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Biologische Transformation: Neues Denken und mehr als Bionik

Biologische Transformation
Biologische Transformation ist mehr als Bionik – und der Trend, der auf die Digitalisierung folgt

Die Zeit nach der Digitalisierung wird bestimmt von all dem, was Ingenieure und Industrie von der Natur lernen können, von der biologischen Transformation. Es geht dabei um mehr als Bionik, und sicher ist: So einfach wie der Lotus-Effekt wird das nicht.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Lassen Sie sich nicht davon leiten, was Sie über moderne Produktion gelernt haben, über Output und Optimum. Vergessen Sie, wie Autos heute aussehen. Stromlinienform? Der kastenförmige Kofferfisch zeigte sich entgegen den Erwartungen der Ingenieure viel schnittiger als mancher Sportwagen. Seien Sie offen für eine Zukunft, die nur mit ganz neuen Ideen zu erreichen ist. Läuft? Dann sind Sie in der richtigen Stimmung für das Thema biologische Transformation – und das hat mit konkreten Aufgaben zu tun, die auf Industrie und Gesellschaft zukommen.

Einen Vorgeschmack darauf lieferte eine 2018 veröffentlichte, vom Bundesforschungsministerium geförderte Voruntersuchung namens Biotrain. Nach Ansicht der Autoren steht ein Umdenken an, um kommende Probleme mit neuen Herangehensweisen zu lösen – inspiriert von dem, was die Natur in Millionen von Jahren ausprobiert und verbessert hat.

Biologische Transformation jetzt bekannt machen

„Die wichtigste Aufgabe ist es derzeit, über die biologische Transformation zu reden, die Idee bekannt zu machen und uns darauf vorzubereiten“, sagt Dr. Oliver Schwarz, Leiter der Gruppe Bionik und Medizintechnik am Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Er war an Biotrain beteiligt, hat Experten und Querdenker befragt. Die Erkenntnis: Manches, was nicht gut läuft, ließe sich durch eine stärkere Orientierung an Vorbildern aus der Natur verbessern. Und das geht über Bionik, über Kofferfisch und Lotuseffekt, weit hinaus.

Der Gedanke kann eine unglaubliche Tragweite entwickeln: wenn von einer Wirtschaft die Rede ist, die – wie die Natur – quasi keinen Abfall kennt, die versucht, Kreisläufe von Materialien zu installieren, die Energie spart und nicht mehr, wie seit Beginn der industriellen Revolution, allein den Output ihrer Produktion maximiert. Das, was bisher gut funktioniert, wirft man natürlich nicht gern über den Haufen. Aber die Verhältnisse können sich rasch ändern. Sobald ein wichtiger Rohstoff wie Lithium nur noch eingeschränkt verfügbar wäre, liefe vieles aus dem Ruder. Es sei denn, es gäbe Alternativen, die von seiner Verfügbarkeit völlig unabhängig sind.

Biologische Transformation: für die Medizin interessant

Angesichts solcher Dimensionen kommt schnell das Gefühl auf, dass das die eigenen Aufgaben und Entscheidungsmöglichkeiten übersteigt. Es geht aber auch eine Nummer kleiner, wenn man zunächst Ansätze betrachtet, die für die eigene Branche interessant werden könnten. Und gerade Medizintechniker haben sich der biologischen Transformation gegenüber offen gezeigt, berichtet Schwarz. Das war im vergangenen Jahr, als von der Fraunhofer-Gesellschaft branchenspezifische Workshops dazu organisiert wurden. Für die Branche ist der Ansatz ohnehin sehr spannend, denn in ihrem Zentrum steht die Gesundheit eines biologischen Systems namens Patient.

