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Lärm wirkt bis zum Patienten

Arbeitsplatz OP: Geräusche und andere Stressfaktoren beeinträchtigen Ergebnis der Operation
Lärm wirkt bis zum Patienten

Lärm wirkt bis zum Patienten
Prof. Dr. med. Benno Ure ist Direktor des Zentrums Kinder- chirurgie Hannover und hat mehrere Studien zum Arbeitsplatz OP geleitet
Chirurgenfreundliche Chirurgie: Wie gute Arbeitsbedingungen für das Personal im OP aussehen sollten, zeigen Studien der Medizinischen Hochschule Hannover. Prof. Benno Ure erläutert, welch weitreichenden Einfuss Lärm hat und was auch Medizingerätehersteller anders machen könnten.

Herr Professor Ure, dass Lärm stresst und so Fehler verursachen kann, ist eine alltägliche Erfahrung. Hat Sie das Ergebnis Ihrer Studie zum Lärm im OP da noch überrascht?

Wir haben natürlich damit gerechnet, dass es dem Personal im Operationssaal messbar besser geht, wenn die Menschen in einem leiserem Umfeld arbeiten können. Das haben wir anhand der Stresshormone im Speichel, des Hautwiderstandes und des abgefragten subjektiven Empfindens auch nachweisen können. Wirklich überrascht hat uns aber, dass wir nach der Reduzierung des Lärms im OP auch eine Veränderung bei den behandelten Patienten festgestellt haben: Es gab um bis zu 50 Prozent weniger Komplikationen. Das lässt vermuten, dass die Lautstärke einen direkten Einfluss auf das Wohl der Patienten hat.
Wie haben Sie die Lärmbelastung erfasst?
Wir haben die Studie in drei Phasen durchgeführt. Zunächst haben wir den Ist-Zustand gemessen und die Anwesenden in dem Glauben gelassen, dass es uns um die CO2-Konzentration im Raum geht. Dabei zeigte sich schnell, dass der Lärmpegel während der Operation weit über den Werten liegt, die die WHO für konzentriertes Arbeiten empfiehlt. Selbst ein leerer OP, in dem nur das Anästhesiegerät, die Wärmedecke und die Klimanlage liefen, lieferte mehr als 35 Dezibel. Von den Telefongesprächen, dem Klappern der Instrumente in den Schalen oder einem herunterfallenden Teil während einer gewöhnlichen Operation ganz zu schweigen. Sobald dann bekannt war, dass wir uns für den Geräuschpegel interessierten, wurde es im OP schon deutlich leiser. Nachdem wir die Mitarbeiter darin geschult hatten, wie sie zum Beispiel durch weniger Gespräche und ausgeschaltete Telefone Lärm vermeiden können, sank die Lärmintensität in der dritten Phase der Studie schließlich auf die Hälfte des ursprünglichen Wertes – und hier konnten wir die erwähnten positiven Effekte bei Chirurgen und Patienten nachweisen.
Wie haben die Mitarbeiter im OP auf die Maßnahmen reagiert?
Wer lärmempfindlich ist, begrüßt die Maßnahmen. Wer sich nach eigenem Empfinden gar nicht an der Geräuschkulisse stört, fühlt sich natürlich mitunter bevormundet, wenn er sich ruhiger verhalten soll, und lehnt das ganze Projekt ab. Interessanterweise konnten wir die Stressindikatoren aber selbst bei den Personen nachweisen, die sich nach eigener Auskunft gar nicht gestresst fühlten.
Warum ist der Geräuschpegel ein neues Thema im OP-Umfeld?
Bisher hat es sehr viele Studien darüber gegeben, was man tun muss, damit es den Patienten möglichst gut geht. Dass wir unseren Blick auch auf den Chirurgen lenken, ist ein neuer Ansatz. Dabei geht es nicht allein, wie in unserer jüngsten Studie, um den Geräuschpegel. Auch die Möglichkeit, das konzentrierte Arbeiten während einer langen Operation durch Pausen zu unterbrechen, steigert die Leistungsfähigkeit der Chirurgen. Und diesen Aspekt sollte man doch genauer betrachten. Wir fassen das unter dem Oberbegriff der chirurgenfreundlichen Chirurgie zusammen.
Welche Faktoren spielen noch eine Rolle?
Alles, was den Chirurgen belastet. Die Arbeitsatmosphäre, die Beleuchtung, die große Verantwortung, die der Mediziner trägt, ethische Konflikte, denen er sich mitten in der Arbeit gegenübersieht: Alles das beeinflusst die Befindlichkeit und damit auch die Leistungsfähigkeit des Arztes. Dass das Umfeld optimal gestalt wird, müssen die Mediziner einfordern und die Betreiber der Krankenhäuser umsetzen. Von beidem sind wir noch ein großes Stück entfernt. Welche Bedeutung dieser Aspekt hat, zeigt sich aber darin, dass etwa 50 Prozent der Chirurgen in Deutschland Burn-Out-Symptome zeigen. Und in den USA sieht es nicht besser aus.
Welchen Beitrag können die Hersteller von Medizingeräten zu einem besseren Arbeitsumfeld für die Chirurgie leisten?
Jedes Gerät sollte daraufhin untersucht werden, welche Geräusche es beim kontinuierlichen Betrieb macht. Wenn eines allein mehr als 50 Dezibel produziert, muss man das optimieren. Interessant sind auch die akustischen Warnsignale. Da hat sich meiner Beobachtung nach seit vielen Jahren nichts getan, obwohl das ein lohnendes Feld für Verbesserungen wäre. Ob auch der Umgang mit einem nicht ausreichend bedienerfreundlichen Gerät Stress verursacht, haben wir bislang noch nicht untersucht. Aber das wäre eine Studie wert – vielleicht lässt sich das in nächster Zeit in Zusammenarbeit mit der Industrie umsetzen.
Ist Musik während der Operation ein positiver Einfluss?
Nur dann, wenn alle Anwesenden die ausgewählte Musik mögen. Daher lassen wir leise Musik auch nur unter dieser Bedingung zu. Allerdings lehrt die Erfahrung, dass dieser Fall äußerst selten eintritt und der CD-Player meist ausgeschaltet bleibt.
Wie lässt sich die Situation in den Operationssälen verbessern?
Zunächst müssen wir die Chirurgen, aber auch die Gesellschaft dafür sensibilisieren, dass es offenbar einen Zusammenhang zwischen einer stressigen Situation im OP und der Gesundheit der Patienten gibt. Wenn die Überzeugungsarbeit geleistet ist, brauchen wir Trainings, um das Verhalten nachhaltig zu verändern.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Über die Klinik für Kinderchirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover: http://www.mh-hannover.de/kch-klinikfuerkinderchirurgie.html
Stress ist messbar, selbst wenn man ihn selbst noch nicht fühlt

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