Formen sich 3D-gedruckte Objekte nachträglich gezielt um, zum Beispiel durch Feuchtigkeit oder Wärme, nennt man das 4D-Druck. Forschende der Technischen Universität München (TUM) und des Medical & Health Informatics (MEI) Lab von NTT Research haben 4D-gedruckte Elektroden entwickelt. Sie umschließen von selbst hauchdünne Nervenfasern, sobald man die Elektroden ins feuchte Körpergewebe bringt.
Tissue Engineering: Roboter für automatisierten 4D-Druck von Gewebe
Mit feinen Elektroden Nerven künstlich stimulieren
Das Nervensystem steuert unsere Bewegungen durch elektrische Impulse. Sie werden von Nervenzelle zu Nervenzelle weitergegeben, bis schließlich beispielsweise eine Muskelkontraktion ausgelöst wird. Nervenzellen lassen sich jedoch auch künstlich stimulieren. Dafür werden Nerven über angelegte oder implantierte Elektroden mit Stromimpulsen angeregt.
Eingesetzt wird die so genannte periphere Nervenstimulation beispielsweise, um chronische Schmerzen oder Schlafapnoe zu behandeln. Auch für Depressionen und Epilepsie gibt es bereits klinische Anwendungen, bei denen der Vagusnerv stimuliert wird. Dieser ist mit einem Durchmesser von mehreren Millimetern verhältnismäßig dick. Schwieriger wird die Stimulation bei haarfeinen Nerven mit zehn bis zu mehreren hunderten Mikrometern, da hier auch die Elektroden entsprechend fein und präzise hergestellt werden müssen. Auch das Einsetzen und Anbringen der Elektrode am Nerv ist im Mikrometerbereich komplizierter.
Living Materials und Hydrogele – verblüffend einfache Lösungen
Im 3D-Druck gefertigt, aber veränderlich im flüssigen Milieu
Die neue Elektrode wird zunächst per 3D-Druck gefertigt. Dadurch lassen sich Form, Durchmesser und weitere Merkmale flexibel justieren. Die äußere Seite besteht aus einem biokompatiblen Hydrogel, das bei Kontakt mit Feuchtigkeit anschwillt. Das Material auf der Innenseite ist flexibel, schwillt jedoch nicht mit an. Durch diesen Aufbau schließen sich die Elektroden bei Feuchtigkeit von selbst ringförmig um die Nerven.
Die strukturierte Titan-Goldbeschichtung auf der Innenseite der Elektroden überträgt die elektrischen Signale zwischen Elektroden und Nervenfasern. „Durch den engen Kontakt zwischen den gefalteten Manschetten und den Nerven können wir mit den Elektroden sowohl Nerven stimulieren, als auch Nervensignale messen“, sagt Bernhard Wolfrum, Professor für Neuroelektronik am Munich Institute of Biomedical Engineering (MIBE) der TUM und Leiter der Studie. Dies erweitert die Möglichkeiten für potentielle Einsatzbereiche.
Bluthochdruck, Epilepsie oder Depressionen mit einem Implantat behandeln
Neue Elektroden sind robust und einfach zu handhaben
Für die neuen Elektroden sind zukünftig verschiedene biomedizinische Anwendungen denkbar, so zum Beispiel eine Verbesserung von Implantaten für Schlafapnoe. Bei dieser Erkrankung fällt die Zunge nach hinten Richtung Rachen und verschließt kurzzeitig die Atemwege. Stimuliert man die Muskeln, die die Zunge nach vorne ziehen, lässt sich das Problem beheben.
Die selbst faltenden Elektroden sind einfach zu handhaben und robust. Das Forschungsteam konnte ihren Einsatz bereits in Heuschrecken demonstrieren, bei denen feine Nerven mit einem Durchmesser von 100 µm ummantelt wurden, ohne die Nerven zu beschädigen. So konnten die Wissenschaftler deren Muskeln gezielt stimulieren.
Aktuell noch im Grundlagenstadium, könnten die Elektroden zukünftig ein wichtiges Mittel sein, um die periphere Nervenstimulation in die breitere klinische Anwendung zu bringen.
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/adma.202210206
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