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Abstandsgewirke: Trägerstruktur für 3D-Zellkultur

Tissue Engineering
Abstandsgewirke als Trägerstruktur für 3D-Zellkultur

Abstandsgewirke als Trägerstruktur für 3D-Zellkultur
Ein Abstandsgewirke, das die Forscher am ITA – Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen für den Einsatz im myokardialen Tissue Engineering entwickelten (Bild: Charlotte Büchter)
Im Bereich des Tissue Engineering bieten so genannte Abstandsgewirke diverse Vorteile gegenüber anderen 2D- und 3D-Textilien. Bei ihnen lassen sich mechanische Eigenschaften wie Porengröße und Porosität, sowie Dehnbarkeit in x- und y- Richtung individuell einstellen. Damit können sie die Eigenschaften von nativem Gewebe sehr gut nachahmen.

Charlotte Büchter
RWTH Aachen University
ITA – Institut für Textiltechnik, Aachen

Umgangssprachlich könnte man die Bezeichnung Stoff verwenden, doch greift das in Bezug auf die mannigfaltigen Eigenschaften von so genannten Abstandsgewirken zu kurz. Sie gehören zu den Maschenwaren, werden aber weder gestrickt noch gewebt, sondern gewirkt: Bei Gewirken ergreifen zahlreiche Nadeln einen oder verschiedene Fäden und schlingen Schleifen durch Schlaufen. Das gleicht im Prinzip dem Häkeln, nur eben mit ganz viele Nadeln gleichzeitig und nebeneinander. Beim Abstandsgewirke halten, wie der Name schon sagt, so genannte Polfäden zwei solcher Gewirke auf Abstand, die dritte Dimension entsteht. Damit werden sie für das Tissue Engineering und die Zellkultur interessant, denn sie bieten ein mechanisch stabiles Grundgerüst für dreidimensionale Zellkulturen. Innerhalb des Abstandes bietet das 3D-Textil genug Platz für Zelldifferenzierung und Zellwachstum.

Mit Hilfe von unterschiedlichen Legungsmustern und Kombinationen von Mustern kann man die nötige Porengröße und Porosität für den jeweiligen Zelltypen anpassen, sodass eine optimale Umgebung für die Zellbesiedlung und -kultur entsteht. Des Weiteren besteht die Möglichkeit die Abstandsgewirke, auch Spacer genannt, mit einem Hydrogel zu befüllen, um eine Umgebung gleich der nativen extrazellulären Matrix für die Zellen zu schaffen. Durch die Fasern und die Faserstruktur können den Zellen außerdem mechanische Reize gegeben werden, um damit zum Beispiel Wachstumsrichtung und Differenzierung der Zelltypen zu bestimmen.

Bisherige Ansätze für die 3D-Zellkultur

Bisherige Ansätze zu dreidimensionaler Zellkultur und Nachahmung von extrazellulärer Matrix bestehen hauptsächlich aus Zellbesiedlung von natürlichen Hydrogelen oder dezellularisierter Matrix. Doch natürliche Hydrogele bestehen zum größten Teil aus Wasser. Sie bieten damit keine mechanische Stabilität sowie extrem kurze Degradationszeiten, sodass die Bildung von neuem Gewebe nicht möglich ist. Dezellularisierte Matrices werden aus nativem Gewebe gewonnen und sind daher limitiert verfügbar. Außerdem sind sie nicht sicher reproduzierbar, da die Zellbesiedlung mit Veränderungen der mechanischen Eigenschaften einhergeht.

