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Nachhaltigkeit: Das Potenzial der „grünen“ Dialyse nutzen

Nachhaltigkeit
Das große Potenzial der „grünen“ Dialyse

Das große Potenzial der „grünen“ Dialyse
Prof. Joachim Beige ist Geschäftsleiter Medizin und Leitender Arzt im Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation (KfH) e.V. sowie Forschungsbeauftragter und Prüfarzt im Klinikum St. Georg gGmbH und ehrenamtlicher Vorsitzender der Gerätekommission in der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) e.V. (Bild: Pof. Joachim Beige)
Die Dialyse als medizinische Therapie verbraucht sehr viel Energie, Material und Wasser. Bei ihr wirken sich daher Einsparungen besonders deutlich auf den CO2-Fußabdruck aus. Wie konkrete Lösungen für mehr Nachhaltigkeit aussehen und wo es noch Einsparungspotenziale gibt, erläutert Prof. Joachim Beige. Er ist Geschäftsleiter Medizin und Leitender Arzt im Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation (KfH) e.V.

Anke Biester
Fachjournalistin in Memmingen

Herr Professor Beige, warum muss die CO2-Bilanz globaler Gesundheitssysteme verbessert werden?

Allgemein wird geschätzt, dass das gesamte Gesundheitssystem ungefähr zehn Prozent des weltweiten CO2-Fußabdrucks ausmacht. Wie groß hierbei der Anteil der Nephrologie ist, weiß man noch nicht genau. Aber wenn Sie bedenken, dass es in Deutschland etwa 80 000 langfristig zu behandelnde Dialyse-Patienten gibt, und die Hämodialyse eine Methode ist, die ein Mensch sein Leben lang dreimal die Woche vollzieht, dann ist das in Bezug auf Energie, Wasser und Medikamente ein sehr großer CO2-Fußabdruck. Meine persönliche Motivation war das Buch von Bill Gates ’How to avoid a climate disaster’. Er empfiehlt darin, in seinem persönlichen Umfeld zu schauen, wo es einen Punkt mit mehr als zehn Prozent Anteil am eigenen CO2-Fußabdruck gibt, und dort sollte man anpacken. In meinem beruflichen Umfeld, der Dialyse, ist dies der Fall.

Können Sie das anhand von Zahlen verdeutlichen?

Pro Hämodialyse verbrauchen wir rund 6 bis 10 kW/h Strom und etwa 200 Liter Wasser. In CO2 umgerechnet sind das 6 bis 7 Tonnen pro Jahr und Patient. Das entspricht in etwa seinem privaten CO2-Verbrauch. Das heißt, der Patient verdoppelt durch die Dialyse seinen CO2-Fußabdruck. Um bei Bill Gates zu bleiben: das sind deutlich mehr als 10 Prozent.

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Was versteht man unter grüner Dialyse?

Das ist nur ein Schlagwort. Es geht darum, die Dialyse zu ökologisieren. Wenn das von der Klimarahmenkonvention, der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC), in Paris beschlossene Ziel einer Treibhausgas-Neutralität bis 2050 erreicht werden soll, ist die Dialyse eine der vielen und vor allen Dingen effektiven Stellschrauben. Wobei: Die effektivste Stellschraube ist natürlich, durch Prävention Dialysejahre zu sparen.

Wie sieht eine grüne, also nachhaltige, Dialyse aus?

In meinem Dialyse-Zentrum haben wir 2014 etwa 6,5 Tonnen CO2 verbraucht. Durch eine Photovoltaik mit 15 bis 20 Prozent CO2-Einsparungen bei 40 Prozent Stromeinsparung und den Sammeltransporten der Patienten mit 5 Prozent Einsparungen sowie einem geänderten Wasseraufbereitungsmanagement kommen wir heute nur noch auf rund 3,8 Tonnen. Wir sind also vom Etappen-Ziel, bis 2030 die Treibhausgase zu halbieren, gar nicht mehr so weit entfernt. Wenn wir eine solche multimodale Herangehensweise konsequent umsetzen, ist das so fern scheinende Ziel von 2050 plötzlich erreichbar.

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In Ihrer Publikation für die DGfN erwähnen Sie eine Konzentratmischanlage für die Dialyse, könnten Sie das bitte kurz erklären?

In alten Systemen werden die für die Dialyse benötigten Elektrolyte als flüssiges Konzentrat im Tank angeliefert. Das heißt, sie werden tonnenweise durch die Welt transportiert und stehen dann als riesige Tanks im Keller der Dialyse-Zentren. Wir verwenden seit zehn Jahren nur noch Trocken-Dialysekonzentrate. Dann stellen wir die benötigte Spülflüssigkeit, das Dialysat, mit Frischwasser vor Ort selbst her – und sparen so 80 Prozent Tonnage.

Wie viel Wasser wird denn für eine Dialyse benötigt?

Pro Patient sind das 200 bis 300 Liter Rohwasser, um 120 Liter Reinstwasser für Dialysat zu gewinnen. Das Abwasser aus dieser Reinstwasserherstellung ließe sich als so genanntes Grauwasser für Wäscherei, Toilettenspülung oder Grünanlagen verwenden. Das geschieht in Deutschland jedoch nicht. Ebenso können wir weniger Dialysat und damit Wasser für die Dialyse verwenden. Das hat natürlich medizinische Grenzen. Doch wo diese liegen, ist unklar. Das wollen wir nun herausfinden. Bisher bewegen wir uns eher im ‚Luxusbereich‘. Hier im Dialysezentrum haben wir den Dialysat- und damit Wasserverbrauch bereits um 15 Prozent gesenkt, ohne Auswirkung auf die Patienten.