Nachhaltigkeit in der Medizintechnik

Um einen Körper aus Knochen, Geweben, Organen und Blutgefäßen zu behandeln, werden bisher vor allem Geräte oder Instrumente verwendet, die aus technischen Lösungen abgeleitet wurden. So entstehen durch schnelles Rotieren eines Werkzeugs kreisrunde Bohrungen im Zahn oder im Knochen. Wenn der Mediziner einen Hohlraum anderer Form braucht, um im Oberschenkelknochen Platz fürs Hüftimplantat zu schaffen, kommt man damit nicht weiter.

Knochenbohrer nach biologischem Vorbild

Allerdings gibt es eine Holzwespe mit der lateinischen Bezeichnung Sirex, die mit ihrem filigranen Legestachel im Holz Platz für Eier schafft. Ihr gelingt es, mit Hilfe des rotationsfreien „Pendelhubprinzips“, drei- oder mehreckige Querschnitte zu bohren und dabei wenig Kraft aufzuwenden. Die Holzwespe war für IPA-Ingenieure das Vorbild, nach dem sie vor wenigen Jahren einen Knochenbohrer entwarfen – ein Beispiel für eine bionische Lösung und einen Schritt dahin, was mit Biologisierung alles gemeint ist.

Gleiches gilt für Knochenstanzen, mit denen Knochen- und Knorpelmaterial abgeknipst wird. Um die kleinen Stücke aus dem Körper zu befördern, muss der Chirurg die herkömmliche Knochenstanze aus der Operationsöffnung ziehen. Doch ließ sich nach dem Muster der Würgeschlange Anakonda eine „schluckende“ Knochenstanze entwickeln, die Bruchstücke mit dem gleichen Mechanismus aus der Stanze befördert, wie die Schlange ihre Beute ins Verdauungssystem hineinzieht: mit rückwärts gerichteten Zacken in einem Hohlraum. Dass das funktioniert, wurde am IPA nachgewiesen.

Was die Beispiele zeigen: „Im Kern geht es darum, von der Natur zu lernen und das Gelernte auf die Technik zu übertragen“, erläutert Prof. Katja Schenke-Layland, Leiterin des NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut in Reutlingen. Solange in der Natur entdeckte Zusammenhänge überschaubar sind, lassen sie sich sogar verhältnismäßig einfach für eine technische Anwendung nutzen. Beim Paradebeispiel Lotuseffekt bekommt eine künstliche Oberfläche dieselbe Struktur wie die Blütenblätter der Lotuspflanze und lässt so Flüssigkeit und Schmutzteilchen abperlen.

Natur ist komplexer als von Ingenieuren erdachte Lösungen

Allerdings seien biologische Systeme, von denen man vieles lernen könne, meist erheblich komplexer. Vielfältig vernetzte Prozesse beeinflussen sich gegenseitig. „Der Grad an Komplexität in der Natur übersteigt alles, was Ingenieure sich im Zusammenhang mit technischen Systemen üblicherweise vorstellen.“

Für die Energiegewinnung beispielsweise haben pflanzliche und tierische Zellen so genannte Mitochondrien, die auch als Kraftwerke der Zelle bezeichnet werden. Wäre es möglich, diese Kraftwerke außerhalb der Zelle dazu zu bringen, Energie zu erzeugen? Das haben Forscher in einem biotechnologischen Projekt versucht – es war jedoch nicht von Erfolg gekrönt. „Wenn viele Wechselwirkungen eine Rolle spielen“, sagt Schenke-Layland, „wird es immens schwierig, einzelne Elemente aus dem Zusammenhang zu nehmen und sie in einer künstlichen Umgebung funktionieren zu lassen – selbst wenn es nur um das geht, was in einer einzigen Zelle passiert.“ Aus dieser Erkenntnis ergeben sich ihrer Ansicht nach zwei Konsequenzen für die Biologisierung.

