Frau Dr. Kober, was kennzeichnet heute eine Gehirn-Computer-Schnittstelle?
Seit Beginn der Forschung an Brain Computer Interfaces in den 70iger Jahren sind mit diesem Begriff Geräte gemeint, die einerseits die Gehirnaktivität aufzeichnen und andererseits in Echtzeit mit einem Gerät oder einer Maschine verbunden sind, die auf die Gehirnaktivitäten reagieren. Das Ganze ist als Closed Loop konzipiert, es gibt also eine direkte Kopplung zwischen Gehirn und Computer.
Wie sieht das praktisch aus?
In den meisten Fällen wird ein EEG genutzt, um die Gehirnaktivitäten zu erfassen. Es gibt inzwischen zwar auch andere Verfahren. Aber das EEG ist immer noch ein relativ einfaches und günstiges Verfahren und liefert darüber hinaus die bisher höchste zeitliche Auflösung – wir sprechen da von Millisekunden, innerhalb derer Veränderungen erkennbar sind. Mit EEG-Daten sind wir also auf jeden Fall schneller als mit einem MRT. Ein weiterer Vorteil ist, dass die EEG-Geräte inzwischen kleiner geworden sind, es sogar portable Geräte gibt und wir Messungen außerhalb des Labors durchführen können.
Welche Rolle spielen die verwendeten Elektroden?
Von den Elektroden hängt die Qualität der Signale ab, die wir erfassen. Die klassische Version sind von außen angelegte so genannte nasse Elektroden. Es gibt Pasten, die mit ihrer Feuchtigkeit die erforderliche Leitfähigkeit zwischen Kopfhaut und Sensoren herstellen. Für den Patienten ist das natürlich immer noch mit Unannehmlichkeiten verbunden. Daher arbeiten viele Unternehmen an Lösungen für trockene Elektroden. Nach meinen Erfahrungen bleiben die Ergebnisse, die man damit erhält, aber deutlich hinter den Messungen mit nassen Elektroden zurück. Die beste Signalqualität liefern heute invasive Elektroden, also solche, die direkt ins Gewebe implantiert werden. Das ist aber nur in speziellen Anwendungen zu rechtfertigen, wenn zum Beispiel schwere Erkrankungen zu behandeln sind.
Wie lassen sich BCI für medizinische Zwecke nutzen?
Grundsätzlich kann man die abgeleiteten Gehirnaktivitäten analysieren, Muster erkennen und diese klassifizieren. Das bietet die Möglichkeit, mit den ausgewerteten Daten ein Gerät zu steuern, wie zum Beispiel einen Rollstuhl oder eine Prothese. Schon länger bekannt sind Schreibprogramme, die vollständig gelähmte Patienten nutzen, um zu kommunizieren – oder Systeme, mit denen stark eingeschränkte Patienten einfache Ja-Nein-Fragen beantworten können, um ihre Pflege und Therapie anzupassen. Dahinter steckt aber immer auch viel Training mit dem Patienten.
Sprechen wir von Forschungsprojekten oder schon von Medizinprodukten?
Das zuletzt genannte, sehr einfache Ja-Nein-Beispiel ist bereits ein Produkt, das eine Klinik kaufen kann. Die meisten anderen Ansätze sind heute in der Forschung angesiedelt. Das hat auch damit zu tun, dass die Daten, die wir zu den Gehirnaktivitäten bekommen, sehr komplex sind. Eine Trefferquote von 80 bis 90 Prozent in der Auswertung ist heute bereits super. Damit kann man etwas schreiben, gelegentliche Fehler sind dabei ja kein Problem. Aber für das Steuern eines Rollstuhls auf einem belebten Gehweg reicht das längst noch nicht aus – und gleiches gilt für den Einsatz in einer Prothesensteuerung. Es fällt allerdings auf, dass es des öfteren Darstellungen gibt, die die vorhandenen Erfolge der Forschung sehr feiern. Leider rückt dabei der Aspekt in den Hintergrund, dass ein Patient in so einem Projekt von einem ganzen Wissenschaftlerteam betreut wird und er lange und viel üben muss, bis ein System seinem Willen folgt. Wir sind noch relativ weit davon entfernt, zum Beispiel jedem Schlaganfallpatienten mit Spracheinschränkungen ein BCI-System zur Verfügung zu stellen, um ihm die Kommunikation wieder zu ermöglichen.
Fördermittel für Hirnstimulation und BCI mit Quantensensoren
Was müsste geschehen, um vorhandene Ideen in Produkte umzusetzen?
Wir profitieren in der Weiterentwicklung der BCI vom technischen Fortschritt. Bessere Sensoren und Elektroden liefern bessere Signale, und künstliche Intelligenz bietet neue Möglichkeiten, die Signale zu gruppieren und dann zu nutzen. Studien haben aber auch gezeigt, dass etwa 30 Prozent der Menschen selbst nach einem Training nicht in der Lage sind, ein BCI zu nutzen. Bisher verstehen wir noch nicht, woran das genau liegt – aber diese Tatsache schränkt eine mögliche Nutzung der Schnittstellen natürlich deutlich ein.
Wer beschäftigt sich aktuell mit dem Thema?
