstellverfahrens und des Materials. Daher stehen die dreidimensional gedruckten Konstrukte im Wettbewerb mit anderen Lösungen, und es wird die Frage nach Kosten und Nutzen gestellt. Dabei liegt der 3D-Druck nicht immer vorn.
Welche 3D-Druck-Verfahren sind derzeit die wichtigsten in der Medizintechnik?
Es gibt mehrere, die für Medizinprodukte verschiedener Klassen relevant sind. Für Operationen am Knie werden die schon erwähnten patientenindividuellen Bohrschablonen aus Polyamiden über das Lasersintern hergestellt. Im Dentalbereich spielen Schablonen aus UV-aushärtenden Acrylaten eine Rolle. Diese Materialien könnte man zwar nicht als Implantate einsetzen, da sie vom Körper nicht vertragen werden und auch nicht sterilisierbar sind. Für die kurze Einsatzdauer als Schablone im Mund sind sie aber gut geeignet. Strukturen für metallische Implantate werden über das Laser- oder Elektronenstrahlschmelzen erstellt. Diese Verfahren führen ohne potenziell schädliche Additive zu komplexen und festen Teilen, wie sie unter anderem für den Ersatz von Hüfte oder Knie gebraucht werden.
Wie groß ist die Auswahl an herkömmlichen Werkstoffen bisher?
Es gibt eine Reihe von Metalllegierungen und Kunststoffen, die sich mit 3D-Druck verarbeiten lassen. Auch hochdichte technische Keramiken werden verwendet, selbst Kalziumphosphat – also Bio-Keramik – liefert im 3D-Druck beachtliche Ergebnisse. Ein großes Potenzial sehe ich allerdings bei technischen hochfesten Kunststoffen – angesichts des breiten Spektrums an Materialien und Prozessen werden sich hier sicher interessante Möglichkeiten für den 3D-Druck auftun.
Für metallische Implantate wurden Unterschiede in der Belastbarkeit von konventionell und generativ gefertigten Teilen diskutiert. Ist das noch ein Thema?
Die Diskussionen dauern an. Man muss allerdings sagen, dass sich mit dem Elektronenstrahl sehr feste Strukturen erzeugen lassen. Und wenn Metallpulver mit Laserstrahlen geschmolzen werden sollen, lassen sich auch Eigenschaften erreichen, die mit denen konventionell gefertigter Teile vergleichbar sind. Man muss allerdings gegebenenfalls das Design anpassen oder das Bauteil nachbehandeln, was einen gewissen Mehraufwand bedeutet. Generative Verfahren können und müssen also weiterentwickelt werden.
Im Dentalbereich sind individuelle Ersatzteile längst Standard. Kann sich das in anderen Bereichen der Medizin überhaupt durchsetzen, wird das Implantat eines Tages während der OP im Nebenraum gefertigt?
Das wird seit langem diskutiert – und die Situation zu Beginn der Osteosynthese war davon nicht weit entfernt. Bevor es standardisierte Knochenplatten gab, hatten die Operateure keine andere Möglichkeit, als ein Metallteil während der Operation anzupassen und bei Bedarf gleich ändern zu lassen. Im Zeitalter der 3D-Daten könnte eine Art mobiler Werkstatt, die beim Krankenhaus vorfährt und die 3D-Daten eines Patienten bekommt, erforderliche Teile ebenfalls an Ort und Stelle fertigen. Technisch sind wir längst soweit. Grenzen setzen die Regeln für die Zulassung. Einfach etwas herzustellen, zu reinigen und in den Patienten zu bringen, ist nicht erlaubt. Bevor wir hier vorankommen, müssten detaillierte Überlegungen zur Prozesskette und zu den Vorgaben für eine Zulassung angestellt werden.
Sind denn ganz neue Arbeitsweisen im OP-Umfeld überhaupt denkbar?
Warum nicht? Es gibt viele Richtungen, in die man philosophieren könnte. Angesichts des Kostendrucks im Gesundheitswesen und der festgelegten Zeiten für Standardoperationen könnte ich mir sogar vorstellen, dass ein neues Berufsbild entsteht. Vielleicht erleben wir in Zukunft den Medizinproduktemonteur, der über weniger medizinisches Wissen verfügt als ein Arzt, sich dafür aber sehr gut mit dem Einsetzen von Implantaten und der Verwendung der Bohrschablonen auskennt. In diesem Szenario hätte der Arzt immer noch die Verantwortung und würde Daten und Vorgaben liefern. Das Handwerkliche aber wäre Aufgabe des Spezialisten. Ich gehe davon aus, dass das kommen wird.
Was ist die Perspektive für den 3D-Druck?
Verfahren für die Herstellung von Scaffolds, also offenporiger dreidimensionaler Strukturen, in die der lebende Knochen einwachsen soll, sind gerade im Entstehen, und das Pro und Contra wird lebhaft diskutiert. Und in jüngerer Zeit wurde auch biologisch aktives Material wie Knorpel- oder Gewebezellen mit 3D-Druckverfahren in Struktur gebracht. Da steht die Forschung aber noch ganz am Anfang.
Welche Entwicklung ist für Sie derzeit die Spannendste im Bereich 3D-Druck?
Spannend sind zum Beispiel Mikrostrukturen an Implantaten, die man mit generativen Verfahren gleich bei der Fertigung erstellt. Die Arbeit mit lebenden Zellen hat für den 3D-Druck auch einen besonderen Reiz. Und den Gedanken an dreidimensionale Strukturen, die wir auf der Ebene von Atomen und Molekülen erstellen könnten, finde ich sehr faszinierend.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Über das Institut für Medizinal- und Analysetechnologien IMA der Hochschule für Life Sciences: www.fhnw.ch/ima

3D-Druck auf der Metav
Auf der Messe Metav wird vom 11. bis 15. März in Düsseldorf wieder die Sonderausstellung „Metal meets Medical“ zu sehen sein. Im Rahmen der Kooperation zwischen der Messe Erfurt und dem VDW wird sie um Aussteller ergänzt, die das Segment der generativen Fertigung abdecken. So sollen die Möglichkeiten für die Medizintechnik umfassend vorgestellt werden, um den Besuchern einen Ausblick auf die zukünftigen Technologien zu ermöglichen. Dabei geht es sowohl um generativ gefertigte Medizinprodukte wie Implantate, OP-Schablonen oder Prothesen als auch um die Fortschritte beim Umgang mit 3D-Schichtbildern, Rekonstruktionsmethoden, (Bio-)Materialien und deren Verarbeitung. In unmittelbarer Nachbarschaft spannt die „Rapid.Area“ den Bogen weiter, über die Medtech-Branche hinaus, und zeigt auf 100 m² die Prozesskette der generativen Fertigung – vom Entwurf bis zum Produkt.

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