Seine Größe und das anhaltende Wachstum machen den chinesischen Medizinprodukte-Markt höchst attraktiv für europäische Unternehmen. Aber wirklich leichter ist der Zugang nicht geworden. Die Regierung setzt stark auf inländisches Know-how, regulatorische Vorgaben verändern sich. Was dennoch Erfolg verspricht, berichten Unternehmen, die in China aktiv sind.
Ziele zu haben und Visionen zu beschreiben, ist für Chinesen eine wichtige Angelegenheit – auch wenn diese Ziele zunächst möglicherweise unerreichbar oder unrealistisch erscheinen. „Sie signalisieren Motivation und die Bereitschaft sich anzustrengen“, sagt Sinologin Irmgard Strödel von der Heidelberger interkulturellen Management Beratung Sinalingua e.K.. China ist in der Wahrnehmung der Chinesen einfach das Reich der Mitte – der Nabel der Welt, eine Nation, der eine führende Rolle gut ansteht und für die es sich lohnt, sich zu engagieren. Daher ist es wohl auch kein Zufall, dass die chinesische Regierung in ihren Fünfjahresplänen hohe Ziele steckt, unter anderem im Gesundheitsbereich.
Inhaltsverzeichnis
Bewertung der Digitalisierung: China hat Deutschland überholt
Mehr als 24 000 Krankenhäuser und etwa fünf Millionen Betten
Hoher Bedarf an diagnostischen Geräten und Verbrauchsmitteln
Distributionspartner hilft beim Markteinstieg
Attraktiver Markt – trotz hohem Zulassungsaufwand
Neuregistrierung eines Medizinproduktes in China dauert ein paar Jahre
Was im Fünfjahresplan vorgesehen ist
Zukunftsthema auch in China: Mehr Robotik für die Medizin
Digital Health in China: Nur etwas für Einheimische
Unterschiede in der Kultur: Es ist nicht die Sprache allein
Nicht immer lohnt sich der Aufwand für den Markteintritt
Sonderregeln für Medizintourismus
Beispiele: Chinesische Medizintechnik-Hersteller
Gerade wurde der aktuelle, der 14. Fünfjahresplan verabschiedet – in dem zahlreiche Innovationen auch in der Medizintechnik vorgesehen sind. Schon länger gibt es Jahrhundertziele, die auf den hundertsten Geburtstag der Volksrepublik 2049 ausgerichtet sind – und an denen sich die Schritte auf dem Weg orientieren. Bis 2035 beispielsweise soll das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in Höhe eines „mittleren Industrielandes“ ausfallen. Schon im Herbst 2020 wurde für die Initiative „Made in China 2025“ ein konkretisierter Industrieplan vorgestellt, die „Guiding Opinions on Expanding Investment in Strategic Emerging Industries and Cultivating Strengthened New Growth Points and Growth Poles“. Unter den acht Bereichen, die demnach künftig stärker unterstützt werden sollen, tauchen zum Beispiel 5G-Anwendungen auf, die für künstliche Intelligenz, autonomes Fahren und Medizintechnik ausgebaut werden sollen. Auch Biotechnologie und Impfstoffentwicklung, High-End-Fertigung und kreative Digitalprodukte werden genannt.
Bewertung der Digitalisierung: China hat Deutschland überholt
Ehrgeizig? Sicher. Aber bisher lief es auch nicht schlecht: Laut der GTAI Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH, Berlin, kann die chinesische Regierung in Bezug auf die Zielerreichung des 13. Fünfjahresplanes, der den Zeitraum von 2016 bis 2020 betraf, in vielen Bereichen zufrieden sein. Und in welche Richtung sich die Entwicklung noch bewegt, zeigt das IMD World Digital Competitiveness Ranking 2020. Es fasst zusammen, welche Länder bei der Digitalisierung gut vorankommen. Im vergangenen Jahr erreichte China den Rang 16. Deutschland stand auf dem 18. Platz. Die vorderen Ränge belegten die USA, Singapur und Dänemark. In fünf Jahren hat es China demnach geschafft, den damaligen Rang 35 weit hinter sich zu lassen.