Zum einen lehre die Erfahrung, dass Projekte mit biologischen Aspekten meist nicht nach dem Motto laufen: „Wir starten ein Projekt und erhalten nach drei Jahren ein Ergebnis.“ Sehr oft laute am Ende die Erkenntnis: „So geht es nicht. Wir müssen ganz anders vorgehen.“ Es braucht also einen langen Atem. Zum anderen lasse sich aus der Komplexität ableiten, dass Forscher wie auch Unternehmen mit einfachen biologisierten Systemen beginnen sollten, um in absehbarer Zeit Erfolge vorweisen zu können. „Wir müssen die Gesellschaft mitnehmen, erklären, was und warum wir etwas tun wollen – denn dafür werden große Summen an Forschungsgeldern ausgegeben.“

Digitalisierung bildet die Basis für die Biologisierung

Wenn es aber viel versprechende Beispiele wie Sirex-Bohrer oder Knochenstanze nach dem Anakonda-Modell gibt, warum stürzen sich nicht alle Unternehmen auf das Thema? „Die Leute haben den Kopf mit ganz anderen Dingen voll.“ Diesen Eindruck hat Dr. Oliver Schwarz in vielen Gesprächen gewonnen. Die vordersten Plätze auf der Prioritätenliste besetzen die Themen Medical Device Regulation (MDR), Digitalisierung, 3D-Druck oder Globalisierung. Laut Schwarz passt die Reihenfolge technisch gesehen: „Die Digitalisierung und die künstliche Intelligenz schaffen Voraussetzungen für eine Produktionsweise, die sich an der Biologie orientiert.“ Denn sie helfen, Komplexität erstens zu begreifen und zu modellieren und zweitens auch zu lenken.

„Die Pharmazie ist dabei schon relativ weit“, sagt der IPA-Mitarbeiter. Systeme, die die Biologie imitieren, seien effizienter und sanfter als chemische Synthesen. In biologisierten Systemen müsse aber auch eine „bidirektionale Kommunikation“ möglich sein, also ein Austausch mit den Zellen. Deren Signale gilt es mit Biosensoren zu messen, andererseits müssen sie Signale erhalten können. Doch auch wenn viel Forschung erforderlich ist, um hoch gesteckte Ziele zu erreichen, betont Prof. Schenke-Layland: „Wir werden auf lange Sicht ein Organ nachbilden können.“ Zunächst aber gelte es, sich realistische Ziele zu stecken.

Der erste Schritt dazu sei immer festzulegen, was konkret durch Biologisierung erreicht werden solle. „Wenn sich dann Mediziner, Biologen und Ingenieure zusammensetzen, lässt sich diskutieren, auf welchem Weg man dorthin kommt.“

Erfolg verspricht unter Umständen auch, von dem auszugehen, was Technik heute bietet – und die Biologie quasi hinzuzufügen. „Das hat beim Inkjet-Drucken mit lebenden Zellen gut funktioniert. Ein bestehendes Verfahren ließ sich so anpassen, dass einfache biologische Strukturen nachgebildet werden können.“ Knorpel aus entsprechenden Laboren beispielsweise wird heute schon angewendet.

Neues Verfahren für „Pflaster“ mit Kollagenbeschichtung

Dass manchmal erst grundlegende Anpassungen zu Ergebnissen führen, zeigt ein Projekt aus dem ZIM-Netzwerk Biohymed. Um neuartige Wundauflagen herzustellen, musste hier ein neues Fertigungsverfahren entwickelt werden. Das Ziel ist ein Vlies aus einem hydrolytisch degradierbaren Polymer, das sich im wässrigen Milieu langsam zersetzt, und mit Kollagen überzogen ist. Die nachträgliche Beschichtung des Vliesstoffs ist angesichts der kleinen Poren schwierig. „Es funktionierte nicht, erst das Vlies herzustellen und dann das Kollagen aufzubringen, das hätte alle Poren verstopft“, erläutert Dr. Verena Grimm, die bei der Stuttgarter Bio-Regio Stern Management GmbH das Biohymed-Netzwerk koordiniert. Vielmehr arbeiten die Partner, die Denkendorfer Polymedics Innovations GmbH und die Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung (DITF), an einer Lösung mit zwei speziellen neuen Düsen, die beide Bestandteile zugleich ausblasen und so das gewünschte beschichtete Vlies bilden. Der Vorteil: Eine solche Art von biologisiertem „Pflaster“ muss man nicht abziehen, da es sich auflöst, und es würde sich gut eignen, um großflächige Wunden wie Verbrennungen abzudecken.

