Bei der Biomedizintechnik-Tagung BMT 2007 diskutierten Experten in Aachen über die technologische Entwicklung der Medtech-Branche. Prof. Thomas Schmitz-Rode warnt davor, die Biomedizin zu spät in technische Lösungen zu integieren.
Professor Schmitz-Rode, warum ist Biomedizin für die Medizintechnik wichtig?
Die medizintechnische Industrie ist gerade in Deutschland mit vielen Marktführern gut aufgestellt. Ihr Erfolg hängt aber von ihren Innovationen ab. Eine rein technikorientierte Weiterentwicklung der Produkte lässt die immensen Möglichkeiten außer Acht, die die Biowissenschaften in Zukunft bieten. Führende Unternehmen aus dem Ausland haben diese Chance bereits entdeckt: Sie bauen eigene Teams für Forschung und Entwicklung auf, in denen Ingenieure und vor allem Biowissenschaftler genau diesen Sektor bearbeiten werden. Für exportorientierte Unternehmen sollte das ein Alarmzeichen sein.
Die biomedizinische Forschung ist von marktfähigen Lösungen noch ein Stück entfernt. Wie dringend ist die Diskussion?
Sicherlich ist noch einiges in der Forschung zu tun. Daher gibt es auch Stimmen in der Medizintechnik-Industrie, die nicht erkennen wollen, dass biomedizinische Ansätze ihren etablierten Produkten in absehbarer Zeit Marktanteile wegnehmen können. Das haben die Diskussionen bei der BMT 2007 deutlich gezeigt. Ich halte diese Einschätzung aber für gefährlich. Denn die Entwicklungszeiten für Bioengineering-Produkte, die interdisziplinär bearbeitet werden müssen, sind extrem lang. Daher ist jetzt der Moment, um solche Entwicklungen anzupacken. Es wäre schade, diesen Zeitpunkt zu versäumen. Und es wäre nicht das erste Mal, dass die hiesige Industrie einen internationalen Trend zu spät berücksichtigt und vom Ausland überflügelt wird.
Welche Ansätze aus der Biomedizin verdienen die meiste Aufmerksamkeit der Ingenieure und Entwickler?
Ich bin davon überzeugt, dass es zum Beispiel eine neue Generation von Implantaten geben wird, die biofunktional und bioaktiv sind: Eine Hüftprothese wird mit ihrer zellulären Umgebung kommunizieren können. Biosensoren direkt am Herzmuskel wiederum können in der Überwachung von Patienten helfen, größere Schäden zu vermeiden, und mehr Wissen über die Funktionen im Herzen vermitteln. Dann könnten Herzschrittmacher mit einer viel besseren Regelungstechnik ausgestattet werden. Biohybride Organe sind ebenfalls denkbar, in denen Zellen auf Trägermaterialien angeordnet sind und ein geschädigtes Organ vorübergehend ersetzen können. So könnte ein biohybrider Schrittmacher aus umgepolten Herzmuskelzellen realisiert werden. Solche Lösungen werden sicher viel früher Realität als komplette Organe, die über Tissue Engineering im Labor gezüchtet wurden.
Welche Strategie sollten Unternehmen wählen, um keine Chance zu verpassen?
Die Industrie braucht interdisziplinäre Teams mit Biowissenschaftlern. Sie muss sich mehr um die regenerativen Therapien kümmern und ihnen die etablierten Pfade der Markteinführung öffnen. Das gleiche gilt übrigens auch umgekehrt: Biowissenschaftler sollten Ingenieuren gegenüber mehr Offenheit an den Tag legen.
- Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
- Weitere Informationen BMT-Tagung: www.bmt2007.de Helmholtz-Institut für Biomedizinische Technik: www.hia.rwth-aachen.de Acatech e.V.: www.acatech.de
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