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Kein Karies und kein Schmerz

Neuer Laser-Prototyp: Schmerzarme Zahnbehandlung nur durch Licht
Kein Karies und kein Schmerz

Dem Laser wollen Forscher der Universität Bonn einen neuen Einsatzbereich am Zahnarztstuhl erschließen: Er soll zukünftig anstelle des Bohrers die Karies entfernen. Ohne Vibrationen, ohne Hitze, ohne Schmerz.

Energisch schiebt sich Florian Schelle die Schutzbrille über die Augen und schreitet zur Tat. Mit ein paar Drehungen am Rändelrad bewegt er eine Elfenbeinscheibe in den Strahlengang eines Lasers. Es puckert leise, ein helles Rauchwölkchen steigt auf und verschwindet im Absaugstutzen.

„Pulverisiertes Zahnbein“, kommentiert der Physiker, der an der Universität Bonn gerade den Protoypen eines neuen Laser-Gerätes testet. Nach wenigen Sekunden ist alles vorbei: Der Laser hat eine würfelförmige Ausschachtung in einem zum Test verwendeten Mammut-Stoßzahn erzeugt, der Hohlraum ist kaum größer als ein paar Zuckerkristalle. So präzise würde das kein normaler Bohrer hinbekommen – und das ist einer der Gründe, den Einsatz des Lasers auch für dieses Gebiet der Medizin zu ermöglichen.
Der Physiker Schelle ist daher nicht der einzige, der den Prototypen des neuartigen Therapiesystems nutzt. Mit von der Partie sind Ärzte der Hochschule sowie Partner aus Forschung und Industrie. Die Erwartungen sind groß: Das Gerät soll künftig eine nahezu schmerzfreie und sehr präzise Zahnbehandlung ermöglichen. 6,8 Mio. Euro stellt das BMBF für das Projekt zur Verfügung, das bereits seit 2009 läuft.
„Unser Laser arbeitet mit ultrakurzen Pulsen“, erklärt Florian Schelle. „Das ist auch der Grund, warum man mit ihm Löcher in Zähne bohren kann.“ 500 000 Mal pro Sekunde „tropft“ aus dem Laser ein kleines Lichtpaket, wie Wasser aus einem Wasserhahn. Der Strahl, mit dem die Bonner Forscher arbeiten, besteht aber vor allem aus Dunkelheit. Will man sich die Relationen vor Augen führen, hilft ein Vergleich: Wenn jeder „Lichttropfen“ 2,5 mm lang ist, liegen zwischen zwei Tropfen 600 m Finsternis.
Auch wenn die Gesamtenergie des Strahls nicht besonders hoch ist, bringt er in seinen „lichten Momenten“ für extrem kurze Zeit eine Leistung, die mit der eines modernen Windkraftwerkes vergleichbar ist. Schlägt so ein Lichttropfen mit geballter Wucht auf den Zahn auf, zerreißt er dort die Moleküle. Wärme und Vibrationen werden dabei aber kaum übertragen, und daher dürfte die Methode für Patienten so gut wie schmerzfrei sein.
Das Projekt MiLaDi (Minimal-invasive Laserablation und Diagnose von oralem Hartgewebe) könnte daher für die Zahnheilkunde eine kleine Revolution bedeuten. Und zwar nicht nur deshalb, weil der Lichtbohrer Patienten die Angst vor dem Zahnarztstuhl zu nehmen verspricht. „Wir können den Bohrer beispielsweise mit einem Diagnoselaser kombinieren“, erklärt Projektleiter Professor Dr. Matthias Frentzen von der Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und präventive Zahnheilkunde. „So können wir während der Behandlung analysieren, ob wir uns noch in einem Kariesherd befinden oder schon im gesunden Gewebe – und den Bohrer rechtzeitig stoppen.“
Es gibt heute bereits Laser, die das können. Sie haben aber ein begrenztes Einsatzspektrum, weil jedes Gewebe auf eine andere Lichtfarbe anspricht. Ein Laser, der gut Karies entfernt, eignet sich daher nicht, um altes Füllungsmaterial abzutragen oder die Aussparung für ein Inlay in den Zahn zu präparieren. Nicht so bei ultrakurzgepulsten Lasern. Sie können aufgrund ihrer hohen Leistungsdichte beinahe jedes Material bearbeiten. „Wir wollen eine Art all-in-one-System bauen“, betont Frentzen.
Auch sehr präzise soll der neue Laserbohrer werden. Sein Strahl ist nicht einmal halb so dick wie eine Wimper und damit streng genommen sogar zu fein, um vernünftig zu arbeiten. Die Forscher verpassen ihrem Bohrer daher einen virtuellen Bohrkopf: Sie lenken den Laser über zwei Spiegel so ab, dass er rasend schnell ein frei programmierbares Muster abfährt. „Sehen Sie hier“, sagt Florian Schelle und holt mit ein paar Mausklicks ein aus vielen parallelen Linien zusammengesetztes Quadrat auf den Bildschirm. „Das ist unser Bohrkopf: Der Lichtstrahl fährt die Linien nach und fräst so eine viereckige Aussparung in den Zahn.“ Durch Variation des Musters könnten die Forscher auch runde oder sogar herzförmige Löcher bohren – und das auf hundertstel Millimeter genau.
Fast 7 Mio. Euro stehen bis 2012 für das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt zur Verfügung. Mehr als anderthalb Jahre haben die Bonner Wissenschaftler zusammen mit zwei Industrieunternehmen schon an der Entwicklung des Prototyps gearbeitet. Jetzt geht es vor allem darum festzustellen, welche Pulsparameter sich für verschiedene Materialien am besten eignen und ob der Strahl tatsächlich nur lokal wirkt oder doch auch die Umgebung der behandelten Stelle schädigt. Und vor Tests an Patienten wird auch noch die Frage zu klären sein, ob beim Bohren eventuell gefährliche Substanzen frei werden.
Frank Luerweg Universität Bonn

Wieso Mammut für die Tests?
Für ihre Laserexperimente nutzen die Forscher Stoßzähne von Mammuts. „Elfenbein eignet sich aufgrund seiner dentinähnlichen Struktur besonders gut für unsere Experimente“, erläutert Prof. Frentzen. Stoßzähne von Elefanten sind aus Artenschutzgründen tabu. Im sibirischen Permafrost-Boden sind jedoch Mammut-Stoßzähne zuhauf enthalten und verfügbar. Inzwischen laufen aber schon viele der Tests an Schweinekiefern. Die sind leicht zu bekommen, und die Zähne ähneln denen des Menschen frappierend.

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