Die Aesculap AG, die Chirurgie-Sparte im Konzern B. Braun, hat ungefähr 200 verschiedene Standard-Hüftprothesen im Angebot. Sie unterscheiden sich in ihrer Größe und geometrischen Details. Die vielen Schmiedegesenke, die für die rechte und linke Hüfte gebraucht werden, stellt das Unternehmen in Tuttlingen selbst her. Gebraucht wird jeweils ein Ober- und Untergesenk als Vor- und Fertiggesenk sowie zum Nachpressen.
Darin steckt viel Design- und Programmierarbeit für die unternehmenseigenen Fachleute. Als neue Spezialwerkzeuge für eine noch effizientere Zerspanung auf dem 5-Achs-Bearbeitungszentrum ausgewählt wurden, kam eine Herausforderung hinzu: Es galt, insgesamt 1800 Fräsprogramme neu zu schreiben. Von Hand wären dafür rund zwei Stunden pro Programm erforderlich geworden, was einen gesamten Programmieraufwand von etwa 3600 Stunden bedeutet. Sofort war klar: Das muss schneller gehen.
Mit Hypermill arbeitet Aesculap seit Jahren
Daher nahmen die Tuttlinger Kontakt auf mit den CAM-Spezialisten der Open Mind Technologies AG, Weßling. Mit deren Produkten zur CAM-Programmierung arbeitet der Werkzeug- und Prototypenbau bereits seit Jahren. Mit Hypermill und dem Hypermill Automation Center entstehen so Programme für die 5-Achs-Bearbeitung. Das beschleunigt Programmierung und Zerspanung und senkt so die Kosten. Frank Fedtke, einer der Verantwortlichen im Prototypenbau bei Aesculap, sieht Hypermill schon seit Jahren als „führende Lösung, um fünfachsige Bearbeitungen zu programmieren“.
Zu den im Prototypenbau meistgenutzten Hypermill-Strategien zählt laut Fedtke beispielsweise das „5-Achs-Äquidistante Schlichten“, mit dem sich steile und flache Bereiche in einer Operation bearbeiten lassen. Das Ergebnis sind sanfte und ruckfreie Übergänge zwischen den einzelnen Werkzeugbahnen, wodurch sehr gute Oberflächen entstehen. Daraus resultierten kürzere Nachbearbeitungszeiten, auch wenn die hohen Anforderungen bei Implantaten zu erfüllen seien.
Aesculap und Open Mind: CAM-Projekt für die Schmiedegesenke
Für die umfangreichen Programmieraufgaben in der Fertigung der Schmiedewerkzeuge für Hüftimplantate vereinbarten Aesculap und Open Mind ein gemeinsames Projekt. Die Neuprogrammierung sollte als Dienstleistung bei den Automatisierungsexperten laufen. Diese nutzten dafür ihr Hypermill Automation Center Advanced. Es ist dafür gedacht, Programme für anspruchsvolle, automatisierte Prozesse zu entwickeln. Um solche geht es bei Aesculap, denn die Schmiedegesenke für die Hüftimplantate entstehen auf dem Bearbeitungszentrum auch in mannarmen Nacht- und Wochenendschichten. Die Maschine mit einem Zweifach-Wechseltisch nutzt dafür ein automatisiertes Be- und Entladesystem mit sechs Paletten.
Michael Greisinger, Automatisierungs- und Anwendungsspezialist bei Open Mind, hat das Projekt geleitet. Er erklärt: „Das Hypermill Automation Center Advanced baut auf unserem CAM-System Hypermill und der dazugehörenden CAD-Software Hyper-CAD-S auf.“ Es biete eine Technologie, „die weit über die Automatisierung von Standardgeometriefeatures hinausgeht“. Die Ausprägung der CAD-Modelle spiele dabei eine untergeordnete Rolle. Das Hauptaugenmerk liege auf den Elementen, die ein CAD-Modell enthalten kann. „Mit einer Vielzahl an Vorlagefunktionen können erfahrene Hypermill-Anwender die Prozessschritte festlegen. Damit lassen sich auch komplexe Prozesse definieren und standardisieren.“
Die Programmierprozesse zu automatisieren, lohnt sich laut Greisinger immer dann, wenn Teilefamilien zu zerspanen sind. „Es sollten im Grundsatz mehrere ähnliche Bauteile zu programmieren sein, die sich in ihrer Größe, aber auch in der Anzahl und Form der zu bearbeitenden Flächen, Bohrungen, Gewinden und so weiter unterscheiden.“ Im Hypermill Automation Center Advanced kann der Anwender dann festlegen, welche Operation er für eine bestimmte Geometrie nutzen will. Er kann sogar festlegen, wie das Rohteil positioniert und gespannt wird.
Automatisiert programmieren lief zehn Mal schneller
„Unsere Automatisierungsumgebung“, sagt Greisinger, „kann auf sämtliche Hyper-CAD-S-Befehle und Hypermill-Befehle zugreifen und diese benutzerdefiniert anpassen.“ Oder anders ausgedrückt: „Alles, was sich klicken lässt, kann man auch automatisieren.“
Seitens Aesculap war Anwendungstechniker Thilo Hagen ins Projekt involviert. Er sagt: „Mit dem Hypermill Automation Center haben wir es geschafft, die Programmierzeit von ursprünglich rund zwei Stunden auf zwölf Minuten zu reduzieren.“ Und wenn man es gewohnt sei, mit Hyper-CAD-S und Hypermill zu arbeiten, falle der Umgang mit dem Automation Center Advanced nicht schwer. „In einem dreitägigen Workshop habe ich das an eigenen Projekten erlernt und konnte die erarbeiteten Skripts sofort produktiv nutzen“, sagt Hagen. „Der gesamte Arbeitsablauf ist gespeichert und lässt sich auf künftige Bauteile anwenden. Vom Laden der Step-Datei bis hin zum fertigen NC-Programm läuft alles in Sekundenschnelle vollautomatisch ab.“
So war der Kauf der Software 2022 nur noch Formsache. Seitdem nutzte Thilo Hagen das Automatisierungstool bereits für mehrere Projekte unterschiedlichen Umfangs. Ein Projekt – zur Programmierung von Schaftabdeckungen – sei schon anspruchsvoller. „Dafür spart man sich aber viel mehr Zeit.“ Das gesteckte Ziel wird mit der Software also erreicht.
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