Im regionalen Netzwerk Biohymed, das sich ausdrücklich der Biologisierung der Medizintechnik widmet, sind seit 2017 eine Reihe von KMU vorwiegend aus der Bio-Region Stern zusammengeschlossen. Die Partner sehen Biologisierung als eines der zukunftsträchtigsten Felder im Gesundheitswesen und bringen Projekte mit Fördermitteln des Bundeswirtschaftsministeriums auf den Weg.

Bis 2020 können Fördermittel beantragt werden

In den ersten Monaten der Förderung wurde diskutiert, klassische Implantate mit Zellen und Biomolekülen wie Wachstumsfaktoren zu kombinieren. Die Recherche führte jedoch zu dem Schluss, dass dieses Feld noch zu forschungsorientiert ist und es auch angesichts ungeklärter Zulassungsfragen für konkrete Umsetzungen noch zu früh sei. „Viele Unternehmen haben derzeit alle Hände voll zu tun, um bestehende Produkte gemäß der MDR zu rezertifizieren“, sagt Dr. Grimm. Doch auch wenn noch nicht an biologisierten Gelenkimplantaten gearbeitet wird, sind im Rahmen von Biohymed eine Reihe von Projekten gestartet – und es können sich weitere Unternehmen dem Netzwerk anschließen und bis 2020 Fördermittel für Projekte zur Biologisierung beantragen.

Die Frage der Zulassung sieht auch NMI-Leiterin Schenke-Layland als Knackpunkt. „Natürlich müssen Sicherheit und Nutzen neuartiger, biologisierter Produkte nachgewiesen werden“, sagt sie. „Wie wir das im Einzelnen machen können, wie zum Beispiel eine Qualitätssicherung in diesem Umfeld aussehen kann, muss noch geklärt werden.“ Forscher, Institute und benannte Stellen müssten das zusammen mit Unternehmen angehen.

Ob sich das am Ende alles lohnt? Schenke-Layland meint ja. Wenn Unternehmen ihre führende Marktposition aufrecht erhalten wollten, müssten sie sich neuen Herausforderungen stellen. Der Markt verändere sich, zum Beispiel hinsichtlich einer Personalisierung von Produkten und Therapien. „Für klassische Produkte wie Implantate wird es immer noch Raum geben. Aber diese müssen einen größeren Nutzen bringen als bisher, und dazu kann die Biologisierung beitragen.“ Trotz des erkennbaren Interesses der Unternehmen an der Biologisierung „sehe ich einen großen Nachholbedarf für viele Produktbereiche.“

Jetzt ist der Zeitpunkt, um über Biologisierung nachzudenken

Laut Dr. Oliver Schwarz vom Fraunhofer IPA ist jetzt der richtige Moment, um sich mit dem Thema zu beschäftigen. „Da sehe ich eine Parallele zur Digitalisierung: Die Dinge müssen sich allmählich entwickeln können.“ Dafür brauche es das Bewusstsein fürs Thema, aber auch die passende Ausbildung von Fachleuten, die sich an das Betrachten höchst komplexer Systeme heranwagen, die sich trauen, mit anderen Disziplinen zusammenzuarbeiten, „um zu wirklich ganz anderen Lösungen zu kommen“. Das alles komme gerade in Gang.

Schwarz wünscht sich für die Biologisierung die Diskussion über „positive Visionen“ , wie er es nennt. Vielleicht wären hybride Einwegwerkzeuge aus Metall plus Kunststoff eine gute Idee, um – wie in der Natur – Abfall zu vermeiden. Dann würde im OP-Saal nur das verworfen, was man nicht sterilisieren kann. Und kann ein Hersteller nicht Instrumente aus einer wertvollen Legierung, die nicht mehr einsetzbar sind, zurücknehmen und einschmelzen?