Ob es um Medizintechnik geht oder andere Industriebranchen: „Wer in China war, sieht, dass das Land in den letzten Jahrzehnten einen entscheidenden Sprung nach vorn gemacht und die westlichen Industrienationen in manchen Bereichen längst überrundet hat“, sagt China-Expertin Strödel von Sinalingua. Und: „China ist sicher kein Markt für frugale, auf das Minimum beschränkte Medizinprodukte, sondern im Gegenteil ein sehr anspruchsvoller Markt“, bestätigt Hans-Peter Bursig, Geschäftsführer des ZVEI-Fachverbandes Elektromedizinische Technik. Global orientierte Unternehmen seien dort daher seit Jahrzehnten sehr aktiv, hätten eigene Fertigungsstandorte und zum Teil Abteilungen für Forschung und Entwicklung aufgebaut, um ihre Produkte an lokale Anforderungen anzupassen.
Ein starkes Engagement kann sich in China lohnen, wenn man sich mit ein paar Zahlen die Größe des Gesundheitsmarktes vor Augen führt: Nach Angaben der GTAI zählte das Reich der Mitte im Jahr 2018 rund 1,39 Milliarden Einwohner. Der Anteil der über 65-Jährigen lag bei knapp 12 %. Und auch wenn in den USA und Europa der Anteil der Über-65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung höher ist, verschiebt sich in China die Alterspyramide ebenfalls.
Mehr als 24 000 Krankenhäuser und etwa fünf Millionen Betten
Nach Berechnungen des Landesamtes Baden-Württemberg wird Chinas Einwohnerzahl bis zum Jahr 2030 auf 1,46 Milliarden Menschen anwachsen. Da eigene Arztpraxen in China nicht üblich sind, arbeiten die meisten Ärzte in den mehr als 24 000 Krankenhäusern mit etwa fünf Millionen Krankenhausbetten. Dreiviertel der Krankenhäuser sind in staatlicher Hand, nur rund ein Drittel wird privat betrieben. Zudem stehen der Bevölkerung rund 910 000 kommunale medizinische Einrichtungen sowie etwa 12 000 spezialisierte staatliche Institutionen zur Verfügung, hat das Bundeswirtschaftsministerium gemeinsam mit der Initiative Mittelstand Global in einer Zielmarktanalyse zur Volksrepublik China ermittelt.
Die steigende Einwohnerzahl und die immer älter werdende Bevölkerung sind natürlich ein Treiber des Programms Healthy China: Mit einem präventiven und langfristigen Gesundheitsmanagement soll durch Unterstützung der Regierung auch die Gesundheitsbranche eine prominentere Rolle in China einnehmen. Dazu gehört beispielsweise der Ausbau städtischer Krankenhäuser sowie der ländlichen Gesundheitsinstitutionen.
Nach Angaben von Jennifer Goldenstede, die den Bereich Außenwirtschaft beim Industrieverband Spectaris leitet, ist der chinesische Markt für Medizintechnik in den letzten fünf Jahren konstant schnell gewachsen und erreichte 2019 ein Volumen von umgerechnet rund 1,1 Billionen US-Dollar, was einer Steigerung von 10 % im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Aktuell liegt der Weltmarktanteil Chinas im Medizintechniksektor bei rund 13 % (laut China Medical Device Blue Book 2019). Bis 2030 soll er voraussichtlich einen Marktanteil von über 25 % mit einem Wert von 200 Mrd. US-$ erreichen. Damit sei China, so Goldenstede, nach wie vor einer der wichtigsten und am schnellsten wachsenden Medizintechnikmärkte der Welt und nach den USA der zweitwichtigste Absatzmarkt auch für deutsche Medizinprodukte.
Hoher Bedarf an diagnostischen Geräten und Verbrauchsmitteln
Nach aktuellen Zahlen von Spectaris lagen die Exporte aus Deutschland 2019 bei rund 2,24 Mrd. Euro – ein Plus von 13,63 % zu 2018. „In 2020 waren die ersten drei Quartale aufgrund der Corona-Pandemie nicht ganz so erfolgreich im Vergleich zum Vorjahr“, erklärt Goldenstede.
Vor allem bildgebende diagnostische Geräte, Rehabilitationsgeräte, In-vitro Diagnostik, Orthopädietechnik und Prothesen, aber auch Verbrauchsmaterial wie Spritzen, Nadeln, Katheter und Kanülen kauft China im Ausland. Hinter den USA zählt Deutschland neben Japan weiterhin zu den wichtigsten Lieferanten. Doch die chinesischen Hersteller werden durch die Unterstützung und Förderung der Regierung – aber auch durch erschwerte Zulassungsbedingungen für ausländische Produkte – immer stärker.
