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So passt der Hai in die Datei

Additive Fertigungsverfahren: Riesige Datenmengen für kleinste Strukturen werden handhabbar
So passt der Hai in die Datei

Feinste Strukturen wie die in der Haifischhaut können Konstrukteure künftig freier nutzen. So genannte Selective Space Structures senken den Aufwand für das Erstellen der CAD-Daten, und moderne Fertigungsverfahren lassen die Idee in Stahl oder Titan Gestalt annehmen.

Kleine Struktur, große Wirkung: Dass Schmetterlingsflügel so steif und leicht sind, liegt an ihrer Mikrostruktur. Eine nahezu ideale Strömung ermöglicht die fein strukturierte Haihaut, und die strukturierte Oberfläche der Lotosblätter macht das Anhaften von Schmutz unmöglich. Solche Effekte sind auch für die Medizintechnik nützlich. „Mit gezielt gewählten Strukturen wie den Selective Space Structures lassen sich Kräfte besser zwischen Knochen und Implantat übertragen“, berichtet Johannes Ullrich, Vertriebsleiter der Parsberger FIT GmbH. Zudem könne mittels kleinster Strukturen das Wachstum von Knochen gezielt geführt werden, oder es entstehen Leichtbauimplantate, die hoch belastbar sind.

Gründe genug für die Bioniker, nach Wegen zu suchen, solche natürlichen Strukturen nachzubauen. Mit der Methode der Selective Space Structures, kurz 3S, gelingt ihnen das, obwohl es gewaltige Datenmengen zu verwalten gibt. Denn um einen strukturierten, dreidimensionalen Körper zu beschreiben, wird ein Bauplan aus Zellbereichen und Zellbeschreibungen benötigt. „Im klassischen CAD ist ein Bauteil aber nur bei einfachen Strukturen als 3D-Körper zu konstruieren“, erläutert Johannes Ullrich. „Mit Größe und Komplexität steigt das Datenvolumen enorm.“
Überschlägig ergebe sich etwa bei der doppelten Strukturkomplexität in allen drei Raumrichtungen, der halben Zellgröße und der doppelten Bauteilgröße – also ((23)3)3 – rund das 135-millionenfache Datenvolumen. Sowohl das Erzeugen als auch das Weiterverarbeiten dieser Datenmengen, die in Gigabyte bemessen werden müssen, ist nicht möglich. Ein Trost für die Bioniker ist aber, dass einige wenige Grundbausteine genügen, um solche Strukturen aufzubauen. „Erst die periodische Redundanz in der Strukturberechnung macht solche Daten handhabbar“, so Ullrich weiter.
Um die Daten in den Griff zu bekommen, seien sechs Schritte erforderlich:
  • Strukturdefinition – basierend auf einem Stabwerk werden Elementarzellen definiert,
  • Bauteilanalyse – das Bauteil wird in Funktionsbereiche (Fragmente) zerlegt,
  • Zuordnung von Strukturen – die Bauteilfragmente werden den definierten Elementarzellen zugeordnet,
  • Strukturgenerierung – darauf aufbauend setzt der Anwender die Gesamtstruktur zusammen, mit Übergängen zwischen verschiedenen Strukturtypen und -größen,
  • Postprocessing – nichtperiodische Elemente, die nur einmal auftauchen, lassen sich sehr einfach und schnell hinzurechnen; Beispiele dafür sind solide Schalen, Flächenanbindungen für Stützstrukturen oder etwa Kanalstrukturen, und es folgt die
  • Datenerstellung – basierend auf diesen Informationen werden die für die Fertigung mit einem Aufbauprozess benötigten Daten generiert.
