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„Silber und Kupfer sind vorn dabei“

Antibakterielle Oberflächen: Verbundprojekt zeigt die Möglichkeiten für Kunststoffe
„Silber und Kupfer sind vorn dabei“

Den antibakteriellen Eigenschaften von Kunststoffoberflächen widmet sich ein Verbundprojekt am Kunststoffinstitut Lüdenscheid. Projektleiter Sebastian Meyer erläutert, was generell geht und was für die Medizintechnik wichtig ist.

Herr Meyer, Sie bieten zu antibakteriellen Oberflächen zum zweiten Mal ein Verbundprojekt an. Welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?

Die wichtigste Erfahrung ist wohl die, dass es in diesem Bereich keine Allroundlösung gibt. Die Suche nach dem besten Wirkstoff für eine antibakterielle Oberfläche hängt stark davon ab, welche mechanischen Anforderungen an ein Produkt wie zum Beispiel Türklinken oder Lichtschalter gestellt werden und mit welchen Substanzen – wie zum Beispiel Schweiß – es in Kontakt kommt. Außerdem hat sich gezeigt, dass das Interesse am Thema bei Unternehmen aus der Kunststoffbranche groß ist, von Rohstoffherstellern über Kunststoffverarbeiter bis zu Lackherstellern oder Entwicklungsdienstleistern.
Sie sprechen von antibakteriellen, nicht antimikrobiellen Wirkungen…
In Absprache mit den Projektteilnehmern sind Bakterien das Hauptinteressensgebiet. Substanzen gegen Pilze oder Viren scheinen derzeit am Markt weniger relevant zu sein.
Sie haben bislang drei Ansätze verfolgt: Die Beigabe von Silber, Kupfer und organischen Verbindungen. Wo liegen die Vor- und Nachteile dieser Kandidaten?
Silber wirkt schon in geringen Konzentrationen. Allerdings wird in der Wissenschaft heute bei Bakterien eine mögliche Resistenzbildung gegen Silber diskutiert, und dem menschlichen Körper fehlt ein Ausscheidemechanismus für diese Ionen. Kupfer hingegen kann der Mensch wieder abgeben. Aber wir müssen Kupfer auch in höheren Konzentrationen gegen die Bakterien einsetzen. Organische Verbindungen – wir haben vor allem Guanidin-Derivate untersucht – bereiten zum Teil Probleme, weil sie die hohen Temperaturen beim Spritzguss nicht vertragen. Auch können sie eventuell ausgewaschen oder durch UV-Strahlen beeinträchtigt werden. An solchen Fragen werden wir im Folgeprojekt weiter arbeiten
Welcher Ansatz ist nach heutigem Kenntnisstand am vielversprechendsten?
Es gibt auf dem Markt ein Silberpräparat, das besonders interessant ist. Es verträgt sich aus technischer Sicht mit fast allen Polymeren, verursacht keine Verfärbungen oder sonstige Beeinträchtigungen der Werkstoffeigenschaften. Allerdings ist es auch teuer, so dass ein Unternehmen im Einzelfall entscheiden muss, ob sich dieser Weg für ein neues Produkt lohnt.
Experten betonen, dass die Wirksamkeit von Agenzien nur schwer nachzuweisen ist. Wie deutlich waren Ihre Ergebnisse?
Wir haben im Hinblick auf die Bakterien innerhalb von 24 Stunden Einwirkdauer eine Keimreduktion um drei Log-Stufen erreicht und diese Werte nach international akzeptierten Standards ermittelt. Das sind sehr gute Ergebnisse. Unsere Versuche haben wir an die in der Industrie üblichen Bedingungen angepasst, realistische Verfahren für die Herstellung genutzt und Werkstoffe und Agenzien im Screening kombiniert. Unser Gedanke dahinter: Eine Wirkung lediglich auf einer schwarzen Türklinke nachzuweisen, reicht nicht aus, wenn im Alltag andere Farbgebungen gefragt sind, um ein Produkt auch zu vermarkten.
Welcher Ihrer Ansätze spielt für die Medizintechnik die größte Rolle?
Um das zu beantworten, müssen wir eher nach den Verfahren vorgehen. Seitens der Krankenhaustechniker gibt es zwei klare K.-o.-Kriterien für antibakterielle Oberflächen: Nanotechnologie und Beschichtungen sind nicht erwünscht. Da wir Werkstoffzusätze für den Spritzguss und Lacke getestet haben, ist aus unserem Spektrum der Spritzguss die interessanteste Variante für die Medizintechnik.
Was ist für das Folgeprojekt geplant?
Wir haben festgestellt, dass nicht alle Wirksysteme, die für den Spritzguss angeboten werden, für das Verfahren geeignet sind. Das liegt am thermischen Abbau der Wirkstoffe, an Verfärbungen oder Veränderungen der mechanischen Eigenschaften des Materials – zum Beispiel, weil die Zusätze nicht homogen verteilt sind. Wie sich das optimieren lässt oder in welchen Temperaturfenstern sich die Wirksysteme einsetzen lassen, wollen wir nun untersuchen. Was die Werkstoffe angeht, richten wir uns nach den ersten, umfangreichen Screenings bei Standardmaterialien nun mehr nach den Wünschen der neuen Projektteilnehmer.
Für wen sind die bisherigen Ergebnisse zugänglich?
Wenn sich jemand mit konkretem Beratungsbedarf an uns wendet, können wir auf unsere Erfahrungen zurückgreifen. Teilnehmer am Folgeprojekt erhalten durch uns eine intensive Schulung über den aktuellen Stand der Technik, wobei auch Wissen vermittelt wird, das im ersten Projekt erarbeitet wurde.
Wer kann noch einsteigen?
Wir starten im April. Aber ein späterer Einstieg ist möglich, auch wenn im Unternehmen bislang noch keine Erfahrungen zu antibakteriellen Oberflächen vorliegen.
  • Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
  • Weitere Informationen www.kunststoff-institut.de E-Mail-Kontakt: meyer@kunststoff-institut.de

  • Projektstart
    Im April startet am Kunststoffinstitut Lüdenscheid das zweite Verbundprojekt zu antibakteriellen Oberflächen. Es ist auf zwei Jahre angelegt, in denen neue antibakterielle Wirkstoffe ausgewählt und in Kombination mit verschiedenen Werkstoffen bewertet werden sollen. Inweiweit die europäische Richtlinie für Biozide in diesem Fall zu berücksichtigen ist, wird ebenfalls Thema sein. Modifizierte Kunststoffe und Lacke werden auf ihre Alterungsbeständigkeit und Interaktion mit anderen Additiven untersucht. Auch die Verfahren, mit denen sich antibakterielle Oberflächen herstellen lassen, werden näher charakterisiert.

    Ihr Stichwort
    • Antibakterielle Oberflächen
    • Kunststoffe, Lacke
    • Kupfer, Silber, Organische Wirkstoffe
    • Einstieg von Unternehmen ins laufende Projekt
    • Unsere Webinar-Empfehlung
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