Am ITA – Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen kombinieren daher Wissenschaftler die dreidimensionalen textilen Trägerstrukturen mit Hydrogelen, um eine bestmögliche Trägerstruktur für eine Zellkultur zu schaffen. Hydrogele eignen sich hervorragend, um den Zwischenraum der Abstandsgewirke zu füllen, da sie den vorhandenen Platz vollständig benetzen. Außerdem bieten sie durch den hohen Wasseranteil eine optimale Umgebung für Zellbesiedlung und -wachstum. Durch die Verwendung von quellenden Hydrogelen können die Forscher den Abstand zwischen den Gewirkeflächen nachträglich erweitern. In welchem Grade ist abhängig von dem Garnmaterial des abstandshaltenden Verbindungsfadens, dem Polfaden.

Myokardpatch: Abstandsgewirk für Herzinsuffizienz

Das Abstandstextil als Grundgerüst bietet die benötigte Festigkeit und ausreichend Zeit vor der Degradation, um die Bildung von neuem Gewebe und Gewebestrukturen zu sichern. Durch die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten in der Wirktechnologie können die Forscher in den Abstandsgewirken die mechanischen Eigenschaften und daraus resultierende Kennwerte wie Zugfestigkeit, Druckfestigkeit und Zugdehnung flexibel an die Bedürfnisse der jeweiligen Gewebezellen anpassen. Des Weiteren bieten die miteinander verbunden Poren des Abstandtextils eine Möglichkeit, die Zellen mit Nährstoffen zu versorgen.

Erfolgreich waren die Forscher am ITA bereits damit, ein Abstandsgewirke für den Einsatz im myokardialen Tissue Engineering zu entwickeln. Dabei handelt es sich um eine Therapiemöglichkeit von terminaler Herzinsuffizienz mit Hilfe einer Ersatzstruktur, dem so genannten Myokardpatch. In der Arbeit untersuchten die Ingenieure die lastgerechte Auslegung der Abstandsgewirke für solche Myokardpatches. Dazu erarbeiteten sie zunächst aus Kennwerten von nativem Herzmuskelgewebe die Anforderungen an das Textil und stellten damit anschließend die morphologischen und mechanischen Kennwerte der Gewirke danach ein. Ein Vergleich der Eigenschaften zeigte eine hohe Übereinstimmung einiger ausgewählter Strukturen mit nativem Gewebe. Des Weiteren konnten die Forscher die Zellbesiedlung der Strukturen mit entsprechenden Herzmuskelzellen nachweisen.

Je nach Anwendungsfall können die Forscher über das Material des Abstandsgewirkes die erforderliche Degrationszeit einstellen. Zum Beispiel liegt diese bei Polycaprolacton (PCL) bei rund zwei Jahren. Es gibt aber auch Materialien, bei denen die Degradationszeiten bei wenigen Monaten liegen. Sollte es einen Anwendungsfall geben, bei dem das Gewirk beständig bleiben soll, so verfügen die Ingenieure auf jeden Fall über Material, das auf jeden Fall biokompatibel, hemokompatibel und nicht cytotoxisch ist, so dass es vom Körper nicht abgestoßen wird.

Noch gibt es wenig veröffentlichte Anwendungen für Abstandsgewirke in der Medizin. Doch die Möglichkeiten dieser Technik sind immens groß und lassen sich leicht übertragen. So erprobten die Ingenieure in Zusammenarbeit mit der Uniklinik Aachen ebenfalls erfolgreich die Anwendung als Weichgewebeersatz, wie zum Beispiel für Knorpel oder Fett. Daher wollen die Wissenschaftler in Zukunft am ITA weiter an Abstandsgewirken, der Wirktechnologie und der Anwendung im Tissue Engineering forschen und mit interessierten Industriepartnern die Technologie in die praktische Umsetzung überführen.


Weitere Informationen

Die Forscher am ITA sind daran interessiert, mit Industriepartnern zusammenzuarbeiten, um ihre Technologie in die Praxis umzusetzen.

Kontakt:
RWTH Aachen Universität
ITA – Institut für Textiltechnik
Charlotte Büchter
Tel: +49 (0)241 80 22102
Mail:Charlotte.Buechter@ita.rwth-aachen.de
www.ita.rwth-aachen.de

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