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Digitaler Zwilling in der Medizin: Chancen udnd rechtliche Risiken

Chancen und Risiken des Digital Twin
Digitaler Zwilling verspricht Vorteile – aber es gibt ungeklärte Rechtsfragen

Das virtuelle Abbild von Produkten und Patienten, ihr digitaler Zwilling, kann die Entwicklung und Überwachung von Medizinprodukten unterstützen, erleichtern und verändern. Den Vorteilen risikolosen Ausprobierens stehen aber andere Risiken gegenüber, denn es sind bisher nicht alle rechtlichen Fragen geklärt.

Dr. Kuuya Chibanguza, Christian Kuss
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft,
Hannover

Ein digitaler Zwilling (Digital Twin) simuliert ein Objekt oder einen Prozess im virtuellen Raum. Das gilt für einfache Bauteile, komplexe Maschinen oder gesamte Industrieanlagen genauso wie im medizinischem Umfeld. Auch Medizinprodukte können in Form eines Digitalen Zwillings nachgebildet werden und in Kombination mit dem virtuellen Abbild eines Patienten an dessen Besonderheiten und Bedürfnisse angepasst werden.

Rechtlich sind schon bei der Entwicklung eines solchen Modelles eine Reihe von Zusammenhängen zu beachten, die das Urheberrecht und eventuell das Recht eines Patienten an seinen Daten betreffen. Besonders interessant sind aber die möglichen Anwendungen des Digitalen Zwillings im Hinblick auf die Entwicklung eines Medizinproduktes und seine Beobachtung nach dem Inverkehrbringen.

Digitaler Zwilling: Vielschichtige Chancen für die Produkthaftung

Die Chancen, die mit dem Digital Twin im Bereich der Medizinprodukte einhergehen, sind aus dem Blickwinkel des (Produkt)haftungsrechts vielschichtig. Die konkrete Ausgestaltung eines Medizinprodukts kann mithilfe des Digitalen Zwilling zunächst virtuell erprobt werden, um zu ermitteln, ob es den erforderlichen Sicherheits- und Leistungsanforderungen entspricht. Der Digitale Zwilling unterstützt den Hersteller dabei, seine Verpflichtung zur fehlerfreien und sicheren Konstruktion des Medizinprodukts zu erfüllen.

Zugleich könnten grundsätzlich durch die Nutzung dieser Technik künftig auch die Kosten der Erprobung, insbesondere die Zahl aufwendiger klinischer Studien, gesenkt werden – das ist allerdings noch Zukunftsmusik.

Auch der Patient bekommt seinen Digitalen Zwilling

Ein Digitaler Zwilling des Patienten könnte bereits im Rahmen der Anamnese erzeugt werden. Dann ließe sich zum Beispiel simulieren, wie ein Medizinprodukt auf den Organismus dieses Patienten wirkt. Darüber hinaus könnte die konkrete Auslegung berechnet werden, um individuelle Fehleinstellungen zu vermeiden. Für den Hersteller böte das den doppelten Vorteil, sowohl technisch als auch aus Sicht des Haftungsrechts den Verlauf der Anwendung im konkreten Einzelfall zu simulieren.

Im Rahmen des Entwicklungsprozesses werden so Informationen gesammelt und Daten erhoben, mit denen der Medizinproduktehersteller später die Möglichkeit hat, sich im Falle eines Haftungsprozesses zu verteidigen. Von den möglichen haftungsausschließenden Tatbeständen des Produkthaftungsgesetzes (ProdHaftG) ist insofern sicherlich § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG besonders relevant. Danach ist eine Einstandspflicht des Herstellers aus Produkthaftung ausgeschlossen, wenn ein Fehler des Medizinprodukts „nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte“. Zukünftig dürfte eine herstellerseitige Verteidigungsstrategie bei Schadensfällen auf dem Argument basieren, dass die nötigen Untersuchungen und Studien, die anhand des Digital Twins durchgeführt wurden, keine den Hersteller belastenden Anhaltspunkte zeigten – und dass der Hersteller alle denkbaren Erkenntnisquellen zur frühzeitigen Identifizierung von Schäden ausgeschöpft hat.