Das Software-Modul 3S Executor der Parsberger kann den Anwender dabei unterstützen. 3S-Bauteile lassen sich auf diese Weise fertigungsgerecht in allen drei Raumrichtungen profilieren. Zudem können Stabwerke und Geometrieelemente kombiniert und Strukturen einfach an funktionelle Aufgaben angepasst werden. Das Automatisierungsmodul kann den Prozess samt den darauf folgenden Schritten auch vollständig automatisiert ablaufen lassen. „So wird der effiziente Einsatz im Alltag möglich“, erläutert Vertriebsleiter Ullrich. Zudem gestatte ein Oberflächenmodul das Manipulieren von Flächen, Kanten und Ecken, und diverse Assistenten würden dabei helfen, zum Beispiel Zusatzstrukturen manuell einzufügen.
„Wir stehen erst am Beginn des Einsatzes der Selective Space Structures“, so der FIT-Mitarbeiter weiter. „Da unendlich viele Grundbausteine verfügbar sind, die sich untereinander kombinieren lassen, können Bauteile generiert werden, die zahlreichen Anforderungen genügen.“ Mit solchen Strukturen könnten Kräfte einfach und effizient gelenkt werden, Kühl- und Filtersysteme entstehen sowie mehrere Funktionen in einem einzigen Bauteil umgesetzt werden. „Anwendungsmöglichkeiten finden sich so nicht nur bei Implantaten und Prothesen, sondern auch bei medizinischen Instrumenten“, fährt Ullrich fort. „Bestimmte Gitterstrukturen oder eine definierte Porosität sind kein Problem.“
Mit der Methode der Selective Space Structures können nicht nur die entsprechenden Daten mit vertretbarem Aufwand erzeugt und verarbeitet werden, sondern die Bauteile lassen sich auch wirtschaftlich erzeugen – selbst wenn es sich um Unikate oder Kleinserien handelt. Möglich machen das die aus dem Bereich der Rapid-Technologien bekannten generativen Verfahren, hier insbesondere das Elektronenstrahl-Schmelzen.
Prinzipiell wird dabei das pulverförmige Ausgangsmaterial selektiv aufgeschmolzen und das Bauteil schichtweise aufgebaut. Je nach Verfahren dient als Energiequelle neben dem Elektronenstrahl auch ein Laser. Als Werkstoffe eignen sich Metalle wie Titan, Edelstahl oder Kobalt-Chrom-Legierungen, aber auch Kunststoffe wie Polyamid.
„Möglich sind feinste Strukturen bis hinab zu 200 Mikrometer Strukturbreite“, sagt Johannes Ullrich. So ließen sich auch natürliche Körper samt ihrer Eigenschaften nachbauen. „Grenzen setzt dabei nur die schöpferische Kompetenz des Konstrukteurs, nicht die Leistungsfähigkeit eines CAD-Systems oder Herstellverfahrens.“
Michael Corban Fachjournalist in Nufringen
Weitere Informationen Zum Software-Modul: http:\3s.addfabb.com Zum Unternehmen: www.pro-fit.de

Ihr Stichwort
  • Mikrostrukturen
  • Bionik
  • Katalysatoren
  • Leichtbau
  • Belastungsgerechte Konstruktion

  • Mehr Leistung
    Neben dem Laserstrahl eignet sich auch der Elektronenstrahl als Energiequelle für das Versintern – also das partielle Verschmelzen – von Metallpulvern. Dadurch ist eine deutlich höhere Leistung verfügbar, was die wirtschaftliche und schnelle Verarbeitung hochfester Stähle ermöglicht. Anlagen für das so genannte Elektronenstrahl-Schmelzen (EBM) baut unter anderem die Arcam AB aus dem schwedischen Mölndal.
    Schicht für Schicht wird hier das pulverförmige Ausgangsmaterial entsprechend dem Bauplan aufgeschmolzen, so dass nach und nach das gewünschte Bauteil entsteht. Üblicherweise lassen sich so mehrere Teile gleichzeitig generieren. Im Vakuum bleiben die chemische Zusammensetzung und damit auch die Materialeigenschaften – selbst bei reaktionsfreudigen Titan-Legierungen – unverändert.
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