Der Verband der chinesischen Medizinproduktehersteller, die China Association for Medical Devices Industry (Camdi), betont in seinen Mitteilungen immer wieder die positive Entwicklung der Branche. Über 4000 chinesische Unternehmen, die auf 40 Segmente verteilt sind, sind in Camdi repräsentiert. Das Spektrum deckt 3D-Druck von Medizinprodukten ebenso ab wie Endoskope, Chirurgieinstrumente, Implantate, In-Vitro-Diagnostik, regenerative Medizin oder die Analyse medizinischer Daten.
Bereits heute sollen denn auch nach GTAI-Angaben chinesische Krankenhäuser mindestens die Hälfte ihrer medizinischen Geräte im gehobenen und High-End-Segment von inländischen Herstellern beschaffen. Bis 2025 soll der Anteil auf 70 % und bis 2030 sogar auf 95 % steigen. „Im aktuellen Fünfjahresplan ist die Gesundheit ganz stark im Innovationsbereich verankert“, erklärt die Spectaris-Außenwirtschaftsexpertin. „Das heißt, man setzt gezielt auf Innovationen in der Medizintechnik und im Gesundheitsbereich, verstärkt die eigene Produktion und baut die Expertise im eigenen Land auf, um sich unabhängiger von Importen machen.“
Für europäische Medizintechnik-Hersteller bedeute dies, dass sie sich den Lokalisierungsanforderungen anpassen müssen, wenn sie im chinesischen Markt erfolgreich sein wollen. „Dies kann entweder über einen Distributionspartner, über eine eigene Produktion vor Ort oder auch über ein Joint Venture geschehen“, so Goldenstede. Generell sei es jedoch wichtig, sich im Vorfeld eine Strategie für den Markteintritt zu überlegen und sich Unterstützung zu holen bei Jemandem, der den Markt kennt.
Distributionspartner hilft beim Markteinstieg
Den Weg über einen Distributor wählte 2016 die Raumedic AG aus Helmbrechts. „Wir haben seinerzeit nach Distributionswegen für unsere Medizinprodukte in China gesucht. Wichtig war uns, einen soliden und erfahrenen Handelspartner zu haben, mit Erfahrung sowohl in der Zusammenarbeit mit Neurochirurgen als auch mit der Zulassung von Medizinprodukten“, erklärt Matthias Schubert, Head of Sales Germany & Senior Manager International Sales bei Raumedic. „Mit Woke Medical aus Hangzhou haben wir diesen Partner gefunden. Gemeinsam stecken wir viel Energie in die Erfüllung der behördlichen Anforderungen.“ Denn, so Schubert: „Die Zusammenarbeit mit den Zulassungsbehörden ist kompliziert und langwierig. Es kommt vor, dass Richtlinien kurzfristig geändert werden, so dass der Prozess neu aufgesetzt werden muss.“ Zum Teil würden Unterlagen verlangt, die für eine Zulassung in Europa oder den USA nicht mehr erforderlich sind, oder bestehende Tests würden nicht anerkannt. Das führe zu immensen Verzögerungen.
„Um sich als Hersteller auf dem chinesischen Markt zu etablieren, kann es also durchaus einige Jahre dauern“, so Schubert. Aktuell befindet sich das Unternehmen in der Zulassung eines neurochirurgischen Sortiments für den chinesischen Markt. Dazu gehören diagnostische Messgeräte, Katheter und sämtliches Zubehör, also Produkte, die laut EU-Richtlinie 93/42/EWG als Medizinprodukte der Klasse III gelten.
Für Raumedic ist das Reich der Mitte aber ein spannender Markt: „Die chinesische Führung will das Gesundheitssystem verbessern und außerdem die Versorgung im ländlichen Raum ausbauen. Das heißt, dass die Marktchancen für ausländische Hersteller aufgrund der politischen Agenda weiterhin vielversprechend sind. Unsere Lösungen können beispielsweise für die Diagnose nach Schädel-Hirn-Traumata eingesetzt werden.“
Über einen Händler kam 2010 auch der Krankenhausausrüster Simeon Medical GmbH & Co. KG nach China. „Aufgrund der internationalen Wichtigkeit des Marktes, seiner Größe und des steigendem Betreuungsaufwands gründeten wir aber 2015 eine Tochtergesellschaft in Shanghai“, erklärt Dr. Markus Keussen, Geschäftsführer des Tuttlinger Medizintechnikherstellers. Diese kümmert sich um die Vertriebsaktivitäten, den Service der Produkte und um die Organisation von Messen. Als Lösungsanbieter fürs Krankenhaus vertreibt Simeon Medical in China insbesondere seine Highline-Operationsleuchten sowie Sim.Cam-Kamerasysteme. Die Sim.Carry-Deckenversorgungseinheiten sind ebenfalls Teil vieler Projekte vor Ort. Rund 6 bis 8 % seines Umsatzes erwirtschaftet Simeon Medical inzwischen in China. Tendenz steigend. Erst im vergangenen Oktober führte das Unternehmen eine große Installation von Operationsleuchten, Monitorhalterungen sowie Kamerasystemen in China durch: Im General Hospital in Wuxi City, China, wurden insgesamt zwölf Operationsräume ausgestattet.
