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Schmerztherapie: Elektrotherapieverfahren kann bei chronischen Schmerzen helfen

Schmerztherapie: Elektrotherapieverfahren kann bei chronischen Schmerzen helfen
Nerv soll den Schmerz vergessen

Eine neue der Schmerztherapie, die am Universitätsklinikum Bonn untersucht wird, beruht auf dem Effekt der Langzeithemmung von Nerven. Für die Small Fiber Matrix Stimulation (SFMS) werden neuartige Geräte verwendet.

Etwa 16 Millionen Menschen leiden allein in Deutschland an chronischen Schmerzen – das entspricht etwa einem Fünftel der Bevölkerung. Am häufigsten sind dabei Rücken- und Kopfschmerzen. Vor allem für Behandlungskosten, Medikamente und Arbeitsausfälle, aber auch weitere Aufwendungen entstehen dadurch geschätzte Kosten von jährlich mehr als 26 Mrd. Euro.

Einen neuen Lösungsansatz zur dauerhaften Reduktion chronischer Schmerzen kann seit kurzem die so genannte Small-Fiber-Matrix-Stimulation (SFMS) bieten. Diese Technik spricht mit Hilfe leichter elektrischer und mechanischer Impulse die Nerven in der obersten Hautschicht an und wirkt den genannten Schmerzen entgegen. „Die Idee ist so einfach wie auch komplex: Wir kombinieren Wissen aus der manuellen Medizin mit neuesten neurobiologischen Erkenntnissen zum Thema Lernen und Vergessen“, erläutert Dr. Tobias Weigl, der die Arbeitsgruppe Pain Reduction an der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Universitätsklinikums Bonn leitet. Er hat das Konzept der SFMS mitentwickelt, betreut aktuelle Forschungen zu diesem Thema und ist an der Bomedus GmbH beteiligt. Dieses Spin-off der Bonner Uni wurde 2012 mit Unterstützung durch ein Exist-Gründerstipendium gegründet und bietet neben Coachings gegen Rückenschmerzen auch ein Medizinprodukt an, das auf der Stimulation der Nervenzellen beruht.
Die Small-Fiber-Matrix-Stimulation soll schonend und dauerhaft helfen, in dem sie gegen das „Schmerzgedächtnis“ arbeitet, von dem häufig die Rede ist, wenn es um chronische Schmerzen geht. Jeder Schmerzreiz löst im menschlichen Körper eine Art Lernprozess für genau diesen Schmerz aus. Dauert der Reiz länger an, tritt er sehr häufig kurz hintereinander auf oder ist er ungewöhnlich stark, verändern sich die Nerven, die den Schmerzreiz ans Gehirn melden. Das betrifft zum einen die Funktion dieser so genannten Schmerzfasern und zum anderen ihre Form. Bei Personen mit chronischen Schmerzen sind die Schmerzfasern um ein vielfaches stärker miteinander vernetzt als in einem gesunden Menschen und auch viel leichter zu aktivieren. Somit reicht auch ein deutlich leichterer Reiz, der normalerweise keine Schmerzen verursachen würde, schon aus, damit das Gehirn die Botschaft erhält. Es entsteht ein „krankhaftes Schmerzempfinden“.
Bei der klinisch getesteten Small-Fiber-Matrix-Stimulation regen leichte elektrische und mechanische Impulse die veränderten Schmerzfasern an, die in der obersten Hautschicht enden. Die Anregung erfolgt nach einem spezifischen Muster, das bewirkt, dass die Schmerzfasern in ihrer Aktivität gehemmt werden. Man nennt dieses Prinzip Langzeithemmung. So erklärt Dr. Tobias Weigl: „Damit können wir Veränderungen an den Schmerzfasern wie die starken Vernetzungen untereinander, die das Schmerzgedächtnis erst ausmachen, langsam, aber dauerhaft wieder abbauen.“ Für Ärzte und Patienten ergeben sich damit erweiterte Möglichkeiten, um die Qualität der bisherigen konservativen Therapien zu erhöhen.
Die neue Therapieform ergänzt den ganzheitlichen Ansatz einer multimodalen Schmerztherapie und wird aktuell in verschiedenen Studien, an denen zwischen 20 und 50 Patienten mit verschiedenen Indikationen beteiligt sind, sowie an gesunden Personen klinisch getestet. Neben Grundlagenstudien, in denen an gesunden Personen eine Reduktion der Schmerzhaftigkeit nachgewiesen wurde, werden gegenwärtig Patienten untersucht, die nach Amputation unter Phantom- und Stumpfschmerzen leiden. Eine Studie, die mehr Wissen zur Therapie bei Rückenschmerzen liefern soll, wird voraussichtlich Ende 2014 abgeschlossen.
In den Studien werden neben persönlichen Eindrücken der Patienten auch objektive Messwerte unter anderem in Form der Numerical Rating Scale (NRS) erhoben, bei der Patienten ihre Schmerzen auf einer Skala von 0 bis 10 bewerten. Die Ergebnisse zeigen, dass bereits nach der ersten Anwendung sowohl der Oberflächenschmerz der Haut als auch der Tiefenschmerz nachlässt.
Die Rückmeldungen aus den Studien fielen überwiegend positiv aus. Profitieren Patienten, nehmen die Schmerzen ab, und vor allem die häufigen und starken Stichschmerzen werden seltener und schwächer.
Um diesen Therapieansatz auch bei Rückenschmerzen nutzen zu können, wurde von Bomedus ein Rückenband entwickelt. Die elektrischen Impulse überträgt es über textile Elektroden aus leitfähigem Material in die oberste Hautschicht. Diese Elektroden sind im Rückenbereich in einem speziell entwickelten Matrix-Muster aufgestickt. Zusätzlich ist hinter den Elektroden ein kleiner Vibrationsmotor eingearbeitet, der ein Massage-ähnliches Gefühl bewirkt, was viele Anwender als besonders angenehm empfinden. Die Muskulatur wird dadurch gelockert und entspannt sich, und die Durchblutung wird gefördert.
Das Band wird über eine Steckverbindung im Seitenbereich mit einer benutzerfreundlichen Schaltung verbunden. Diese steuert nicht nur die Elektroden und den Mikromotor für die Massage, sondern enthält auch einen Akku, der das Gerät mit Strom versorgt. Damit lässt sich das Rückenband auch in einer Umgebung einsetzen, in der eventuell keine Steckdose verfügbar ist. Dies macht die Anwendung zum einen sicherer, zum anderen ermöglicht es dem Anwender, sich weiterhin frei zu bewegen.
Die ersten, klinisch erhobenen Daten zu dieser Anwendung lassen vermuten, dass die Small-Fiber-Matrix-Stimulation zukünftig vielen Schmerzpatienten helfen könnte, ihre Schmerzen zu reduzieren und darüber ihre Mobilität und Alltagsbelastbarkeit wieder zu verbessern – besonders in Kombination mit einer multimodalen Schmerztherapie. „Das Gerät könnte für viele Patienten mit regelmäßigen Rückenschmerzen eine Alternative sein“, sagt Weigl.
Karin Rohleder Fachjournalistin in Bonn
Weitere Informationen Über Bomedus: www.bomedus.de

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