Generative Fertigungsverfahren gewinnen an Bedeutung für die Fertigung kleiner Stückzahlen und komplexer Geometrien. Über die reine Herstellung von zellfreien Bauteilen und Implantaten mit etablierten Druckverfahren hinaus ergeben sich auch neue Möglichkeiten in der regenerativen Medizin.
Im „klassischen“ Tissue Engineering werden dreidimensionale Gerüste mit Zellen besiedelt, um daraus ein Gewebeanalogon reifen zu lassen. Lange Zeit lag hier der Fokus vor allem auf einer möglichst genauen Nachahmung der unmittelbaren Umgebung von Zellen, der sogenannten Extrazellulären Matrix (EZM). Die EZM gewährleistet das langfristige Überleben der Zellen und hat maßgeblichen Einfluss auf Zellfunktionen wie Adhäsion, Proliferation, Migration und Differenzierung. Die Hauptkomponenten der EZM sind Hydrogele und nichtlösliche Polymerfasern, die sowohl als Bindungsstellen und mechanisches Gerüst der Zellen dienen, sowie reversibel gebundene Wachstums- und Differenzierungsfaktoren freisetzen. Daher bilden biomimetische Hydrogele auf der einen und nanoskalige Fasergerüste auf der anderen Seite zwei Hauptforschungsgebiete zur Herstellung künstlicher EZM als optimale Matrizes für die Gewebezucht.
Dieser klassische Ansatz hat jedoch in den meisten Fällen den Nachteil, dass Gewebemimetik jenseits der direkten perizellulären Umgebung, vor allem hinsichtlich des hierarchischen Aufbaus von Geweben, nur sehr schwer darstellbar ist. Die Herstellung genau solcher Strukturen wird nun in immer stärkerem Maß durch generative Fertigungsverfahren möglich, beispielsweise durch das Dispensdrucken von zellbeladenen Hydrogelen. Die Verwendung von biologischen Komponenten wie Proteinen und Zellen zusammen mit synthetischen Materialien zur direkten Herstellung gewebeanaloger Strukturen und die Reifung dieser Konstrukte zu funktionalen Äquivalenten wird als „Biofabrikation“ bezeichnet. Dieses Forschungsgebiet ist jung und entwickelt sich sehr dynamisch, wobei vor allem der Mangel an biokompatiblen und gleichzeitig druckbaren Materialien noch ein großes Problem darstellt.
Der Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe der Medizin und der Zahnheilkunde der Universität Würzburg konnte mit Prof. Dr. Paul D. Dalton die deutschlandweit erste Professur für Biofabrikation besetzen. Eine Kernaktivität des Lehrstuhles besteht in der Synthese, Verarbeitung und Charakterisierung von bioabbaubaren Materialien. So können mittels verschiedener Verfahren Strukturen generiert werden, die sowohl die EZM als auch die Gewebestruktur in ihrer Morphologie, ihrer biochemischen Funktion und ihrem hierarchischen Aufbau bestmöglich nachahmen. Hierzu werden sowohl modifizierte Biopolymere als auch biokompatible und darüber hinaus funktionalisierte synthetische Polymere verwendet.
In dem vom Lehrstuhl koordinierten EU-geförderten Verbundprojekt Hydro Zones werden beispielsweise mit Hilfe generativer Fertigungsverfahren 3D-gedruckte Hydrogele entwickelt, welche dem natürlichen Aufbau von Gelenkknorpel nachgeahmt sind. Generell entsprechen alle aktuell in der Klinik verwendeten Knorpelimplantate nicht der hierarchischen Gewebeorganisation, die für die korrekte biomechanische Funktion des Knorpels essentiell zu sein scheint. Hydro Zones basiert hier zum Beispiel auf der Hypothese, dass die Entwicklung einer zonal aufgebauten hierarchischen Struktur für die Langzeitstabilität und -funktionalität von therapeutisch erzeugtem Knorpel wichtig ist. Zudem ist eine biomimetische zonale Organisation der Implantate essentiell dafür, die native und funktionale Gewebehierarchie zu induzieren und so die Regeneration von dauerhaft funktionellem Knorpel zu ermöglichen.
Neben den etablierten Druckverfahren bietet jedoch auch die Entwicklung neuer oder die Weiterentwicklung vorhandener Technologien großes Potenzial für die Biomaterialforschung. Das elektrostatische Verspinnen von Polymerlösungen ist beispielsweise schon großtechnisch etabliert, um nicht gewebte Nanofaserkonstrukten herzustellen. Aufgrund von hohen Instabilitäten des Fadens in der Flugphase ist es jedoch sehr schwierig, die entstehenden Strukturen in ihrer Morphologie zu kontrollieren. Werden für das Verspinnen jedoch Polymerschmelzen verwendet, dann ist der austretende Jet sehr viel stabiler, und die entstehende Faser kann sehr fokussiert auf dem geerdeten Ziel abgelegt werden. In Kombination mit einer automatisierten, software-gesteuerten Bewegung dieses Kollektors können so hochgeordnete Faserkonstrukte hergestellt werden, deren Maschenweiten zelluläre Dimensionen haben. Dabei sind die kontrolliert abgelegten Fasern nur wenige Mikrometer bis Submikrometer dünn. Das Zellverhalten auf solch geordneten Strukturen in diesem Größenbereich ist weitestgehend unerforscht; es gibt jedoch erste vielversprechende Hinweise, dass solche Strukturen vor allem Einfluss auf den Aktivierungszustand von Immunzellen nehmen. Eine entsprechende Oberflächenstrukturierung von Biomaterialien könnte so ein einfacher Weg zu besser heilenden Implantaten sein.
Prof. Dr. Jürgen Groll Prof. Dr. Paul D. Dalton Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe der Medizin und der Zahnheilkunde, Universität Würzburg
Weitere Informationen Zum EU-Projekt Hydro Zones: www.hydrozones.eu
Ihr Stichwort
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- Fachtagung Forum Medtech Pharma
Biomaterialien
Die hoch dynamische Anwendung generativer Fertigungsverfahren in der Biomaterialforschung ist einer der Schwerpunkte der vom Forum MedTech Pharma e.V. organisierten Fachtagung „Biomaterialien 2014“, die am 20. November 2014 im Julius-Spital in Würzburg stattfinden wird. Das Forum MedTech Pharma ist das größte Netzwerk der Gesundheitsbranche in Deutschland und Europa. Es fördert Kooperationen, vermittelt Kontakte und informiert über Trends und Innovationen auf Fachtagungen, Kongressen und Weiterbildungsveranstaltungen.
Weitere Informationen:
www.medtech-pharma.de Auf der Messe Medica: Halle 3, Stand E92
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