Attraktiver Markt – trotz hohem Zulassungsaufwand
Als besonders herausfordernd nennt auch Dr. Keussen die lokale Zulassung medizinischer Produkte bei der National Medical Products Administration (NMPA): „Zum einen wird ein auf China zugeschnittener CB-Report nach IEC 60601-1 gefordert, und die EMV muss gemäß IEC 60601-1-2 vor Ort durchgeführt werden. Zum anderen will die Zulassungsbehörde die komplette technische Dokumentation.“ Dabei müsse nicht nur jede Produktfamilie separat zugelassen werden, sondern auch jede spezifische Systemkombination, die im Markt verkauft werden soll. Die Dokumente müssen hier nicht nur in der Originalsprache, sondern auch in chinesischer Sprache eingereicht werden.
Erleichtert wird das Einreichen seit 2019 jedoch durch die Einführung des neuen elektronischen Registrierungssystems Electronic Regulated Product Submission (eRPS). Nach Registrierung und dem Hochladen der Zulassungsunterlagen können Hersteller über das System den Status der Zulassung verfolgen und Unterlagen oder Antworten bei Rückfragen der Behörde nachreichen. „Damit ist die NMPA vielen internationalen Zulassungsbehörden einen Schritt voraus“, sagt Luca Salvatore, der beim Zulassungsexperten Johner Institut in Konstanz den Bereich International Regulatory Affairs betreut.
Neuregistrierung eines Medizinproduktes in China dauert ein paar Jahre
Nach den Erfahrungen des Simeon-Geschäftsführers dauert eine Neuregistrierung in China etwa drei bis vier Jahre. Dennoch bleibe der Markt weiterhin sehr attraktiv. Als Voraussetzung für den Erfolg nennt Keussen eine eigene Gesellschaft vor Ort, gute Partner mit Vertriebs- und Service-Know-How sowie attraktive Produkte „Made- or Engineered-in-Germany“. Aktuell untersucht das Unternehmen zudem die Möglichkeit, eine lokale Fertigung in China aufzubauen.
Ein Weg, den auch die Anwalt- und Wirtschaftsexperten der Kanzlei Dezan Shira & Associates in ihrem monatlichen China Briefing befürworten: „Ausländische Unternehmen, die in die chinesische Medizinprodukteindustrie eintreten oder ihre Präsenz dort ausbauen möchten, sollten die wichtigsten Erfolgsfaktoren berücksichtigen, einschließlich regionaler oder branchenspezifischer Vorzugspolitiken“, so die Empfehlung der Marktkenner. Und sie sollten sich bewusst sein, dass sie sich an länderspezifische Vertriebsmodelle und Verkaufskanäle anpassen, in die lokale Technologieinfrastruktur investieren und mit inländischen Akteuren der Wertschöpfungskette zusammenarbeiten müssen.
Was im Fünfjahresplan vorgesehen ist
Entsprechendes sieht auch der aktuelle Fünfjahresplan der chinesischen Regierung vor, der einen Schwerpunkt auf die öffentliche Gesundheit und die Prävention legt. Dazu gehören unter anderem :
- Neugewichtung der medizinischen Ressourcen
- Beschleunigung des Aufbaus eines hierarchischen Diagnosesystems sowie eines abgestuften Behandlungssystems
- Stärkung der öffentlichen Krankenhäuser
- Förderung einer Reform der zentralen Beschaffung und Verwendung von Medikamenten
Die Telemedizin, Altenpflege und psychische Gesundheit wurden vor anderen Bereichen hervorgehoben – was bedeutet, dass diese Segmente in den nächsten fünf Jahren wahrscheinlich eine schnelle Entwicklung erleben werden.