Aber zu solchen Überlegungen fehle oft der Mut, sagt er. Bei grundlegend neuen Ideen kann auch etwas schiefgehen. „Mehr als ein Fehler kostet einen Entwickler aber schnell den Job.“ Und wenn von Natur und Biologie die Rede sei, lasse sich zuweilen schwer eine Gesprächsebene mit   Managern oder Ingenieuren finden.

Biologie muss man nicht als Störfall sehen

In der Produktion werde „Biologie“ eher als Störfall empfunden, zum Beispiel, wenn Bakterien und Pilze in Kühlschmierstoffen auftauchen. Das „Problem“ löst man heute mit Bioziden, die das Prozesswasser zu Sonderabfall machen. „Könnte man die Kühlschmierstoffe nicht bewirtschaften und das Wachstum erwünschter Mikroorganismen, die dem Kühlschmierstoff zusätzliche Schmiereigenschaften verleihen, fördern und so schädliche Organismen unterdrücken?“ Einen Forschungsantrag, um dem nachzugehen, hat Schwarz bereits gestellt.

Sowohl er als auch Prof. Schenke-Layland und Dr. Grimm vom Netzwerk Biohymed betonen die Potenziale, die im Umdenken Richtung Biologisierung stecken. Sie sind sich einig: Sobald einer vorangeht und zeigt, dass sich mit biologisierten Medizinprodukten Erfolge erzielen lassen, könnte das mittelfristig alle in Zugzwang bringen.

Da Kompetenzen aus vielen Disziplinen gebraucht werden und das die Möglichkeiten vor allem von KMU übersteigt, verspricht der Einstieg in einem Kooperationsprojekt die größten Fortschritte. Wer sich darüber klar werden möchte, ob und was die Biologisierung für das eigene Unternehmen zu bieten hat, könnte alsbald in Stuttgart eine Anlaufstelle finden. Hier soll laut Dr. Schwarz ein Biotransformation Transfer Zentrum entstehen. Das Netzwerk Biohymed ist ebenfalls offen für weitere Partner. Und das NMI in Reutlingen setzt seine Veranstaltungsreihe zur Biologisierung der Medizintechnik im Zwei-Jahres-Rhythmus fort: Im November geht es dort um personalisierte Medizin und Digitalisierung. Vielleicht sind Sie ja offen für eine Zukunft, die nur mit ganz neuen Ideen zu erreichen ist?


Weitere Informationen

Vom BMBF zur Vorstudie Biotrain:
http://hier.pro/C2Bju

Fraunhofer-Broschüre zur Biologischen Transformation:
biotrain.info

Vom BMWi zu Biotechnologie und Bioökonomie:
http://hier.pro/kgxsZ

BMBF und BMWi – über die Arbeiten an der Bio-Agenda, deren Eckpunkte im Sommer 2019 vom Kabinett verabschiedet werden sollen:
http://hier.pro/TMGIw

Bionik und Medizintechnik am Fraunhofer IPA (Dr. Oliver Schwarz):
http://hier.pro/6mX8p

Biomedizintechnik am NMI (Prof. Schenke-Layland):
www.nmi.de/de/biomedizintechnik/

Zum Projekt Biohymed (Dr. Verena Grimm):
www.bioregio-stern.de/de/
projekte/biohymed


Kommentar: Gern diskutieren

Es ist geradezu atemberaubend zu hören, was unter dem Begriff der biologischen Transformation alles in Frage stellt wird. Dogmen von Optimum und maximalem Output geraten ins Wanken. Die Maßstäbe, anhand derer Entscheidungen und Lösungen zu bewerten sind, ändern sich: Erst wenn auch langfristige Konsequenzen und Nebeneffekte bedacht und keine negativen Einflüsse im Gesamtsystem zu erwarten sind, gilt ein Plan als akzeptabel. Klingt, als würden Kriterien, wie wir sie heute für die Arzneimittelzulassung kennen, auf alle Belange von Industrie und Gesellschaft übertragen werden. Wer so etwas vorschlägt, der traut sich was.

