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Integrierte Photonik bringt auch der Medizintechnik Vorteile

Energieeffizienter Datenverkehr
Integrierte Photonik: Licht für den Datenfluss

In der Photonik  wird Licht zur Informationsübertragung verwendet. Die Kombination von komplexer Elektronik und miniaturisierter Photonik auf einem Chip ermöglicht nun völlig neue Systeme für die Signalverarbeitung und Kommunikation: Durch höhere Datenraten entstehen Anwendungen für die Sensorik bis hin zu den Quantentechnologien. Die Medizintechnik profitiert davon ebenfalls durch die Entwicklung neuer Lösungen für die Diagnostik.

Susanne Schwab
susanne.schwab@konradin.de

Elektrolyte wie Natrium, Kalium, Calcium, Chlorid sowie der pH-Wert spielen im menschlichen Körper eine wichtige Rolle. Ob bei Nierenerkrankungen, Herzinsuffizienz, Alkoholvergiftung oder Diabetes mellitus – für die medizinische Diagnose vieler Erkrankungen ist es deshalb unerlässlich, den Elektrolythaushalt zu überprüfen. Ist etwa die Natriumionen-Konzentration zu gering, können Hirnzellen anschwellen und ein Koma verursachen. Aktuell verwendete Messgeräte benötigen für jeden Elektrolyten einen separaten Messfühler. Um alle Fühler überströmen zu können, ist eine bestimmte Menge Blut erforderlich. Hierfür reicht das Blutvolumen, das von Kleinkindern oder älteren Patienten entnommen werden kann, oft nicht aus.

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Ein im Projekt Option entwickelter photonischer Sensorchip mit acht Sensorkanälen in der Materialplattform Siliziumnitrid
(Bild: leto digital Leontopoulos)

An die Aufgabe, dafür eine Lösung zu entwickeln, machten sich Experten aus Medizin, Fluidmechanik, Oberflächenchemie, Photonik und Elektronik der Eschweiler GmbH & Co. KG aus Kiel, der Scienion AG, Berlin, der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Fraunhofer-Instituts für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut HHI, Berlin, und schlossen sich im Projekt „Option“ zusammen. Ihr Ziel: Ein neues Messprinzip aus der Photonik erforschen und vorantreiben, das die präzise Analyse von sehr kleinen Blutmengen ermöglicht. Außerdem wollten die Forschenden ein Gerätekonzept entwickeln, mit dem sich Endanwender auch in schwer erreichbaren Gebieten schnell und unkompliziert auf verschiedene Gesundheitsparameter testen können.

Optischer Sensor erkennt kleinste Abweichungen

„Man darf sich das wie einen einfachen Blutzuckertest vorstellen“, erklärt Projektleiter Jakob Reck vom Fraunhofer HHI: „Ein Piks – und der kleine Tropfen, der an der Fingerbeere austritt, reicht aus, um umgehend alle relevanten Parameter zu bestimmen.“ Dafür werden Mikroring-Resonatoren als photonische Sensoren eingesetzt. Die hoch empfindlichen integrierten Wellenleiter basieren auf Siliziumnitrit und werden direkt in den Reinräumen des Fraunhofer HHI hergestellt. Die Wellenleiter bilden einen Ring, in dem das nahinfrarote Licht mit sich selbst und der Umgebung interagieren kann.

