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Dünne Plasma-Schichten statt dicker Silikon-Überzüge

Oberflächenbehandlung: Primärverpackungen aus Glas und Kunststoff profitieren
Dünne Plasma-Schichten statt dicker Silikon-Überzüge

Die Behandlung mit Plasma könnte eine Alternative zur Innensilikonisierung von Glasfläschchen und Ampullen werden. Plasma fungiert dabei als Barrieretechnologie oder als Mittel zur hydrophoben Beschichtung.

Zum Abfüllen von Injektions- und Infusionslösungen waren bislang die im Arzneibuch beschriebenen Glasarten I und II das Mittel der Wahl. Doch den Anforderungen für neue biotechnologische Produkte wird selbst die Glasart I aus Borsilikatglas nicht mehr in allen Fällen gerecht. Die Wechselwirkung von Proteinen mit Oberflächen ist das Problem. Denn in diesen Proteinlösungen kann ein großer Anteil des Wirkstoffs durch Adsorption an einer Glaswand verloren gehen. Die Folge: Das Protein kann inaktiv werden. „Selbst bei Borosilikatglas von höchster Qualität kann sich bei empfindlichen Proteinen dieser Effekt zeigen“, weiß Dr. Tobias Kälber, Director Technology and Product Development Coatings bei der Schott AG, Mainz.