Die Coronavirus-Pandemie hat die chinesische Bevölkerung ohnehin noch stärker für die Themen Gesundheit und Prävention sensibilisiert. Wobei für Chinesen laut Sinologin Irmgard Strödel die Gesundheit ohnehin ein hohes Gut ist – sowohl in der traditionellen als auch in der modernen Kultur. „Daher sind die Menschen bereit, viel Geld dafür auszugeben. Das kann sich auf die traditionelle chinesische Medizin, aber auch auf westliche Medizin beziehen.“ Beides existiert nebeneinander. „Manche ländlich geprägten Regionen stehen, was das technische Niveau angeht, derzeit noch vor größeren Aufgaben“, sagt ZVEI-Experte Bursig. „Aber es gibt hochmodern ausgestattete Universitätskliniken, in denen Hightech-Produkte eingesetzt werden. Diese werden in China entwickelt und hergestellt oder aus dem Ausland eingeführt.“
Zukunftsthema auch in China: Mehr Robotik für die Medizin
Eines der künftig für die Medizin zunehmend interessanten Technikgebiete ist die Robotik – weltweit und auch in China ein Marktbereich mit Potenzial. Das betonen die Robotik-Spezialisten der Kuka AG aus Augsburg, deren Mehrheitsaktionär seit 2016 das chinesische Unternehmen Midea ist. Auch wenn dessen Schwerpunkt bei Haushaltsgeräten und Logistik liegt und das Interesse an den Kuka-Robotern hauptsächlich für eine Automatisierung im industriellen Umfeld gedacht ist: Roboteranwendungen für die Medizintechnik sind laut Axel Weber, Vice President Medical Robotics bei Kuka, ein Wachstumsfeld mit sehr interessanten Perspektiven. Diese loten die Augsburger auch im Kontakt mit chinesischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen aus.
„Derzeit werden Roboter im Gesundheitswesen vor allem im OP-Bereich eingesetzt“, sagt Weber. Da wird gesägt oder gebohrt, damit das Implantat ins Knie, in die Hüfte oder in die Wirbelsäule passt. Auch Laserstrahlen lenken Roboter bereits in die richtige Richtung, und sie sollen die minimal-invasive Chirurgie unterstützen. Chinesische Unternehmen wollen in der Medizinrobotik ebenfalls zur Weltspitze aufschließen, nicht nur mit Anwendungen in der Chirurgie. Dass dafür in China ausreichend Mittel bereitgestellt wurden, ist laut Weber anhand der vielen Anfragen zu Lösungen mit Robotik zu spüren. „Viele chinesische Unternehmen investieren jetzt in diese Technik, es gibt starke Konkurrenz untereinander und der Zeitdruck, als erster mit einem Top-Produkt auf den chinesischen Markt zu kommen, ist enorm“, sagt Weber.
Für die Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern ist es laut Weber von Vorteil, dass das Unternehmen Kuka eine chinesische Mehrheitsbeteiligung hat, in China einheimische Experten beschäftigt und somit als ein in China stark verankertes Unternehmen „mit dem Know-how für Quality Engineering aus Deutschland“ gesehen wird. Wenn nicht gerade eine Pandemie die persönlichen Kontakte einschränkt, herrscht ein reger Austausch zwischen den chinesischen Kuka-Ingenieuren und denen am Hauptstandort in Augsburg.
Für die Zukunft sind Roboter auch für Pflege- und Reha-Einsätze interessant. Weber: „Dafür wird einfache Technik gebraucht, die dennoch flexibel sein muss und nicht zu viel kosten darf.“ Entsprechende Projekte laufen unter anderem in Zusammenarbeit mit chinesischen Instituten und Hochschulen.
Digital Health in China: Nur etwas für Einheimische
Als besonders fortschrittlich gilt China im Bereich der Digitalisierung, was auch Digital Health einschließt. Das ist allerdings ein Thema, bei dem gerade Deutschland derzeit keinen guten Ruf hat. Daher sieht Dr. Franziska Thomas, Healthcare- und Life-Science-Expertin bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little, für hiesige Anbieter von Digital-Health-Lösungen auf dem chinesischen Markt kaum eine Chance: „Die Tendenz geht eindeutig dahin, die Projekte dort mit den einheimischen Anbietern umzusetzen, die auf dem Gebiet führend sind.“ Selbst Amazon habe sich aus dem chinesischen Gesundheitsmarkt wieder zurückgezogen. Wahrscheinlicher sei der umgekehrte Weg, nämlich dass Anbieter von Digital Health den Schritt auf den europäischen Markt wagen. Perspektiven für Digital Health aus Europa sieht sie dennoch – doch in anderen Märkten.
