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KI-gestützte Lösung prüft Implantatbeschichtung

Mikroskopie
KI im Mikroskop prüft automatisiert die Implantatbeschichtung

Ob die bei Smith+Nephew in Vakuumkammern auf Implantate aufgebrachten Titan- und Hydroxylapatit-Schichten den strengen Toleranzvorgaben entsprechen, wird seit Jahren mit einem Zeiss Licht-Mikroskop überwacht. Seit 2022 ist zudem eine KI-gestützte Lösung im Einsatz. Das zahlt sich gleich mehrfach aus.

Syra Thiel
Fachjournalistin in Tübingen

Einfacher geht’s nicht“, schwärmt Stéphane Monod, verantwortlich für die Qualität von Smith+Nephew am Standort Aarau, und meint damit das Lichtmikroskop Axio Imager.Z2m von Carl Zeiss Microscopy, Oberkochen. Als Beweis legt er eine in Acrylharz eingebettete und polierte Probe eines Testplattenschnitts auf den Untersuchungstisch des Licht-Mikroskops. Nach einer kurzen Ausrichtung startet er die Software Zeiss Zen Core und damit den automatisierten Messprozess. Sieben Minuten später gibt die Software einen 18-seitigen Report mit sämtlichen Kennzahlen zur Dicke und Porosität der Beschichtung eines Hüftimplantats aus. „Egal, wie oft ich oder ein Kollege diese Probe untersuchen würden, die Messergebnisse wären immer gleich“, erklärt der Senior Manufacturing Quality Engineer. Für Medizintechnikunternehmen, deren Produkte strengsten Qualitätsvorgaben unterliegen, ist das laut Monod „äußerst hilfreich“.

Implantat-Beschichtungen für eine feste Verankerung

Der Medizintechnikkonzern Smith+ Nephew hat sich auf die Rekonstruktion von Knochen und Gewebe, Wundheilung und Gelenkersatz spezialisiert. Gut 400 000 Hüft- und Knieprothesen werden am Standort Aarau, Schweiz, pro Jahr gefertigt. Ein Großteil davon wird in den fünf hochmodernen Vakuumkammern bei Temperaturen von bis zu 20 000 °C beschichtet. Rein mit Titan oder mit Titan und Hydroxylapatit. Letzteres ist eine Knochenersatzsubstanz, die das Einwachsen der Knochenbälkchen in die poröse Prothesenoberfläche verbessert beziehungsweise stimuliert.

Bei einer Hüftprothese beispielsweise verbindet sich der so beschichtete Prothesenschaft stabil und elastisch mit dem umgebenen Knochengewebe. Ein Vorteil insbesondere für jüngere Patienten. Denn im Falle einer später eventuell erforderlichen Hüftrevision hat die einwachsende Hüftprothese im Vergleich zu den einzementierten nach Ansicht vieler Orthopäden einen operativen Vorteil. Damit es zu einer stabilen Verbindung zwischen Knochen und Implantat kommt, ist jedoch eine bestimmte Schichtdicke und Porosität notwendig.

Bei einem so genannten Polarstem für die Hüftrekonstruktion liegt die geforderte Dicke der aufgebrachten Titan- und Hydroxylapatit-Schicht zwischen 155 und 305 µm. Für die Qualitätsprüfung setzt der in London ansässige Konzern am Standort von Anfang an auf das Lichtmikroskop Zeiss Imager 1m. Insgesamt fünf Bilder (Szenen) über jeweils 1 mm werden dafür von der Probe aufgenommen.

Reproduzierbare und genaue Ergebnisse mit KI

Um die Schichtdicke berechnen zu können, müssen Mitarbeitende in den stark vergrößerten Aufnahmen händisch insgesamt 50 vertikale Linien einziehen. Anschließend werden die ermittelten Werte dann vom Bediener in eine Excel-Datei eingefügt und ausgewertet. 45 bis 60 Minuten braucht der gesamte Mess- und Analyseprozess für eine Probe. Deutlich schneller geht es mit der KI-gestützten Lösung, die seit Sommer 2022 im Einsatz ist. Hier liegen die Werte zur Schichtdicke und zur Porosität über eine Proben-
länge von 8 mm bereits nach fünf bis sieben Minuten vor. Und da das Gerät ohne Zutun des Bedieners 343 vertikale Linien setzt, sind die ermittelten Werte nicht nur reproduzierbarer, sondern auch genauer.