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Jakob Reck arbeitet als Wissenschaftler am Fraunhofer Heinrich Hertz Institut und arbeitete am Forschungsprojekt Option mit daran, einen für den Endanwender einfach zu handhabenden photonischen Sensor zu entwickeln
(Bild: Fraunhofer HHI)

Wenn nun ein Analyt auf diesem Ring angelagert wird, verschieben sich dessen effektiver Brechungsindex und seine optische Resonanz. „Der Ring wird verstimmt, im Prinzip wie eine Gitarrensaite“, verdeutlicht Reck. „Wenn ein Analyt auf den Ring, sprich die Saite trifft, verändert sich der Ton. Und diese Gitarrensaiten können wir in der Photonik extrem empfindlich gestalten – für eine entsprechend klare Signalgebung und Analytik.“ Die spezifische Zuordnung des Signals eines Sensors zu einem Elektrolyten gewährleistet die Funktionalisierung der Sensoroberfläche: Die Experten von Scienion belegten die Ring-Resonatoren dafür mit speziellen Fängermolekülen. Nur der Analyt, der adressiert wird, kann sich mittels Schlüssel-Schloss-Prinzip an einem Ring festhalten und beeinflusst so das Lichtfeld am Wellenleiter. Da bereits kleinste Abweichungen in den optischen Eigenschaften gemessen werden können, werden selbst minimale Stoffmengen mit hoher Genauigkeit detektiert.

Eigene Mikrofluidik für die funktionalisierten photonischen Sensoren

Für die funktionalisierten photonischen Sensoren wurde an der Berliner Charité eine Mikrofluidik entwickelt, die den Chips kleine Flüssigkeitsmengen zielgerichtet zuführt: Mehrere unterschiedlich beschichtete Mikroring-Sensoren werden mit einer Probe überströmt. So lässt sich aus weniger als 20 µl Volumen die Elektrolytkonzentration bestimmen. Und auch wenn am Ende des Projekts noch kein fertiges Analysegerät steht, ist Reck zuversichtlich, dass die Technik ihren Weg in die Industrie findet.

Grundsätzlich gilt: Daten zu übertragen und miteinander zu vernetzen, sind zentrale Prozesse in Zeiten des digitalen Wandels. Dabei lassen immer größer werdende Datenmengen die Anforderungen an Sender- und Empfangsgeräte steigen. Um eine schnellere Übertragungsgeschwindigkeit über größere Entfernungen hinweg zu erzielen, setzt die Photonik auf Lichtsignale anstelle von Elektronen und Leitungen. Wissenschaftler aus Paderborn, Aachen, Karlsruhe und Hamburg haben in ihrem Projekt Pace eine präzise und schnelle so genannte Abtasthalteschaltung entwickelt.

Photonische Datenübertragung – energieeffizient und schnell

Bei der photonischen Datenübertragung werden Informationen durch optische Signale von einem Sender zu einem Empfänger übermittelt. Dort angekommen, wird das Signal, also das Licht beziehungsweise seine unterschiedlichen Farben, in Form einer physikalischen Größe, der Intensität, gemessen. Schaltkreise stellen die Verbindungen zwischen Sender und Empfänger her. Schnelle Schaltungen für die Signalerfassung lassen sich demnach nur entwickeln, wenn auch Messgeräte mit einer besonders hohen Präzision existieren.

Wie die Wissenschaftler aktuell im Projekt Ultrabreitbandiger Photonisch-Elektronischer Analog-Digital-Wandler (Pace) erforschen, ist das durch den Einsatz von Photonik in Kombination mit bereits erprobten Halbleitertechnologien auf Siliziumbasis möglich. Neben der gestiegenen Leistung bringt die Silizium-Photonik weitere Vorteile mit sich. „Lichtbasierte elektronische Systeme können durch den deutlich geringeren Energieverbrauch bei der Datenübertragung die Belastung von Umwelt und Klima reduzieren.

Wie die Wissenschaftler aktuell im Projekt Ultrabreitbandiger Photonisch-Elektronischer Analog-Digital-Wandler (Pace) erforschen, ist das durch den Einsatz von Photonik in Kombination mit bereits erprobten Halbleitertechnologien auf Siliziumbasis möglich. Neben der gestiegenen Leistung bringt die Silizium-Photonik weitere Vorteile mit sich. „Lichtbasierte elektronische Systeme können durch den deutlich geringeren Energieverbrauch bei der Datenübertragung die Belastung von Umwelt und Klima reduzieren.