Digitaler Zwilling vereinfacht das Planen der Instandhaltung

Da der Digital Twin nicht nur im Hinblick auf das Medizinprodukt selbst, sondern auch für die Produktion als solche angelegt werden kann, besteht die Möglichkeit, mit seiner Hilfe auch die der Entwicklung nachgelagerte Stufe der Herstellung schon früh auf etwaige (Haftungs-)Risiken zu untersuchen. Schreitet man gedanklich den Lebenszyklus eines Medizinprodukts weiter ab, wird das Instrument des Digital Twins dann auch bei Produkten, die sich bereits im Feld befinden, relevant und eröffnet neue Möglichkeiten. So können erforderliche Instandhaltungsmaßnahmen vorhergesehen und herstellerseitig geplant werden.

Auch mögliche Mängel, die bei der Konstruktion oder Produktion noch nicht vorhersehbar waren, lassen sich in der Phase der Anwendung durch Berücksichtigung weiterer Daten identifizieren. So ist es denkbar, Informationen in den Digital Twin einzuspeisen oder bestimmte, fiktive Anwendungsszenarien an ihm zu erproben, um Rückschlüsse auf das Verhalten seines realen Abbildes ziehen zu können. Beispielsweise kann das Medizinprodukt in Kombination mit ungewöhnlichen physiologischen Eigenschaften individueller Patienten getestet oder die Wechselwirkung mit Medikamenten erprobt werden.

Bereits heute simulieren Hersteller auf der Basis aktuell erhobener Echtzeitdaten das zukünftige Verhalten von Medizinprodukten im Feld. Hier ist zu erwarten, dass entsprechende Verpflichtungen auch von der Rechtsprechung an die Hersteller von Medizinprodukten herangetragen werden. Eine vergleichbare Diskussion findet sich im Automobilbereich, wo vermehrt angenommen wird, dass sich durch die zukünftig umfassendere Verfügbarkeit von Echtzeitdaten aus dem Fahrzeug auch die Produktbeobachtungspflichten der Hersteller erhöhen werden.

Der Aufwand sinkt – damit kann man Herstellern zumuten, einen Zwilling zu generieren

Wichtig hierbei ist, dass das Anlegen von Digital Twins aufgrund des geringer werdenden Aufwands künftig für die Hersteller zumutbarer werden wird. Um Gesundheit oder Leben der Patienten – beides hochrangige Rechtsgüter – zu schützen, werden intensive Bemühungen bei der Beobachtung der Medizinprodukte gefordert werden. Lohnenswert ist auch hier wieder der Blick in Richtung der Automobilindustrie, wo die von Fahrzeugen ausgehenden möglichen Gefahren für Leben und Gesundheit im Falle eines Produktfehlers ähnlich schwerwiegend sein können.

Auch wird es mittels Digital Twins von Medizinprodukten und Zubehör, mit dem es regelmäßig in Berührung kommt, für den Hersteller leichter werden, das Zusammenspiel seines Medizinprodukts mit anderen (Medizin)Produkten zu überwachen. Dies setzt natürlich voraus, dass ihm die notwendigen Daten und Informationen zur Verfügung stehen, was allerdings in direkten Konkurrenzsituationen wohl nicht möglich sein wird.