Möglich wird diese deutliche Beschleunigung des Messprozesses durch eine automatisierte Bildsegmentierung. Denn ohne KI ist für die Einteilung der Aufnahme in bestimmte Bereiche ein geschultes Auge und viel menschliches Zutun notwendig. Im vorliegenden Beispiel müssen die Bediener an vorgegebenen Punkten in den Bildern die vertikale Linie vom Anfang der Schicht bis zum Peak ziehen. Die Künstliche Intelligenz dagegen erkennt selbstständig die aufgebrachte Schicht und setzt die entsprechenden vertikalen Linien bis zum Peak ohne menschliches Zutun.

Dark- und Bright-Field-Aufnahmen fürs Training der KI

Damit sie das kann, muss sie jedoch vorab trainiert werden. Smith+Nephew stellte Zeiss dafür entsprechende im Dark- und Bright-Field erstellte Aufnahmen von den jeweiligen Beschichtungen ihrer Produkte zur Verfügung. Vereinfacht gesagt, wurden für das Training die Schichten eingefärbt. Dadurch lernte die KI die Eigenschaften des Bereichs kennen und erstellte einen eigenen Algorithmus für die Klassifizierung.

Der Algorithmus wurde während des Trainings dann auf weitere Bilddaten angewendet und liefert für Monod „überzeugende Ergebnisse“.

Der Qualitätsverantwortliche ist vom Zeiss Axio Imager.Z2m begeistert. Auch, weil mit diesem Gerät „zukünftige Norm-anforderungen erfüllt werden können“. Denn die KI-gestützte Lösung ermittelt in den sieben Minuten beim Polarstem nicht nur die Dicke, sondern auch die Porosität der aufgebrachten Titan- und Hydroxylapatit-Schicht. Ein wichtiges Qualitätsmerkmal, denn der Knochen kann nur gut in das Implantat einwachsen, wenn es genügend Hohlräume gibt. Bisher war bei Smith+Nephew die Ermittlung der Porosität nicht oder nur sehr aufwendig möglich. Für das neue Mikroskop stellt dies jedoch keine Herausforderung dar.

KI im Mikroskop: Schichtdicke und Porosität erfassen

Die Software Zeiss Zen core setzt in den Aufnahmen dafür horizontale Linien, die MVIL (Mean void intercept length) und ermittelt so einfach und schnell die Größe der Leerräume beziehungsweise die Porosität. Die Auswertung der Porosität wurde gemäß der MED Norm ASTM F1854 für medizinische Implantate vorgenommen. Anwendungen im medizintechnischen Umfeld können darüber hinaus auch mit dem Toolkit GxP in der Zen Core Suite nach FDA 21 CFR Part 11 von Zeiss implementiert werden. Zwar wird die Ermittlung und die Dokumentation dieses Kennwerts von Implantatherstellern noch nicht gefordert. Aber die relevante Norm ISO 13485 wird bereits laut Monod entsprechend überarbeitet.

Prozesssichere Fertigung und zehnmal schnellere Ergebnisse

Da das Aufbringen der Beschichtungen durch das Vacuum Plasma Spraying (VPS) hochkomplex ist, wird der Fertigungsprozess engmaschig überwacht. Um die Implantate dafür nicht zerstören zu müssen, beschichtet Smith+Nephew für jeden Auftrag Testplatten. Routinemäßig werden täglich die nach dem ersten Zündstart der Brenner beschichteten Platten mikroskopisch untersucht.

Zeigen manuelle Tests mit einer Bügelmessschraube im Laufe der Fertigung Auffälligkeiten in Bezug auf die Schichtdicke, werden diese Testplatten ebenfalls aufgeschnitten, in Acryl eingebettet und mikroskopischuntersucht. Ein Vorgehen, dass laut Joel Dude, Fertigungstechniker bei Smith+Nephew in Aarau, „eine hohe Qualität und eine stabile Fertigung sichert“.

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