Das bedeutet zweifellos mehr Aufwand, von dem heute noch niemand weiß, wie er zu bewältigen wäre, und erfordert neue Herangehensweisen. Allerdings sind sich diejenigen, die diese Diskussion in Gang bringen wollen, sicher, dass das der bessere Weg in die Zukunft ist und ausgetretene Pfade alsbald als Sackgasse enden.

Warum also biologische Transformation? Die Natur hatte Milliarden von Jahren und eine beliebige Anzahl von Versuchen, um zu gut funktionierenden Systemen zu kommen. Die Menschheit hat nicht so viel Zeit – und könnte vom Beispiel der Natur profitieren. Warum sollten wir diese Chance nicht nutzen? Mir wäre eine lebhafte Diskussion willkommen. (op)


Bio… und was damit gemeint ist

Von der Natur zu lernen, ist keine grundsätzlich neue Idee und wird mit der Bionik seit Langem genutzt. Allerdings laufen derzeit Überlegungen, die weiter reichen als einzelne Strukturen oder Formen in die Technik zu übertragen. In diesem Zusammenhang werden mehrere Begriffe verwendet.

  • Bionik:
    Der Begriff umschreibt – in Anlehnung an die Definition von Prof. Werner Nachtigall – vereinfacht gesagt das Lernen von den Ergebnissen der Natur. Das kann sich auf konkrete, sichtbare oder fühlbare Strukturen beziehen (was auch als Biomimetik bezeichnet wird), aber auch auf das Übertragen von Prinzipien wie der Ressourceneffizienz oder den Prozess der Evolution. Letzterer könnte zum Beispiel für Optimierungen bei Algorithmen Pate stehen.
  • Biotechnologie:
    In dieser interdisziplinären Richtung geht es darum, Zellen, Enzyme oder ganze Organismen für Aufgaben zu nutzen, die bisher nur technisch gelöst wurden. Diesen Weg beschreitet die Pharmaindustrie bereits mit Erfolg, und der Ansatz ist auch für die Diagnostik interessant. Im Alltag ließe sich das Herstellen eines Hefeteigs ebenso dazu zählen wie die Produktion von Joghurt.
  • Biologisierung oder
    Biologische Transformation:
    Diese Begriffe beschreiben den gedanklichen Ansatz, über einzelne Projekte und Beispiele hinaus die industrielle Produktion anhand biologischer Vorbilder auszurichten. Dabei spielen zum Beispiel in der Medizin Gedanken eine Rolle, wie sich Produkte und Therapien dem biologischen Original annähern können, sei es durch besondere Materialien, eine Beschichtung mit Wachstumsfaktoren oder das Tissue Engineering. Im allgemeinen industriellen Umfeld wären hierunter auch die Energieeffizienz und das Vermeiden von Abfällen zu fassen, ebenso wie das mögliche Abweichen von bisherigen Lösungsansätzen (Beispiel: Förderung erwünschter Mikroorganismen in Kühlschmierstoffen anstelle eines Biozideinsatzes). Die Digitalisierung liefert hier die Grundlage, um auch biologische Systeme zu steuern.
  • Bioökonomie:
    Der Begriff Bioökonomie ist der am meisten politisch geprägte und soll die Produktion erneuerbarer biologischer Ressourcen und deren Umwandlung in Nahrungs- und Futtermittel, biobasierte Produkte und Bioenergie zusammenfassen.

 

Mehr zum Thema:

Interview mit Dr. Oliver Schwarz zur Biologischen Transformation von Industrie und Gesellschaft

 

 

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