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Wie misst man diese medizinischen Auswirkungen des Wassersparens ?

Das ist eine gute Frage, denn es gibt keinen einzelnen Wert, um das zu bestimmen. Daher befragen wir zurzeit im Rahmen eines Forschungsprogramms die Dialyse-Patienten mit standardisierten Befragungsbögen nach ihrem Wohlbefinden. Wir wollen so standardisierte Beurteilungsskalen und ein Dialysequalitätssystem erhalten. Wir müssen dringend ökologische Maßnahmen mit medizinischer Qualitätsforschung verknüpfen.

Welche Investitionen bedeuten die einzelnen Maßnahmen und auf der anderen Seite welche Einsparungen ergeben sich daraus?

Die Photovoltaik-Anlage lohnt sich wirklich. Wenn Sie davon ausgehen, dass eine Anlage rund 1000 Euro pro installierter kW/h kostet, dann investieren Sie bei einer 100 kW Anlage rund 100.00 Euro. Wir hatten diese Summe jedoch bereits nach fünf bis sechs Jahren wieder drin – und den Strom verbraucht direkt unser Dialysezentrum, wir haben keinen Speicheraufwand- und Kosten. Als wir 2010 die Konzentratmischanlage installierten, war das eine bewusst ökologische Entscheidung. Doch so eine Anschaffung ist durchaus möglich. Sie entspricht in etwa zwei Dialysemaschinen und hat neben den Umwelt- auch Bedien- und Praxisvorteile.

Gibt es weitere Ideen zu mehr Nachhaltigkeit bei der Dialyse?

Ein großes Einsparpotenzial steckt noch in der Wärmerückgewinnung. Die Dialysatlösung muss ja auf Körpertemperatur erwärmt werden, bei uns von etwa 10 °C auf 36 °C. Das ist jede Menge Heizenergie. Im unmittelbaren Rücklauf hat das Wasser noch 36 °C. Neue Dialysesysteme nutzen diese Wärme richtigerweise bereits über eingebaute Wärmepumpen. Danach ist das Abwasser aber immer noch 26 °C warm. Ein Wert, von dem in der Geothermie geschwärmt wird. Das könnten wir nutzen. Leider gibt es für Dialysezentren diesbezüglich noch keine Systeme. Des Weiteren haben wir nach wie vor blinde Flecken: Wir wissen nichts über die Ökobilanz der eingesetzten Medikamente und Schlauchsysteme, weil wir von den Herstellern darüber bisher keine Informationen erhalten. In der DGfN Community sind wir uns daher einig, dass wir Hersteller mit einer vernünftigen Ökobilanz bevorzugen sollten.

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Welche Auswirkungen haben Ihre Maßnahmen auf Patient, Personal und Dialysezentrum?

Für Patienten ist es manchmal nicht so bequem, im Sammeltaxi anzureisen, da sie mehr Warte-  und Fahrtzeit haben. Am Prozedere der Dialyse ändert sich nichts, weder für die Patienten noch für das Personal. Doch wir müssen uns im Sinne einer Qualitätskontrolle mit dem technischen und medizinischen Outcome auseinandersetzen. Zudem betreiben wir viel Aufklärungsarbeit und werben wir für die ressourcensparende Heimdialyse und dabei vor allem für die Bauchfelldialyse, die so genannte Peritonealdialyse.

Können Sie das bitte kurz erklären?

Im Gegensatz zur Hämodialyse wird hier die Bauchhöhle als Dialyseraum genutzt. Mehrmals am Tag lassen die Patienten eine sterile Dialyse-Lösung über einen Katheter im Bauch in die Bauchhöhle fließen. Die im Blut befindlichen Giftstoffe, Elektrolyte und überschüssige Flüssigkeit, diffundieren in diese Lösung im Bauchraum. Die mit Giftstoffen versetzte Dialyse-Lösung wird dann durch eine frische Lösung ersetzt. Der Vorteil des Verfahrens: es nutzt die Schwerkraft, braucht daher keinen Strom, und es verbraucht nur 10 Liter Wasser am Tag. Die Spüllösung kommt aber in Wegwerf-Plastikbeuteln. Der Gesamt-CO2-Fußabdruck einer Peritonealdialyse liegt geschätzt bei 1 bis 2 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr – im Gegensatz zu 4 bis 10 Tonnen bei einer Hämodialyse im Zentrum. Das Verfahren eignet sich rein medizinisch vielleicht für bis zu 60 bis 80 Prozent der Dialyse-Patienten. Doch in Deutschland nutzen es nur 8 Prozent. Zum Vergleich, in Australien sind es 40 Prozent.

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Gibt es weitere Ansätze für andere Fachbereiche?

Die Maßnahmen an sich sind auf die Dialyse zugeschnitten – bis auf die Photovoltaik-Anlage. Aber ein übergeordnetes Carbon Footprint Monitoring und ein darauf aufbauender kontinuierlicher Verbesserungsprozess als bewährte Managementtechnik macht überall Sinn. Wir müssen die ökologischen Aspekte in ein sich ständig weiterentwickelndes Qualitätsmanagement einbeziehen. Das tun wir hier am Zentrum, und das kann jeder ebenfalls tun. Dazu haben wir für den Bereich der Dialyse das Portal carbonfootprintdialysis eingerichtet, auf dem Zentren kostenlos ihre Maßnahmen analysieren können. Unser Ziel ist es, dies in die Unternehmenssysteme zu integrieren und dann jede einzelne Dialyse messen und gegebenenfalls verbessern zu können.

www.researchgate.net/publication/319876338_Grune_Hamo-Dialyse
https://carbonfootprintdialysis.com
www.nieren-navi.de
https://doi.org/10.1093/ndt/gfac160

 

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