Es gibt große Forschungsprojekte, an denen auch Unternehmen beteiligt sind. In einem von der EU geförderten Projekt geht es zum Beispiel darum, Menschen mit Rückenmarkverletzungen mit technischen Hilfsmitteln eine Gehbewegung zu ermöglichen. Die Gehirnaktivität soll erfasst werden, um Signale an im Rückenmark implantierte Elektroden weiterzugeben, die dann wiederum die Muskeln in den Beinen aktivieren. Sehr bekannt ist auch das Unternehmen Neuralink, an dem Elon Musk beteiligt ist. Hier soll zum Beispiel ein Computer mit Signalen implantierter Elektroden gesteuert werden. Darüber hinaus gibt es eine Reihe kommerzieller Angebote, die mit vereinfachten EEG-Systemen auf den Markt kommen und Privatpersonen ansprechen, die über Neurofeedback ihr Gedächtnis oder ihre sportlichen Leistungen verbessern wollen. Bei solchen Ansätzen sehe ich aber eine Reihe von Fragezeichen.
Wo setzt Ihre Kritik an?
Im kommerziellen Umfeld sind oft Elektroden in einer Art Stirnband im Einsatz, auch EEG-Headsets genannt. Was genau die Sensoren darin messen, ist oft nicht ganz klar – es könnten Gehirnaktivitäten, aber auch Muskelaktivitäten im Stirnbereich sein. Um ein Computerspiel zu steuern, mag das ausreichen. Nimmt man aber das Beispiel des Neurofeedback, das im medizinischen Umfeld durchaus sinnvoll zur Therapie oder zur Entspannung eingesetzt werden kann, wird es schon problematisch. Was genau übt man als Privatperson aufgrund der gemessenen Signale eigentlich ein? Es gibt Studien, die zeigen, dass das Training einer kognitiven Leistung zum Abbau der kognitiven Fähigkeiten an anderer Stelle führen kann. Und geht man davon aus, dass das Produkt tatsächlich in der Lage ist, Gehirnaktivitäten zu erfassen, ergibt sich sofort die Frage, was denn mit den gemessenen Werten passiert.
Welche Risiken sehen Sie bezüglich der Messdaten?
Wir sind heute zwar nicht in der Lage, Gedanken zu lesen. Aber pathologische Muster wie Epilepsie oder kognitive Probleme lassen sich auch mit relativ einfachen EEG-Daten erkennen.
Was macht ein Unternehmen, auf dessen Servern diese Erkenntnisse liegen, damit? Bisher gibt es dafür keine Regeln.
Wer kümmert sich denn um solche Risiken, die sich möglicherweise aus BCI ergeben?
Es gibt derzeit Diskussionen dazu, die unter dem Begriff Neurorights zusammengefasst werden. Da geht es darum, was mit den Daten passiert und wie sich die Privatsphäre wahren lässt. Die EU hat kürzlich auch ein Panel abgehalten zu der Frage, ob eine Regulation beim Thema Neuroenhancement erforderlich ist – also zum Beispiel beim Training von Fähigkeiten mittels Neurofeedback. Einen rechtlichen Rahmen gibt es dafür bisher aber nicht.
Was ist die Vision für Brain Computer Interfaces in den nächsten fünf bis zehn Jahren?
Mit implantierten Elektroden, die wie gesagt für spezielle Anwendungen sinnvoll sein können, werden sich Möglichkeiten ergeben, Signale zur Steuerung von Geräten zu nutzen. Das zeigen heutige Studien. Daten aus Messungen mit externen Elektroden haben noch einen längeren Weg vor sich. Daher ist es mir wichtig, den Patienten jetzt noch nicht zu große Hoffnungen zu machen. Der Weg zu deutlichen Erfolgen und Fortschritten mit BCI-Systemen ist länger und härter, als man das anhand der Berichte im Internet heute erwarten würde.
Weitere Informationen
Das Psylab ist eine Einrichtung, die zum Institut für Psychologie der Universität Graz gehört. Die Mitarbeiter forschen unter anderem zum Thema EEG, zu Nahinfrarot-Spektroskopie (NIRS) und virtueller Realität (VR).
EEG: Seit 100 Jahren Infos aus dem Gehirn
Vor gut 100 Jahren, im Juli 1924, erfand der Jenaer Neurologe Hans Berger die Elektroenzephalographie (EEG), mit der man Gehirnströme messen kann. Die Erfindung gilt als bahnbrechend für die Gehirnforschung, denn mit einer elektrischen Ableitung ließ sich ein Blick ins arbeitende menschliche Gehirn werfen.
Auch heute, trotz der neuen Möglichkeiten durch die Computertomographie (CT) oder die Magnetresonanztomographie (MRT), ist das EEG immer noch eines der wichtigsten Verfahren für die Diagnostik von Hirnerkrankungen und ein essenzielles Instrument für die Neurowissenschaften.
Und die Entwicklung geht weiter: Big Data und Künstliche Intelligenz sorgen derzeit für einen regelrechten EEG-Boom. Nun geht es um die Vorhersage von Epilepsien, um die Analyse von Gehirnsystemerkrankungen, um das Lesen von Gedanken oder um Brain Computer Interfaces.