Gerade Medizinprodukte werden nicht nur zunehmend mit mHealth-Anwendungen kombiniert, sondern auch mit anderen, unter Umständen herstellerfremden Medizinprodukten vernetzt. Der Digital Twin bietet hier die Möglichkeit, die komplexe Wechselwirkung zwischen den Komponenten zu prüfen. Die seinerzeit im Rahmen der wegweisenden Honda-Entscheidung aufgestellten Anforderungen – der Bundesgerichtshof verpflichtete den Hersteller, auch das Wechselspiel seiner Produkte mit von Dritten hergestellten Zubehörteilen im Rahmen der Produktbeobachtung zu überwachen –, werden sicherlich durch den technischen Fortschritt von der Rechtsprechung nicht zurückgenommen – das Gegenteil ist zu erwarten.

www.luther-lawfirm.com


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Digitale Zwillinge

Digitale Zwillinge sind virtuelle Abbilder von Produkten, Prozessen oder Patienten. Dabei ist es unerheblich, ob ein reales Objekt tatsächlich oder nur in der Vorstellung existiert. Im virtuellen Raum hat der digitale Zwilling die gleichen Eigenschaften wie sein tatsächliches oder gedachtes Pendant in der realen Welt.

Auch menschliche Organe bis hin zum gesamten Patienten können nachgebildet werden. So lässt sich zum Beispiel simulieren, wie sich der Einsatz eines Medizinproduktes auswirkt, welche Erfolgsaussichten und Risiken dabei bestehen. Auch der Heilungsverlauf kann prognostiziert werden.

Um den digitalen Zwilling zu erschaffen , müssen ausreichend Daten für die Simulation vorliegen: zum Medizinprodukt, zu physiologischen Eigenschaften des Patienten bis hin zu dynamischen Eigenschaften eines abzubildenden Organs. Um die Funktion eines Herzschrittmachers zu untersuchen, muss man zum Beispiel wissen, wie das konkrete Herz das Blut durch den Körper pumpt.


Rechtliche Aspekte rund um den Digital Twin

Folgende Aspekte sind bei der Entwicklung eines Digitalen Zwillings zu beachten:

  • Wenn der Hersteller des Produkts und der Entwickler des digitalen Zwillings nicht identisch sind, wird der Besitzer der Produktdaten diese Informationen nur zur Verfügung stellen, wenn eine schriftliche Vereinbarung dazu vorliegt.
  • Wenn die Informationen zur menschlichen Physiologe aus einer rechtlich geschützten Datenbank stammen, sind gegebenenfalls Rechte des Datenbankherstellers zu beachten.
  • Für Texte oder Bilder, die für den digitalen Zwilling verwendet werden, können Urheberrechte berührt sein.
  • Geben Informationen ein Geschäftsgeheimnis wider, sind Vertraulichkeitspflichten einzuhalten.
  • Bezieht das Modell Informationen über einen konkreten Patienten ein, ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Personenbezogene Daten mit Gesundheitsbezug sind durch das Datenschutzrecht besonders stark geschützt (Datenschutzgrundverordnung, kurz DSGVO). Daher wird es in der Regel erforderlich sein, die Einwilligung der betroffenen Personen einzuholen.
  • Enthält das Modell personenbezogene Daten, kann das einer Weitergabe entgegenstehen.
  • Soll das Modell Dritten zur Verfügung gestellt werden, stellt sich die Frage, ob es rechtlich davor geschützt werden kann, dass es von diesen wiederum weitergegeben oder vervielfältigt wird oder die relevanten Informationen daraus ausgelesen werden. Der zugrundeliegende Programmcode ist als Computerprogramm im Sinne des Urheberrechts geschützt. Dieser Schutz erstreckt sich aber ausschließlich auf den konkreten Programmcode. Die Ideen, die dem Zwilling zu Grunde liegen, der Algorithmus und auch das Design sind von diesem Schutz nicht erfasst.
  • Soll die grafische Darstellung des digitalen Zwillings geschützt werden, kommt ein Schutz als filmähnliches oder lichtbildähnliches Werk nach dem Urheberrecht in Betracht.

Kontakt zum Autor:

Dr. Kuuya J. Chibanguza, LL.B.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Berliner Allee 26
30175 Hannover, Germany
Tel: +49 (0)511-5458-0
www.luther-lawfirm.com

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