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Die Implementierung der Medical Device Regulation, der Verordnung (EU) 2017/745 (MDR) über Medizinprodukte, markierte 2017 einen Wendepunkt in der Regulierung von Medizinprodukten in der Europäischen Union. Trotz aller guten Absicht, damit die Sicherheit und Wirksamkeit von Medizinprodukten zu erhöhen, könnte man momentan leicht zu dem Schluss kommen, dass die MDR für Medizinproduktehersteller vor allem ein regulatorischer Dschungel mit hohen Kosten und wenig Nutzen sei. Das wäre aber nur zum Teil und bei oberflächlicher Betrachtung richtig, denn es gibt bei der MDR, aber auch an anderer Stelle interessante regulatorische Wechselwirkungen mit anderen Märkten.
Erkennbar wird das durch Programme wie das Medical Device Single Audit Program (MDSAP). Dieses Programm, initiiert von der International Medical Device Regulators Forum (IMDRF), zielt darauf ab, die Effizienz und Effektivität der regulatorischen Überprüfung von Medizinprodukten zu steigern. Für die Hersteller kann das die Prozesse rund um Qualitätssicherung und Zulassung erheblich vereinfachen. Statt sich einzelnen Audits für jedes Land zu unterziehen, deckt ein MDSAP-Audit die grundlegenden regulatorischen Anforderungen für Australien, Brasilien, Kanada, Japan und die USA ab.
Erfolgreich absolviertes MDSAP-Audit ist ein Vertrauenssignal
Dies spart nicht nur Zeit und Ressourcen, sondern minimiert auch die operative Belastung. Ein weiterer Effekt: Ein erfolgreich absolviertes MDSAP-Audit vermittelt den Regulierungsbehörden ein starkes Vertrauenssignal, sowohl was das Qualitätsmanagement eines Herstellers angeht als auch seine Compliance-Strukturen. Dies kann die Markteinführungszeit verkürzen. Inzwischen hat sich das Programm als feste Größe in der regulatorischen Landschaft etabliert. Regulatorisch verpflichtend ist es ausschließlich in Kanada.
Kanada: Nachfrage nach hochwertiger Medizintechnik für ein weites Land
Die Arbeiten am MDSAP haben gezeigt, dass sich selbst Anforderungen bis dato als inkompatibel geltender Zulassungssysteme integrieren lassen. Für Hersteller ist es daher eine sehr gute Schablone, eigene QM-Systeme nach diesem Muster umzustrukturieren. Eine Erweiterung um weitere Zulassungsprogramme ist im Baukastenprinzip möglich. Der Blick kann dabei nach Europa gehen, aber auch beispielsweise zur National Medical Products Administration (NMPA) in China – und scheinbare regulatorische Abgründe werden nicht mehr als unüberwindbar wahrgenommen.
Medizinprodukte-Zulassung in China kostet Hersteller viel Zeit und Geld
FDA und EU-MDR: Inhaltlich näher als man denkt
FDA und Europa beispielsweise stehen sich seit der Einführung der MDR inhaltlich sogar wesentlich näher als noch in der Vergangenheit. Momentan lässt sich der US-amerikanische Medizinproduktemarkt zwar sehr gut für das schnelle Sammeln erster Erfahrungen bei Innovationen und neuen Medizinprodukten nutzen. Das liegt daran, dass bei der FDA im Rahmen des so genannten 510(k)-Verfahrens schnelle Produktzulassungen möglich sind, sofern technische Parallelen zu bereits zugelassenen Produkten gezogen werden können. Ihren Fokus legt die Behörde auf nachgelagerte Marktüberwachungsmaßnahmen, wie beispielsweise Herstellerinspektionen und das Meldesystem zu Marktvorkommnissen.
Die MDR hingegen verlangt immer eine gründliche Vorabprüfung der Hersteller und ihrer Produkte. Auch ein „Grandfathering“ früherer Zulassungen schließt sie weitestgehend aus. Das führt dazu, dass der EU-Marktzugang als zeitaufwendiger und kostenintensiver gilt.
Vorteile der FDA-Verfahren – und was die Behörde ändert
Auch ist es der FDA zuletzt gelungen, die Zulassungsverfahren transparent und in ihren Ergebnissen vorhersehbarer zu gestalten. Eine offensive und qualitativ hochwertige Informationspolitik hat dazu beigetragen. Dadurch hat sich der US-amerikanische Markt für Medizinprodukte im Vergleich zum europäischen Zulassungssystem als attraktive Alternative positioniert, insbesondere für die Erstzulassung innovativer Medizinprodukte.
Ende Januar 2024 hat die FDA darüber hinaus angekündigt, künftig auch die international etablierte Norm ISO 13485 zum Qualitätsmanagement explizit im Rahmen ihres Zulassungsverfahrens zu berücksichtigen. Das ist ein konsequenter Schritt und ein deutliches Signal an Hersteller, welche weiteren Entwicklungen an dieser Stelle zu erwarten sind. So ist davon auszugehen, dass andere Jurisdiktionen der Initiative folgen und ihre Zulassungsprogramme entsprechend aktualisieren werden, um den Anschluss an diese globalen Standards nicht zu verlieren. Für Hersteller bedeutet dies, dass eine FDA-Zulassung unter Berücksichtigung der ISO 13485 nicht nur den Weg in die USA, sondern auch in andere Länder erleichtern kann, da die Harmonisierung der Anforderungen global voranschreitet.