Unterschiede in der Kultur: Es ist nicht die Sprache allein
Unabhängig davon, ob Europäer in China Geschäftskontakte in geeigneten Produktsegmenten aufbauen oder Chinesen in den westlichen Industrieländern Fuß fassen wollen: Es treffen dabei zwei Kulturen aufeinander, die so unterschiedlich sind, dass es viele Möglichkeiten für Missverständnisse gibt. Die Sprache ist dabei nur eine Hürde. Die Ansprechpartner aus der chinesischen Mittelschicht, mit denen Geschäftsleute aus dem Westen jetzt und auch in Zukunft zu tun haben, verfügen sogar oft über Auslandserfahrungen, sprechen Englisch und beschäftigen sich mit den Gepflogenheiten in der westlichen Welt. „Aber tendenziell ist die Erwartung, dass sich Geschäftspartner, die eine Beziehung mit chinesischen Unternehmen aufbauen wollen, etwas um die Sprache bemühen und sich mit den kulturellen Gepflogenheiten auseinandersetzen“, sagt Sinologin Irmgard Strödel.
Abgesehen von der Sprache geht es darum, dass es nicht zum chinesischen Guten Ton gehört, eine höherstehende Person zu kritisieren oder Probleme in großer Runde offen anzusprechen. Daher hinterlassen westlich geprägte Fachleute manchmal einen schlechten Eindruck. Umgekehrt haben Chinesen, die den Schlagabtausch mit Argumenten für oder gegen eine Entscheidung nicht gewohnt sind, einen schweren Stand in Besprechungen, fühlen sich übergangen oder nicht geachtet – und das, obwohl ein gutes Verhältnis zum Geschäftspartner in der chinesischen Kultur sehr wichtig ist.
Für die erste Geschäftsanbahnung am Messestand in China mag da noch ein Übersetzer eine gute Lösung sein. Das ist zumindest die Beobachtung, die Niklas Kuczaty von der AG Medizintechnik im VDMA gemacht hat. Am deutschen Gemeinschaftsstand auf der Medtec China in Shanghai hatten 2019 eine Reihe von Zulieferunternehmen für die Medizintechnikindustrie ausgestellt und dort erste positive Erfahrungen gemacht. Aber wenn dann der Entschluss gefallen sei, in China aktiv zu werden, so Kuczaty weiter, müsse nicht nur aus regulatorischen Gründen schnell jemand vor Ort sein, der den lokalen Markt gut kennt und ohne Zeitverschiebung agieren kann.
Nicht immer lohnt sich der Aufwand für den Markteintritt
Ob sich der für den Schritt nach China erforderliche Aufwand dann tatsächlich lohnt oder eventuell kleinere Märkte mit weniger Aufwand wirtschaftlich interessanter sind, ist eine strategische Entscheidung. Es würde sich also gut treffen, wenn europäische Führungskräfte beim Einstieg in den chinesischen Markt sich als erstes etwas typisch Chinesisches abschauen, sich konkrete Ziele stecken und dann ihre Vision in die Tat umzusetzen.
Sonderregeln für Medizintourismus
Auf der Suche nach der besten Behandlung reisen Medizintouristen um den halben Globus. China hat den nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor erkannt und investiert in fachärztliche Kompetenz und modernste Medizintechnik. Ein Beispiel ist die Sonderwirtschaftszone Hainan: Die chinesische Regierung gab im vergangenen Jahr einen Masterplan für den Freihandelshafen von Hainan bekannt, mit dem die Inselprovinz im südchinesischen Meer bis 2035 zu einem einflussreichen internationalen Freihafen und zu einer Sonderwirtschaftszone werden soll. Dabei wurde eine Pilotzone für den internationalen Medizintourismus durch den „Aufbau einer klinischen Versorgung auf weltbestem Niveau“ geschaffen. Ziel: Den medizinischen Tourismus der Chinesen ins Ausland zu unterbinden sowie weitere zahlungskräftige Patienten anzulocken und auch große internationale Krankenhausketten.
