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Luftige Cellulose aus dem 3D-Drucker

3D-Druck
Luftige Cellulose aus dem 3D-Drucker

Ultraleicht, wärmeisolierend und biologisch abbaubar: Aerogel aus Cellulose ist vielseitig einsetzbar. Forschende bringen das Naturmaterial nun mittels 3D-Druck in komplexe Formen. Das macht personalisierte medizinische Implantate möglich und Präzisionsisolation in der Mikroelektronik.

Biologisch abbaubare Materialien, Tinten für den 3D-Druck und Aerogele haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Alle drei sind aber zukunftsträchtig. „Grüne“ Materialien belasten die Umwelt nicht, mit dem 3D-Drucker lassen sich ohne Materialverschwendung komplexe Strukturen herstellen, und die ultraleichten Aerogele sind ausgezeichnete Wärmeisolatoren. Empa-Forschenden aus der Schweiz ist es nun gelungen, all diese Vorteile in einem einzigen Material zu vereinen. Und ihr Cellulose-basiertes, 3D-druckbares Aerogel kann sogar noch mehr.

Entstanden ist das Wundermaterial unter der Federführung von Deeptanshu Sivaraman, Wim Malfait und Shanyu Zhao aus dem Empa-Labor „Building Energy Materials and Components“. Sie arbeiteten zusammen mit den Laboren „Cellulose & Wood Materials“ und „Advanced Analytical Technologies“ sowie dem Zentrum für Röntgenanalytik. Bereits 2020 hatten Zhao und Malfait gemeinsam mit weiteren Forschenden ein Verfahren entwickelt, um Silica-Aerogele zu drucken.

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Nanopartikel aus Cellulose

Keine triviale Aufgabe: Silica-Aerogele sind schaumartige Werkstoffe, offenporig und brüchig. Bis jetzt war es kaum möglich gewesen, sie in komplexe Formen zu bringen. „Es war der logische nächste Schritt, unsere Drucktechnologie auch auf mechanisch robustere biobasierte Aerogele anzuwenden“, sagt Zhao.

Als Ausgangsstoff wählten die Forschenden das häufigste Biopolymer auf der Erde: Cellulose. Aus diesem pflanzlichen Material lassen sich mit einfachen Verarbeitungsschritten unterschiedliche Nanopartikel gewinnen. Zwei Arten solcher Nanopartikel – Cellulose-Nanokristalle und Cellulose-Nanofasern – nutzte Doktorand Deeptanshu Sivaraman zur Herstellung der 3D-Druckertinte für das Bio-Aerogel.

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Aerogel aus Cellulose: Gutes Fließverhalten dank über 80 Prozent Wasser

Das Fließverhalten der Tinte ist beim 3D-Druck entscheidend: Sie muss ausreichend dickflüssig sein, um vor der Aushärtung eine dreidimensionale Form halten zu können. Zugleich sollte sie sich aber unter Druck verflüssigen, damit sie überhaupt durch die Druckerdüse fließen kann. Mit der Kombination aus Nanokristallen und Nanofasern gelang Sivaraman genau das. Die langen Nanofasern verleihen der Tinte eine hohe Viskosität, die eher kurzen Kristalle sorgen dafür, dass sie scherverdünnend reagiert, also beim Drucken kurzzeitig flüssig wird.

Insgesamt enthält die Tinte rund 12 % Zellulose – und 88 % Wasser. „Wir konnten die benötigten Eigenschaften alleine mit Cellulose erreichen, ohne jegliche Zusätze und Füller“, sagt Sivaraman. Das ist nicht nur eine gute Nachricht in puncto biologische Abbaubarkeit des fertigen Aerogels, sondern auch für seine wärmeisolierenden Eigenschaften. Denn damit aus der Tinte nach dem Drucken ein Aerogel werden kann, ersetzen die Forschenden das Lösungsmittel Wasser in den Poren zuerst durch Ethanol und schließlich durch Luft – und zwar ohne das gedruckte Objekt zu verformen. „Je weniger Feststoff die Tinte enthält, desto poröser ist das resultierende Aerogel“, erklärt Zhao.