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Der Messaufbau zeigt die in eine Silizium-Photonik-Technologie integrierte, hochpräzise, optisch getaktete Schaltung
(Bild: Heinz Nixdorf Institut)

Außerdem ermöglichen die Schaltungen auch Hardware-Lösungen für ganz neue Anwendungen, zum Beispiel in der Medizintechnik oder für autonome Fahrzeuge“, erläutert Maxim Weizel. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fachgruppe Schaltungstechnik des Paderborner Heinz Nixdorf Instituts unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Christoph Scheytt vom Institut für Elektrotechnik. Beteiligt sind außerdem die RWTH Aachen, das Karlsruher Institut für Technologie KIT und die Universität Hamburg.

Aktuelle Phase der Forschung: Einzelteile in ein kompaktes Gesamtsystem

Die Photonik in Form integrierter photonischer Schaltkreise (Photonic Integrated Circuits, kurz PICs) direkt in Chips, Sensoren und andere technische Bauelemente einzubauen, ist eine kosten- und energieeffiziente Lösung. Weil Licht in PICs Elektrizität ersetzt, entfallen Nachteile wie starke Wärmeentwicklung, Wandlung von optisch fernübertragenen Daten in elektrische Signale und umgekehrt, sowie der Bauraumbedarf elektronisch-optischer Baugruppen. Dank der vergleichsweise geringen Wärmeentwicklung senkt die Technologie auch den Energiebedarf von Rechenzentren. Dieser verursacht laut Prognosen des französischen Marktforschungsunternehmens Yole Intelligence rund 2 % des globalen CO2-Ausstoßes.

Quantensensor: Messen – so präzise wie noch nie

Die Photonik in Form integrierter photonischer Schaltkreise (Photonic Integrated Circuits, kurz PICs) direkt in Chips, Sensoren und andere technische Bauelemente einzubauen, ist eine kosten- und energieeffiziente Lösung. Weil Licht in PICs Elektrizität ersetzt, entfallen Nachteile wie starke Wärmeentwicklung, Wandlung von optisch fernübertragenen Daten in elektrische Signale und umgekehrt, sowie der Bauraumbedarf elektronisch-optischer Baugruppen. Dank der vergleichsweise geringen Wärmeentwicklung senkt die Technologie auch den Energiebedarf von Rechenzentren. Dieser verursacht laut Prognosen des französischen Marktforschungsunternehmens Yole Intelligence rund 2 % des globalen CO2-Ausstoßes.https://medizin-und-technik.industrie.de/technik/forschung/quantensensor-messen-so-praezise-wie-noch-nie/

Ganze Quantenlichtquelle passt auf einen Chip

Getrieben durch diese Anwendung, soll der globale Umsatz der Silizium-Photonik bis 2027 auf 972 Mrd. US-Dollar steigen – was gegenüber 2021 einem 6,5-fachen Zuwachs entspräche. Großes Potenzial für die integrierte Photonik versprechen sich die Experten auch für die Quantentechnologie. Ein internationales Team von Forschenden der Leibniz Universität Hannover, der Universität Twente in den Niederlanden und des Start-ups QuiX Quantum aus Enschede hat erstmals eine vollständig auf einem Chip integrierte verschränkte Quantenlichtquelle vorgestellt. „Es ist uns gelungen, die Größe der Lichtquelle um einen Faktor von mehr als 1000 zu verkleinern, was Reproduzierbarkeit, verbesserte Stabilität der Lichtquelle und Skalierbarkeit erlaubt“, freut sich Prof. Dr. Michael Kues. Er leitet das Institut für Photonik und ist Vorstandsmitglied des Exzellenzclusters PhoenixD der Leibniz Universität Hannover. Die neue Technik könnte photonische Quantenprozessoren kleiner, günstiger und vielseitiger einsetzbar machen, wie das Team erklärt.