Auch können die herausgelösten Glasbestandteile wie Alkaliionen eine pH-Wert-Verschiebung und somit eine Veränderung der Proteinstruktur hervorrufen. Eine weitere Ursache für die Probleme kann die heute übliche Methode der Silikonisierung sein. Im Extremfall löst dies beim Patienten eine Immunreaktion aus. Die Glashersteller sehen sich daher in der Pflicht, Lösungen zu finden, die die Adsorption biologischer Moleküle durch die Medikamente unterbinden. „Dabei gibt es zwei Möglichkeiten“, so Kälber, „entweder verändert man etwas an der Formulierung der wässrigen Lösung – oder man funktionalisiert die Behälteroberfläche.“ Letzeres ist sein Job.
Schott produziert bereits seit gut zehn Jahren mit Siliziumdioxid-beschichtete Glasbehältnisse, genannt Type 1 plus. Dabei bringt das Unternehmen auf das Glas mehrere Lagen Siliziumdioxid-Moleküle an den Innenflächen der Pharmabehälter in einem von ihm patentierten gepulsten Plasmaverfahren, genannt Plasma Impulse Chemical Vapour Deposition (PICVD), auf. Die Gesamtstärke der Schicht liegt bei nur 100 bis 200 nm. Zum Vergleich: Die konventionelle Einbrenn-Silikonisierung ist zwischen 1 und 50 µm dick. Die Auslaugung von natürlich im Glas vorkommenden Ionen liegt dabei unter der Nachweisgrenze.
Bei PICVD spielen drei Komponenten eine Rolle: Plasma, CVD und Mikrowellen. Die Plasmabeschichtung erfolgt bei geringer Temperatur und geringem Energieeintrag – und beschädigt somit auch Kunststoffe nicht. CVD ist aus der Beschichtung komplexer 3D-Substanzen bekannt. Und Mikrowellen sorgen für hohe Beschichtungsraten. Das Verfahren hat Schott in den 80er Jahren entwickelt und in diversen Industriebereichen zur Beschichtung von Massenprodukten aus Glas eingesetzt – etwa zur Innenbeschichtung von Kaltlichtreflektoren, mit denen der Wirkungsgrad von Halogenlampen erhöht wurde. Die jüngste Errungenschaft kommt aus dem Pharma-Verpackungsbereich: Die Plasmabehandlung von Glasbehältern wie Vials durch hydrophobe, also wasserabweisende Schichten bringt Vorteile bei der Haltbarmachung von Medikamenten.
Empfindliche Präparate wie gefriergetrocknete biotechnologische Substanzen werden aktuell der Gefriertrocknung beziehungsweise Lyophilisierung unterzogen. „Mit diesem Verfahren wird auch die Haltbarkeit von Kaffee verlängert,“ erklärt Dr. Kaelber. Dazu wird die Flüssigkeit in einem gewaschenen und sterilisierten Behälter eingefroren, wobei das Lösungsmittel bei geringem Druck sublimiert wird. Ein Elastomerstopfen schließt den Behälter. Unmittelbar vor der Applikation beim Patienten wird das gefriergetrocknete Pulver durch Einfüllen einer Flüssigkeit wieder gelöst und typischerweise mit einer Nadel in eine Einmalspritze aufgezogen. Dr. Kälber: „Die wasserabweisende Oberfläche des Glases verbessert die von Pharmazeuten geforderte Struktur des Kuchens, die mit seiner Funktionalität bei der Resuspendierung in Zusammenhang gebracht wird. Das heißt, das Pulver sieht nicht nur besser aus, auch seine spätere Auflösung im Wasser ist erleichtert.“
Die Verwendung von Silikonöl zur Oberflächenmodifikation von Gefriertrocknungsbehältnissen birgt das Risiko der unerwünschten Verunreinigungen der Lyophilisate nach der Gefriertrocknung. Und auch für parenterale Arzneimittel, die unter Umgehung des Magen-Darm-Kanals dem Körper etwa per Injektion zugeführt werden, ist Silikon ungünstig, da Silikontröpfchen in den Körper gelangen können. Dies betrifft gefriergetrocknete und flüssige Präparate gleichermaßen.
Bislang erstrecken sich die Fortschritte der Plasma-Behandlung vor allem auf Glasbehälter. Doch da das Protein-Problem drängt, sind die Glashersteller mittlerweile auch im Kunststoffsektor sehr aktiv. Insofern ist die Plasma-Behandlung bei diesem Werkstoff auch nur noch eine Frage der Zeit, zumal Schott sein PICVD-Verfahren für unterschiedliche Kunststoffe wie PET, PMMA, PC und COC modifiziert hat. Diese werden insbesondere mit glasähnlichen Oxidschichten wie SiO2 und TiO2 versehen – beispielsweise für Handy-Displayabdeckungen, die dadurch Antikratz- sowie Antireflex-Schichten erhalten.
Für den Kunststoffspritzen-Bereich will Dr. Kälber noch keine Details nennen. Doch dürfte der derzeitige Trend zu Fertigspritzen – insbesondere bei sterilen Fertigarzneimitteln und hochpreisigen Produkten – die Entwicklung beschleunigen. Die Gerresheimer AG, Düsseldorf, hat zu diesem Zweck zunächst unterschiedliche Technologien der Innensilikonisierung optimiert, die etwa den Wänden von Ready-to-Fill-Fertigspritzen die notwendige Gleitfähigkeit verleihen und dabei mit deutlich reduzierten Silikonmengen auskommen. Und noch einen Vorteil hat die Plasmabeschichtung mit hydrophoben Schichten: Vials mit teuren Medikamenten lassen sich effektiver entleeren. Und bei Kunststoffspritzen sorgt sie, wie bisher die Silikonisierung, für ein leichteres Gleiten der beiden Teile. Der Patient bekommt somit eine Injektion kontinuierlich ohne Druckstöße verabreicht.
Sabine Koll Fachjournalistin in Böblingen

Schicht für Schicht

Plasma Impulse Chemical Vapour Deposition (PICVD) bedeutet „Gasphasenabscheidung mit gepulstem Plasma“. Bei diesem Verfahren befinden sich die zu beschichtenden Körper in einer Vakuumkammer, in die ein gasförmiges Beschichtungsmaterial eingeleitet wird. Durch Energieeintrag in Form von Mikrowellen wird ein Plasma in der Kammer gezündet. Dadurch erfolgt eine Zerlegung des Gases. Dies bewirkt die gewünschte Abscheidung, etwa von Oxiden, auf der Oberfläche des Körpers. Zudem wird das Plasma gepulst, also in Intervallen erzeugt. Der Schichtaufbau erfolgt quasi in vielen kleinen Schritten und wird dadurch extrem dicht und homogen. Der Prozessablauf kann exakt gesteuert werden: Zum einen sind sehr niedrige Prozesstemperaturen möglich – selbst bei Raumtemperatur kann noch beschichtet werden. Zum anderen lässt sich die chemische Zusammensetzung des gasförmigen Beschichtungsmaterials zwischen den Pulsen ändern. So werden innerhalb eines Prozessablaufs unterschiedliche Schichten zu einem maßgeschneiderten Multilayersystem kombiniert.

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