Damit Patienten sich ihr Medikament selbst zuführen können, haben Entwickler so genannte Autoinjektoren erdacht. Diese sind gefragter denn je – nicht zuletzt wegen der weltweit steigenden Zahl von Patienten, die an Zivilisationskrankheiten wie Diabetes leiden und es schätzen, dass sie nicht für jeden Einsatz der Spritze den Arzt aufsuchen müssen. Für Medizinprodukte, zu denen die Autoinjektoren zählen, gelten natürlich besonders hohe Anforderungen an Sicherheit und Funktion. Deshalb vertraut ein Hersteller aus der Pharmabranche bei der Qualitätskontrolle solcher Injektoren auf eine vollautomatisierte Prüfanlage. Entwickelt haben sie die Fachleute der PIA Automation Holding GmbH in Bad Neustadt a. d. Saale.
Bei den Autoinjektoren kommt es vor allem darauf an, dass Patienten diese so einfach wie möglich anwenden können. Ob es um Medikamente zur Behandlung von Diabetes oder Rheuma geht, spielt dabei keine Rolle: Der Anwender zieht die Kappe ab, drückt den Kunststoffzylinder des Injektors gegen seine Haut – und bei einem definierten Druck schnellt dann aus der Spitze eine feine Nadel hervor, die das Medikament unter die Haut injiziert.
Qualitätssicherung: Autoinjektoren auf sicherheitsrelevante Parameter geprüft
Solche Medikamententräger stellt das Pharmaunternehmen täglich in hohen Stückzahlen her. Um deren Qualität zu prüfen, entnehmen Mitarbeitende händisch Stichproben. In der von PIA Automation entwickelten Anlage werden diese vollautomatisch auf verschiedene sicherheits- und funktionsrelevante Parameter geprüft.
Dafür platzieren die Mitarbeitenden die Autoinjektoren liegend in Trays. Ein komplett beladener Tray-Wagen enthält elf Trays mit bis zu 400 Injektoren. Der voll automatisierte Prüfprozess beginnt damit, dass das erste der Trays in die Anlage eingefahren wird. Ein Handling-Greifer entnimmt daraus einen Injektor und bringt ihn zu einem Achssystem mit Greifer. Dieses dreht den Injektor um 90 Grad in eine vertikale Position und setzt ihn in die erste Station ein, wo die Schutzkappe abgezogen wird. Der Greifer holt den einsatzbereiten Injektor wieder ab und übergibt ihn an ein weiteres Handling, das ihn in die Prüfstation einsetzt. Dort löst eine Servo-Presse den Injektionsmechanismus aus.
Die Prüfstation misst
- die Kraft, die zur Auslösung erforderlich ist,
- den Weg, wie weit der Pen bis zur Aktivierung komprimiert wird,
- die Zeit vom Ansetzen bis zum Ende der Injektion sowie
- die Menge des abgegebenen Wirkstoffs.
Diesen gibt der Autoinjektor in einen Messbecher ab. Außerdem überwacht die Station, ob die Nadel intakt ist. Eine optische Anzeige signalisiert, dass der Autoinjektor benutzt und entleert ist. Auch dieser Mechanismus wird kontrolliert.
Damit sich im realen Einsatz die Benutzer an der ausgefahrenen Nadel nicht verletzen, fahren die Injektoren nach Abgabe des Medikaments einen so genannten Nadelschutz aus. Auch die Blockierkraft dieses Schutzmechanismus prüft die Anlage und testet, ob der Nadelschutz unter starkem Druck sicher hält.
Multifunktionales Prüfsystem sorgt für sichere nadelbasierte Injektionssysteme
Präzision ist gefragt: minimale Toleranzen und sichere Prozesse
„Die Messungen der Anlage sind sehr umfangreich und müssen höchst präzise sein“, sagt Ramona Neulinger, Projektmanagerin bei PIA. Für Medizinprodukte seien nur minimale Toleranzen gestattet und absolut sichere Prozesse gefordert.
Die Werte für Auslösekraft, Weg und Druck auf den Nadelschutz nimmt eine Servo-Presse ab. Zwei Kamerasysteme, die pro Prüfvorgang 500 Bilder aufnehmen, sind für die optische Kontrolle von Nadel, Tropfenbildung und Entleerungsanzeige vorgesehen. Um die abgegebene Wirkstoffmenge zu erfassen, hat die Präzisionswaage eine Auflösung im Milligramm-Bereich. Damit Messfehler etwa durch Vibrationen ausgeschlossen werden können, ist sie von der übrigen Anlage konstruktiv entkoppelt.
Nach der Prüfung legt der Handling-Greifer die Injektoren schließlich wieder im Tray ab. Sollte einer bei der Stichprobe Auffälligkeiten zeigen, sortiert die Anlage ihn aus und stellt ihn in einer speziellen Halterung für eine Nachprüfung durch die Mitarbeitenden des Unternehmens bereit. Weil jeder produzierte Autoinjektor einen individuellen DMC-Code trägt, lässt sich der Weg eines schadhaften Gerätes eindeutig durch die Produktion zurückverfolgen.
Stand-Alone-Lösung fürs Automatisieren in der Medizintechnik
Mehr als eine Bauform auf der gleichen Anlage prüfen
Die neue Anlage geht beim Anwender im Sommer 2024 in Betrieb. Ein Aspekt an ihr ist besonders innovativ: Sie lässt sich für mehr als eine Autoinjektoren-Bauform konfigurieren. Das ist schon jetzt wichtig, da von Anfang an zwei Autoinjektoren-Typen in der Anlage geprüft werden sollen.
Zum Lieferumfang gehört auch das Kalibrier-Equipment, mit dem Mitarbeiter die Anlage und die Funktion der Prüfprozesse in festgelegten Intervallen prüfen. Dazu sind unter anderem verschiedene Gewichte erforderlich, mit denen sich die Präzisionswaage exakt kalibrieren lässt.
Kraft-Weg-Überwachung kontrolliert die Endmontage kombinierter Medizinprodukte
Anlagendesign: bei der Entwicklung kontinuierlich verbessert
Wenn Ramona Neulinger eine Zwischenbilanz des aktuellen Projekts zieht, hebt sie „die sehr gute Zusammenarbeit mit dem Kunden“ und „ein funktionierendes Simultaneous Engineering“ hervor. So sollte die Anlage für das Labor möglichst platzsparend ausgeführt sein und sämtliche Prüfprozesse auf engstem Raum unterbringen. Während der Entwicklung wurde das Anlagen-Design auf Basis der bereits erzielten Resultate kontinuierlich weiterentwickelt. Und Neulinger fasst zusammen: „Wir konnten mit unserer Anlage alle Anforderungen erfüllen.“
Die Zusammenarbeit zwischen den Automatisierungsexperten und dem Pharmaunternehmen hat bereits 2010 begonnen und abgesehen vom aktuellen Projekt bereits zu mehreren Montage- und automatisierten Testanlagen geführt.
Weitere Informationen
Mit mehr als 8700 realisierten Automationsprojekten zählt die PIA Group heute zu den Spezialisten auf diesem Gebiet. Über 1850 Mitarbeiter sind an zwölf vernetzten Standorten in Europa, Nordamerika und Asien tätig und bearbeiten die Branchen Automotive, Energy Storage, Life science, Industrial Goods, sowie Electronics und Components.