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Stabilität des Aerogels lässt sich richtungsweise einstellen

Diese hohe Porosität sowie die geringe Größe der einzelnen Poren machen alle Aerogele zu äußerst effektiven Wärmeisolatoren. Beim gedruckten Cellulose-Aerogel haben die Forschenden aber eine besondere Eigenschaft festgestellt: Es ist anisotrop. Das heißt, seine Festigkeit und seine Wärmeleitfähigkeit sind richtungsabhängig.

„Die Anisotropie entsteht teilweise durch die Ausrichtung der Nanocellulose-Fasern und teilweise durch den Druckprozess selbst“, sagt Malfait. Somit können die Forschenden steuern, in welcher Achse das gedruckte Aerogel-Stück besonders stabil oder besonders isolierend sein soll. Solche präzise isolierenden Bauteile könnten beispielsweise in der Mikroelektronik zum Einsatz kommen, wo Wärme nur in eine bestimmte Richtung geleitet werden darf.

3D-Druck von Cellulose hat großes Potenzial in der Medizintechnik

Obwohl es beim ursprünglichen Forschungsprojekt, das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanziert wurde, überwiegend um Wärmeisolation ging, sahen die Forschenden schnell ein weiteres Anwendungsgebiet für ihr druckbares Bio-Aerogel: die Medizin.

Da es aus reiner Cellulose besteht, ist das neue Aerogel biokompatibel mit lebendem Gewebe. Seine poröse Struktur ist in der Lage, Medikamente aufzunehmen und sie dann über längere Zeit im Körper freisetzen. Und der 3D-Druck bietet die Möglichkeit, exakte Formen herzustellen, die etwa als Gerüste für Zellwachstum oder als Implantate dienen könnten.

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Empa-Forschende haben ein 3D-Druckverfahren für biologisch abbaubares Cellulose-Aerogel entwickelt
(Bild:Empa )

Besonders vorteilhaft: Das gedruckte Aerogel lässt sich nach dem Trocknungsvorgang mehrmals rehydrieren und wieder trocknen, ohne seine Form oder seine poröse Struktur zu verlieren. Bei Praxisanwendungen würde das die Handhabung erleichtern: Das Material könnte in trockener Form gelagert und transportiert und erst kurz vor der Verwendung wieder mit Wasser versetzt werden.

Im trockenen Zustand ist es nicht nur leicht und handlich, sondern auch weniger anfällig für Bakterien. Das es bereits trocken ist, besteht im Gegensatz zu anderen Materialien auch keine Gefahr der Austrocknung. „Wenn man das Aerogel mit Wirkstoffen versetzen will, kann dies im letzten Rehydrierungsschritt unmittelbar vor der Anwendung geschehen“, sagt Sivaraman. „Dann riskiert man nicht, dass das Medikament mit der Zeit oder bei falscher Lagerung an Wirksamkeit verliert.“

Wirkstoffabgabe aus 3D-gedruckten Cellulose-Aerogelen denkbar

Mit Wirkstoffabgabe aus Aerogelen beschäftigen sich die Forschenden auch in einem Folgeprojekt – vorerst mit weniger Fokus auf 3D-Druck. Shanyu Zhao arbeitet gemeinsam mit Forschenden aus Deutschland und Spanien an Aerogelen aus weiteren Biopolymeren, etwa Algin (aus Algen) und Chitosan (aus dem Chitin von Algen und Krustentieren).

Wim Malfait will unterdessen die Wärmeisolation von Cellulose-Aerogelen weiter verbessern. Und Deeptanshu Sivaraman hat seine Doktorarbeit abgeschlossen und arbeitet inzwischen beim Empa-Spin-off Siloxene AG, welches Hybridmoleküle auf Siliziumbasis entwickelt.

Kontakt:
Empa (www.empa.ch)
Building Energy Materials and Components

Dr. Wim Malfait
E-Mail: wim.malfait@empa.ch
Dr. Shanyu Zhao
E-Mail: shanyu.zhao@empa.ch
https://doi.org/10.1002/advs.202307921

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