Nicht nur MDSAP: Auch MDR-Zertifizierung erschließt Märkte
Abgesehen von den Unterschieden zwischen den USA und Europa bei innovativen Produkten bietet das Europäische System der Zertifizierung gemäß EU-MDR aber auch die Möglichkeit, andere Märkte zu erreichen. Schnelle Wachstumspotenziale ergeben sich zum Beispiel, wenn sich ein Unternehmen über eine europäische CE-Kennzeichnung weitere Schlüsselmärkte wie Australien erschließt – oder auch die Märkte in der Schweiz, der Türkei oder im Vereinigten Königreich.
Doch wie so oft gibt es einen kleinen Haken ob der unzähligen Möglichkeiten: Man kann nur dann vieles leisten, wenn man seine Zeit recht zu nutzen weiß. Je komplexer die Vorgaben werden, desto wichtiger ist es, als Hersteller eine agile Haltung zu regulatorischen Themen und Entwicklungen einzunehmen. Die Zeiten von Universallösungen sind spätestens mit der Einführung der MDR vorbei
Lösungen, die einst als universell anwendbar galten, müssen nun kritischer hinterfragt werden, um die Kosten-Nutzen-Bilanz für ein spezifisches Unternehmen oder Produkt zu optimieren. Hersteller müssen heute ihre Implementierungsstrategien aus einer übergeordneten Perspektive überprüfen. Aspekte wie regulatorische Anforderungen, Qualitätsmanagement, klinische Bewertung und Marketing müssen in einem Kontext betrachtet werden. Nur so können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Produkte nicht nur den regulatorischen Anforderungen entsprechen, sondern auch effektiv und effizient auf den Markt kommen können.
Expertenteams und Regulatory Intelligence gehört die Zukunft
Die Zukunft gehört daher cross-funktionalen Expertenteams, die sich kontinuierlich zu Fragen der Regulatory Affairs und Clinical Affairs austauschen, auch Klinische Anwender, Medical Writing, Produktentwicklung, Compliance und Sales einbeziehen. Sie können vollständig in-house angesiedelt sein oder – zumindest im ersten Schritt – mit externer Unterstützung gebildet werden.
Auch Investitionen in „Regulatory Intelligence“ werden sich immer stärker bewähren – Investitionen also in das Sammeln, Analysieren und Verbreiten von Informationen über regulatorische Anforderungen, Strategien und Richtlinien. Regulatory Intelligence wird dabei helfen, relevante Trends und Änderungen frühzeitig zu erkennen und aus diesem Wissen strategische Entscheidungen abzuleiten.
Regulatory Intelligence: Auch interessant für Themen wie KI
Das gilt im Umgang mit innovativen Technologien wie künstlicher Intelligenz ebenso wie bei neuartigen Sterilisationsverfahren oder der Implementierung eines proaktiven Systems zur Marktüberwachung. Wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen werden künftig insbesondere durch einen holistischen Blick auf regulatorische Rahmenbedingungen hervorstechen – und durch die Fähigkeit, sich agil und kompetent in verschiedenen regulatorischen Räumen bewegen zu können.
EU-MDR – aktuelle Situation
Mit Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2017/745 (MDR) am 25. Mai 2017 hat diese die bisherige Medizinprodukte-Richtlinie 93/42/EWG (MDD) sowie die Richtlinie über aktive implantierbare Medizinprodukte 90/385/EWG (AIMDD) abgelöst. Damit stellt sie Hersteller und Vertreiber nicht nur in Europa, sondern weltweit vor erhebliche Herausforderungen. Denn die global aufgestellte Medizinprodukteindustrie muss ihre bestehenden Strukturen an diese Regulierung anpassen.
Wie zuvor die nun abgelösten Richtlinien fordert auch die MDR von Herstellern ein umfassendes Qualitätsmanagement-system (QMS) in Einklang mit den Anforderungen, die in der ISO 13485 beschrieben sind. Aber in vielen Punkten geht sie weit darüber hinaus.
Dabei rückt vor allem die lebenszyklusübergreifende Gesamtbetrachtung und Nachverfolgbarkeit der Produkte in den Fokus. Zu erkennen ist das beispielsweise
- an konkreteren Anforderungen an die Marktüberwachung,
- verkürzten Meldefristen und
- der Registrierungspflicht in der neu eingeführten Eudamed-Datenbank.
Aber auch die Anforderungen an den Umfang der Technischen Dokumentation, insbesondere im Zusammenhang mit der Gewinnung und Verwendung klinischer Daten, sind gestiegen.
Die Umsetzung bringt enorme Herausforderungen für betroffene Hersteller mit sich, denn die Thematik ist komplex, und bei der Kapazität der Benannten Stellen, die bei der Zertifizierung beteiligt sind, gibt es Engpässe.