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Additive Fertigung ist noch doppelt so teuer wie die Standardfertigung

Kunststoff: Konstruktionswerkstoff mit hohem Innovationspotenzial
Additive Fertigung ist noch doppelt so teuer wie die Standardfertigung

Additive Fertigung ist noch doppelt so teuer wie die Standardfertigung
Daniel Kaltbeitzel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen und Fachmann für den Bereich Medizintechnik
Kunststoffe haben aufgrund ihrer Eigenschaften und ihrer Fähigkeit zur Funktionsintegration für die Branche stark an Bedeutung gewonnen. Daniel Kaltzbeizel vom Institut für Kunststoffverarbeitung über Trends, Schwierigkeiten und Projekte.

Herr Kaltbeitzel, was sind die aktuellen Strategien für die Kunststofftechnik in der Medizintechnikbranche?

Das breite Anwendungsspektrum der Kunststoffe, erzielbar durch eine geeignete Kombination von Ausgangsmaterial, Herstellungsverfahren und Additiven, zeichnet die Kunststoffe gegenüber allen übrigen Konstruktionswerkstoffen aus und macht sie für den jeweiligen Verwendungszweck optimal einstellbar. Ihr Einsatz ermöglicht der Medizintechnikbranche ein hohes Innovationspotenzial. Präzise Massenfertigung, kombinierte Produkte und patientenindividuelle Implantate sind nur einige Beispiele.
Mit welchen Regularien muss sich die Branche dabei beschäftigen?
Die Anforderungen für Hochrisikoprodukte wie Implantate haben sich deutlich verstärkt. Heute wird eine Rückverfolgbarkeit für 20 Jahre für alle aktiven und nicht aktiven Implantate wie Herzklappen, nicht resorbierbare Gefäßprothesen und -stützen, Gelenkersatz für Hüfte und Knie, Wirbelkörperersatzsysteme und Bandscheibenprothesen oder Brustimplantate gefordert. Zudem verschärft die geplante Zusammenführung von Prozess- und Produktnormen die Zulassungshürden. Ein wichtiger Punkt sind hier auch die Medical-Grade-Materialien. Die Absicherung, die Rohstofflieferanten über diesen Begriff versuchen zu bekommen, ist meines Erachtens nach fragwürdig, da es keine Standards oder Regularien dafür gibt, was ein „Medical Grade“ ist. Zwar können Biokompatibilität und Zytotoxizität für die Rohmaterialien zertifiziert werden, aber der Einfluss der Verarbeitung und die Kombination mit anderen Materialien sind dadurch nicht abgedeckt und gewährleisten keine Zulassung des Produktes.
Welche Verarbeitungstechnologien sind derzeit Stand der Technik?
Durch verschiedene Verarbeitungsprozesse und die vielfältigen Materialeigenschaften lassen sich höchst unterschiedliche Bauteile und Anforderungen realisieren. Für die Medizintechnik gängige Verfahren sind unter anderem Spritzgießen, Extrusion, Laser- und Ultraschallschweißen, beispielsweise von Membranen in IV-Systemen sowie Kleben, beispielsweise von Schläuchen an Konnektoren. Weitere aktuelle Verfahren sind die CFK-Verarbeitung für Exoprothesen, das Drehen und Fräsen beispielsweise beim PEEK-Zahnersatz, das Spray- und Dip-Coating von Polymerlösungen für die Beschichtung von Stents sowie das Laserschneiden, beispielsweise bei Gefäßprothesen.
Welche Tätigkeitsfelder deckt das IKV ab?
Kunststoffe entwickeln sich dank ihrer besonderen Eigenschaften rasant weiter und erobern immer mehr Einsatzgebiete – auch in der Medizin. Das IKV beschäftigt sich deshalb seit Jahren unter anderem intensiv mit der Entwicklung neuer Medizinprodukte, welche zum einen die Defizite bestehender Produkte beseitigen und zum anderen neue Therapiemöglichkeiten bieten. Dabei beschäftigen wir uns mit den meisten gängigen Verarbeitungsverfahren für Kunststoffe – allerdings ohne Kleben, Coatings und die spanende Bearbeitung von Kunststoffen.