Eine Besonderheit der Pilotzone auf der Tropeninsel ist, dass im Ausland zugelassene Medizinprodukte nach einer Einfuhrgenehmigung durch die Provinzregierung auch ohne NMPA-Zulassung in bestimmten Kliniken angewendet werden dürfen. Dafür werden in Hainan die gesamten Krankenhäuser zertifiziert – und somit auch alles, was zur Behandlung gehört, inklusive der dort eingesetzten Medizinprodukte. Vorteile für die Hersteller sind ein schnellerer Markteintritt in China und das Sammeln klinischer Daten zum Medizinprodukt – im Hinblick auf ein späteres Zulassungsverfahren.
Weitere Informationen
Zum chinesischen Verband der Medizinproduktehersteller, der China Association for Medical Devices Industry (Camdi):
http://en.camdi.org
Informationen zum 14. Fünfjahresplan auf den Seiten der GTAI:
http://hier.pro/MjsfC
Interkulturelle Management-Beratung Sinalingua:
www.sinalingua.de
Newsletter zu aktuellen regulatorischen Entwicklungen „Medtech Update China“ (Quelle: GTAI), Anmeldung unter:
http://hier.pro/bqSMU
Website Johner-Institut mit einem Blog zur Zulassung von Medizinprodukten in China:
http://hier.pro/ZvWGf
Medizintechnik-Messen China:
Medtec China in Shanghai
www.medtecchina.com/en-us/
CMEF – China International Medical Equipment Fair (Standort wechselt)
www.cmef.com.cn
Medical Fair China in Suzhou
http://www.medicalfair.cn/en/
Chinesische Medizintechnik-Hersteller
Über 4000 chinesische Hersteller von Medizinprodukten sind im Verband Camdi organisiert. Zu den großen Akteuren der Medizintechnik-Branche in China gehören
- Mindray
Mindray wurde 1991 gegründet und bedient Intensivmedizin, Anästhesie sowie Intermediate Care. Das Unternehmen will sich als „weltweit führender Entwickler, Hersteller und Vermarkter von medizinischen Geräten“ etablieren und beschäftigt rund 10 000 Mitarbeiter weltweit. Die Produktionszentren in Shenzhen und Nanjing belegen eine Fläche von mehr als 300 000 m². In Darmstadt ist das Unternehmen als Mindray Medical Germany GmbH vertreten.
- Shinva
Die Shinva Medical Instruments Ltd aus Zibo City in der Provinz Shandong wurde 1943 gegründet, ist auf dem Gebiet medizinischer Instrumente und Ausrüstung tätig und sieht sich als das führende Medizintechnik- Unternehmen in China. Shinva hat den Vorsitz im chinesischen Verband der Medizintechnik-Hersteller, Camdi. Das Unternehmen hat einen Schwerpunkt im Bereich der Reinigung und Sterilisation von Medizinprodukten, bietet aber unter anderem auch OP-Ausstattung und Laborausrüstung an. Zum Segment Medizinische Dienstleistungen gehört die Xinhua Hospital Group. Im Linkedin-Profil wird die Mitarbeiterzahl zwischen 5000 und 10 000 angegeben.
- Wego
Die Shandong Weigao Group Medical Polymer Company Ltd. (Wego) entwickelt und produziert mit weltweit rund 10 000 Mitarbeitern unter anderem Einmalprodukte wie Infusionssets, Spritzen, Blutbeutel, Materialien für die Orthopädie sowie Verbrauchsmaterial und Ausrüstung für die Blutreinigung. Die Hauptproduktionsstandorte sind in der Provinz Shandong. Mit Infusions- und Transfusionssets und Einmalspritzen ist Wego auf dem europäischen Markt vertreten.
- Yuwell Medical
Die Yuwell-Jiangsu Yuyue Medical Equipment & Supply Co., Ltd., Shanghai, ist ein börsennotiertes Unternehmen aus der Yuwell Group. Es wurde 1998 gegründet und bietet Rollstühle, Beatmungstechnik, Homecare-Produkte sowie Geräte zur Blutdruck- und Blutzuckermessung an. Weitere Entwicklungen sind auf High-End-Technologie und die Verknüpfung von Internet und Medizin ausgerichtet. Mit Cloud-Technologie und Big-Data-Analysen will sich das Unternehmen eine führende Position erarbeiten. Yuwell beschäftigt über 6000 Mitarbeiter. Der Medizintechnikhersteller Metrax GmbH aus Rottweil ist seit 2017 Teil des Konzerns.
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