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Prof. Dr. Michael Kues, Leiter des Instituts für Photonik und Vorstandsmitglied des Exzellenzclusters PhoenixD der Leibniz Universität Hannover, mit Doktorand Hatam Mahmudlu und Humboldt-Postdoc Dr. Raktim Haldar (von links) haben die neue integrierte Quantenlichtquelle entwickelt
(Bild: Sonja Smalian/PhoenixD)

Bislang waren Quantenlichtquellen für photonische Anwendungen entweder zu groß, um sie direkt in photonische Chips zu integrieren, oder aber sie waren zu unpräzise und leistungsschwach. Mit der Neuentwicklung steht nun eine elektrisch angeregte, laserintegrierte photonische Lichtquelle zur Verfügung, die komplett auf einen Chip passt und der Quantenkommunikation und dem Quantencomputer neue Möglichkeiten bieten soll.


Weitere Informationen

Zu den Arbeiten am Fraunhofer HHI:
www.hhi.fraunhofer.de

Zum Projekt Pace der TU Paderborn:
www.hni.uni-paderborn.de

Zum Exzellenzcluster PhoenixD:
www.phoenixd.uni-hannover.de


Swiss PIC: Photonik-Industrie in der Schweiz

Im Kanton Aargau entsteht ein neues Technologietransferzentrum: Das „Swiss Photonics Integration Center“, kurz Swiss PIC, soll den Know-how-Transfer von akademischen Partnern anbieten und in den Dienst der Photonik-Industrie stellen.

Eine komplexe Aufgabe im Bereich der integrierten photonischen Systeme ist die Einbettung in geschlossene Bauteile mit etablierten Schnittstellen zu Lichtleiterfasern. Dieses so genannte Photonic Packaging ist eine Voraussetzung dafür, dass die Industrie diese Technologie kommerziell nutzen kann, und einer der Ansatzpunkte von Swiss PIC. „Neben dem Photonic Packaging sind die derzeit kritischen Schritte die Montage, die Prüfung sowie die Zulassung photonischer Systeme“, sagt Kirsten Moselund, Leiterin des Labors für Nano- und Quantentechnologien am Paul Scherrer Institut PSI und Mitinitiatorin des neuen Technologietransferzentrums. „Swiss PIC wird in all diesen Punkten Expertise entwickeln und sie der Photonik-Industrie anbieten.“

Die Schwerpunktbereiche von Swiss PIC werden mikro-optische hybride Photoniksysteme, photonische integrierte Schaltungen sowie die Quantenphotonik sein. Das Technologietransferzentrum wird vor allem Start-ups und KMU seine Dienste anbieten. Diese werden ein breites Spektrum abdecken: Reine Beratung ist genauso möglich wie das Design oder sogar der Aufbau einer maßgeschneiderten Infrastruktur des Photonic Packaging, die den Start der Kleinserienproduktionen erleichtert. Zu den Gründungspartnern von Swiss PIC zählen der gemeinnützige Verein Swissphotonics, der beim Projektantrag federführend war, das Paul Scherrer Institut PSI, die Ostschweizer Fachhochschule OST sowie die auf integrierte Optik spezialisierten Unternehmen Ligentec und Polariton Technologies.

www.swissphotonics.net


Photonik in Kürze

Unter Photonik versteht man die Nutzung von Licht zur Übertragung von Informationen in so genannten photonischen integrierten Schaltkreisen. Die Lichtteilchen – die Photonen – sind dabei das Äquivalent zu den Elektronen in mikroelektronischen Systemen. Zukunftsgerichtete Industriezweige benötigen diese Art Systeme. Zu den möglichen Anwendungen zählen optische  Kommunikation,  Sensorik, die Entwicklung von Quantencomputern, das autonome  Fahren und die  künstliche  Intelligenz sowie erweiterte beziehungsweise virtuelle Realität. Auch an Anwendungen in Medizintechnik und Diagnostik wird geforscht.

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