Und wo sehen Sie aktuell die größten Hindernisse – und warum?
Langwierige Zulassungsverfahren behindern beispielsweise auch bei kleinen Änderungen technologischer Natur die Einführung neuer Technologien. KMUs müssen ihr Geld mit bestehenden Produkten verdienen, deshalb bleiben sie trotz einer möglichen Verbesserung, wie vielleicht beim Material oder der Produktionstechnologie, lieber beim Standard. Eine Neu-Zulassung kostet für sie Zeit, in der nichts verdient wird, und Geld.
Wie erfolgreich werden künftig Kombinationstechnologien für Kunststoff und Metall in der Medizintechnik sein?
Aufgrund von notwendigen Haftvermittlern bei flächigen Bauteile oder nicht biokompatiblen Legierungen bei aus der Schmelze hergestellten Verbindungen sehe ich den Einsatz bislang eher gering. Eine Materialzulassung ist aufgrund der Chemie schwierig. Standard ist natürlich das Einlegen von Metall, beispielsweise bei Nadeln, und das Umspritzen zur formschlüssigen Verbindung. Generell haben die Kombinationstechnologien ein sehr hohes Potenzial, aber sie erfordern die Zertifizierung zur cGMP/GMP, um erfolgreich eingesetzt zu werden.
Welchen Stellenwert hat aus Ihrer Sicht derzeit die additive Fertigung?
Das Verfahren wird meiner Meinung nach zu sehr in den Vordergrund gestellt, da die Umsetzung von patientenindividuellen Daten, beispielsweise für Implantate, herausfordernd ist und ein Teil nicht zeitnah im OP gefertigt werden kann. Viele Kunststoffmaterialien sind noch Spezialentwicklungen ohne Biokompatibilität und Zulassung. Die Oberflächen sind, je nach Verfahren, häufig zu schlecht und das Stützmaterial unter Umständen giftig, und vollständige Organe aus dem 3D-Drucker sind noch Science-Fiction. Bei Zahnprothesen und Teilen des Kniegelenks ist die additive Fertigung schon verbreitet, aber zurzeit noch doppelt so teuer wie die Standardfertigung. Für Luftröhrenstents oder Schädelplatten gibt es Entwicklungen, wobei die Einordnung des 3D-Druckes hinsichtlich der Regularien und somit die Zulassung noch Hürden darstellen.
Woran forscht das IKV aktuell?
Die Kunststoffverarbeitung ist ein weites Feld, und so ist das IKV in seinen Forschungsaktivitäten entsprechend breit aufgestellt. Aktuelle Projekte sind unter anderem Drug-Release aus resorbierbaren Kunststoffen, beispielsweise zur Behandlung der überaktiven Harnblase und Sonderverfahren für Silikon im Spritzgießen, zum Beispiel die Fluidinjektionstechnologie für Mikrohohlkörper. Außerdem arbeiten wir zurzeit mit Partnern an Textil-Silikonstrukturen als Implantat für das vordere Kreuzband im Knie. Die Entwicklung der neuen Verbundstruktur aus belastungsoptimierten Flüssigsilikon-Komponenten und geflochtener 3D-Struktur könnte eine Alternative zu den konventionellen Operationstechniken bieten.
Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit gibt es für interessierte Firmen?
Unternehmen und Partner, die an einer gemeinsamen Forschung interessiert sind, können sich bei uns melden. Die Ausstattung des IKV mit seinen vier Technika sowie seinen Laboren, den modernsten Anlagen und dem Zentrum für Kunststoffanalyse und -prüfung ist nahezu einzigartig.
Weitere Informationen Zum Institut für Kunststoffverarbeitung und zu den Forschungsschwerpunkten: www.ikv-aachen.de

Ihr Stichwort
  • Breites Anwendungsspektrum
  • Massenfertigung, kombinierte Produkte, Funktionsintegration
  • Verschärfte Zulassungshürden
  • Verschiedene Verfahren zur Verarbeitung
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