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Auf dem Weg zur individuellen Medizin

Aortenklappenimplantation: Simulationstool visualisiert präoperative Eingriffe
Auf dem Weg zur individuellen Medizin

Kathetergestützte Aortenklappenimplantationen sind zwar minimal-invasiv, aber nicht ohne Risiken. Ein von Feops entwickeltes Tool ermöglicht es, die Eingriffe vorab zu visualisieren. Dabei hilft Simulationssoftware von Dassault Systèmes.

Das Herz wird oft mit einer Pumpe verglichen, die den Blutfluss zwischen den Vorhöfen und den Herzkammern antreibt. Die Herzklappen, die sich mit jedem Schlag öffnen und schließen, regulieren den Druck und den Fluss des Bluts durch den Körper. Leider wird laut der American Heart Association jedes Jahr bei über 5 Millionen US-Amerikanern eine Herzklappenerkrankung diagnostiziert. Hierbei sind am häufigsten die Aorten- und die Mitralklappe betroffen.

Das medizinische Zentrum der University of Maryland schätzt, dass bis zu 1,5 Millionen Menschen in den USA an einer Erkrankung der Aortenklappe leiden. Diese Klappe kontrolliert den Fluss des oxygenierten Bluts vom linken Ventrikel in die Aorta, das heißt, in die Hauptarterie, die Blut zum restlichen Körper transportiert. Ohne Aortenklappenersatz (AVR, Aortic Valve Replacement) überleben 50 % der Betroffenen durchschnittlich nicht länger als zwei Jahre nach Beginn der ersten Symptome. In den USA werden jährlich schätzungsweise 85 000 AVR-Operationen durchgeführt.
Für Patienten, die für einen herkömmlichen AVR-Eingriff am offenen Herzen zu alt oder zu krank sind, stellt die kathetergestützte Aortenklappenimplantation (Tavi) eine immer beliebtere Alternative dar. Dieses Verfahren ist deutlich weniger invasiv, da keine Herz-Lungen-Maschine benötigt wird. Zudem sind Dauer und Anforderungen an die Anästhesie im Vergleich zu einer größeren Operation geringer. Im Rahmen einer Tavi wird ein Katheter in den Körper eingeführt, normalerweise in die Arteria femoralis im Oberschenkel. Dieser wird dann bis zum Herz vorgeschoben, wo eine Ersatzklappe in der nativen Herzklappe positioniert wird. Die Ersatzklappe ist dabei an einer besonderen Gefäßprothese, das heißt an einem Stent, befestigt.
Allerdings sind auch bei der Tavi-Methode Komplikationen möglich: Während des Vorschiebens des Katheters können sich Calciumpartikel von der Wand der Aorta lösen, zum Gehirn wandern und einen Schlaganfall auslösen. Calciumablagerungen auf der nativen Herzklappe können sich in Richtung der Ursprünge der Herzkranzgefäße verschieben und den Blutfluss zum Herzmuskel behindern.
Eine weitere Komplikation ist Insuffizienz. Diese tritt auf, wenn das neue Implantat die Aorta nicht vollständig verschließt, also nicht eng genug an der Aortenwand anliegt. In einem solchen Fall kann trotz geschlossener Aortenklappe Blut an dem Klappenrand vorbei strömen. Gelegentlich kommt es aber auch zu Problemen der elektrischen Weiterleitung, die mit einem Schrittmacher korrigiert werden müssen. Dieser überwacht den im Herzen weitergeleiteten elektrischen Strom, der eine Kontraktion auslöst.
„Es war klar, dass diese Komplikationen durch bessere Tavi-Designs und eine bessere Planung der Prozedur verringert werden können“, sagt Matthieu De Beule, Mitbegründer von Feops. Aus diesem Grund entwickelte sein Unternehmen die Tavi- guide-Technologie und meldete dafür ein Patent an. Taviguide verfolgt laut De Beule das Ziel, das Design und die Planung von Tavi-Produkten und -Prozeduren zu unterstützen und deren Sicherheit und Wirksamkeit zu verbessern.
Das System nutzt präoperative CT-Bilder des jeweiligen Patienten und erstellt daraus digitale 3D-anatomisch korrekte Finite-Elemente-Modelle der Aortenwurzel. Dazu wurde die Simulia Abaqus Finite-Element-Analyse (FEA)-Software von Dassault Systèmes mit firmeneigener Software kombiniert.
„Die Technologie erlaubt den Vergleich verschiedener virtueller Verfahrensalternativen, was eine optimale Vorbereitung auf die eigentliche Operation darstellt“, erläutert De Beule. In Zusammenarbeit mit Prof. Peter de Jaegere vom Erasmus-Medizinzentrum in Rotterdam hat Feops eine retrospektive Pilotstudie durchgeführt. Dabei wurden die Simulationsergebnisse mit Taviguide mit den postoperativen CT-Scans von Patienten verglichen, bei denen eine Tavi durchgeführt worden war. Es zeigte sich eine hervorragende Übereinstimmung zwischen den Simulations- und den postoperativen Daten. „Diese Technologie erlaubt die Wahl des Klappentyps und der Klappengröße je nach Patient“, sagt de Jaegere. „Eine derart individuelle auf den Patienten zugeschnittene Medizin hat das Potenzial, die aktuelle Planung einer kathetergestütztenAortenklappenimplantation deutlich zu verbessern und Komplikationen zu verringern.“
Durch Simulation können laut De Beule viel mehr genaue Daten ermittelt werden als bei streng vereinfachten Labortests. Nun sei es möglich, die Spannung und Belastung der Implantate in der jeweiligen Patientenanatomie besser abzuschätzen. „Dank der Simulationen kann das Verhalten der Ersatzklappe beim Einbringen mit dem Katheter, bei der Implantation und sogar nach Beginn ihrer Tätigkeit im Körper des Patienten vorhergesagt werden“, so De Beule.
Abaqus FEA hat sich bei der Replikation der komplizierten Strukturen und Methoden einer Tavi-Prozedur als äußerst leistungsfähig erwiesen. „Wir verfügen über jahrzehntelange Erfahrungen beim Einsatz von Abaqus speziell für minimal-invasive kardiovaskuläre und Gefäßimplantate“, so De Beule. „Abaqus kann die Komplexität einer Tavi-Prozedur sowie der benötigten Implantate genau simulieren. Daher können wir sehr viel Vertrauen in die Ergebnisse haben.”
Obwohl Taviguide derzeit noch auf die CE-Kennzeichnung wartet und daher noch nicht in der klinischen Praxis verwendet werden kann, sagt De Beule bereits jetzt eine Anwendung dieser Technologie in vielen Bereichen voraus. Der Mitbegründer des Unternehmens ist überzeugt davon, dass dieser technologische und personalisierte Ansatz nicht nur bei zusätzlichen Herzimplantaten zur Anwendung kommen wird. Der Simulationsrahmen könne auch Herstellern von Medizinprodukten bereits in den frühen präklinischen Stadien der Entwicklung neuer kardiovaskulärer Produkte helfen. De Beule: „Damit nähern wir uns der Idee virtueller klinischer Prüfungen.“
Jutta Treutlein Dassault Systèmes, Stuttgart
Weitere Informationen Zum belgischen Entwickler für kardiovaskuläre Produkte und Verfahren: http://feops.com/ Zum Anbieter der Simulationssoftware: www.3ds.com

Ihr Stichwort
  • Kathetergestützte Aortenklappenimplantation (Tavi)
  • Digitale 3D-anatomisch korrekte Finite-Elemente-Modelle
  • Individuelle Wahl des Klappentyps
  • Idee: Virtuelle klinische Prüfungen
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