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Keimen keine Chance lassen

Krankenhauskeime: Konstruktion und Werkstoffe können die Keimverbreitung bremsen
Keimen keine Chance lassen

Nur ein Team aus Medizinern, Biologen und Ingenieuren kann den Kampf gegen antibiotikaresistente Bakterien gewinnen. Lüfterlose PC sowie der Einsatz von Edelstahl oder Kupferlegierungen können für Patienten und Klinikpersonal eine Lebensversicherung sein.

„Der Kampf gegen Keime ist allein mit Antibiotika und Hygienemaßnahmen nicht zu gewinnen“, sagt Prof. Dr. med. Jörg Braun, Chefarzt der I. Medizinischen Abteilung der Asklepios-Klinik Wandsbek. Einerseits würden bestimmte Bakterien resistent gegen Antibiotika – etwa MRSA (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus) –; andererseits desinfiziere sich schon heute gutes Pflegepersonal rund 100 Mal am Tag die Hände. Die Grenze der Belastbarkeit sei erreicht. „Umso wichtiger ist es, nach zusätzlichen Methoden zu suchen, um der Verbreitung von Keimen Einhalt zu gebieten“, fordert deshalb der Mediziner, „denn die Desinfizierbarkeit vieler technischer Geräte ist mangelhaft, das Medizinproduktegesetz hier lückenhaft.“

Direkt ins Auge sticht die Problematik der mangelnden bis nicht vorhandenen Desinfizierbarkeit beim Arztbesuch. Denn oft steht im Behandlungszimmer ein PC, nicht selten mit einer herkömmlichen Tastatur. Selbst in normalen Haushalten finden sich darauf mit die höchsten Keimkonzentrationen. Zu hinterfragen ist, ob angesichts dessen das bei uns übliche Händeschütteln sinnvoll ist. Das können Ingenieure und Hersteller medizintechnischer Geräte nicht beantworten, aber ihnen stehen im Wesentlichen zwei Optionen offen, Keimansiedlung und -wachstum zumindest zu bremsen:
  • Konstruktiv angepasste Geräte Touchscreens ermöglichen etwa den Verzicht auf eine Tastatur, und Lüftungsschlitze lassen sich vermeiden. Zusammen mit möglichst glatten Oberflächen und Materialien wie Edelstahl, ist dann auch die Desinfektion mit aggressiven Chemikalien kein Problem.
  • Werkstoffe und Beschichtungen mit keimtötender Wirkung Kupfer und viele seiner Legierungen wirken bekanntermaßen antibakteriell, ähnliches gilt für diverse Beschichtungen, die etwa Metallionen abgeben. Auch die Nanotechnologie kann hier eine wichtige Rolle spielen. Generell ist dabei aber – zusammen mit Medizinern und Biologen – die Frage zu untersuchen, ob es mögliche negative Nebenwirkungen für den Menschen gibt.
Nicht außer Acht lassen sollten Konstrukteure und Anwender ergänzende Maßnahmen, wie etwa das Desinfizieren mit Niedertemperatur-Plasma. Das Verfahren wird abschließend detaillierter vorgestellt. Wer auf Lüftungsschlitze nicht verzichten kann, findet hier vielleicht eine Lösung, mit der sich sein Gerät zumindest desinfizieren lässt.
PC-Lüftung muss nicht länger Keimschleuder sein
Dass sich viele Probleme konstruktiv vermeiden lassen, zeigt das Beispiel der Medical-PC der Puchheimer Penta GmbH. Sie verfügen über ein passives, lüfterloses Kühlkonzept und ein komplett geschlossenes Gehäuse, geschützt gemäß IP 65. Für die Anwendung in der Klinik ergeben sich daraus zwei Vorteile. „Erstens lassen sich unsere Geräte komplett reinigen und desinfizieren“, berichtet Geschäftsführer Helmut Müller, „und der Verzicht auf den Lüfter verhindert zweitens, dass Keime – ähnlich wie in Klimaanlagen – verwirbelt werden.“ Gegenüber einer Tastatur sei zudem aus hygienischen Gesichtspunkten die Bedienung via Touchscreen geeigneter, da sich die glatten Displayoberflächen besser reinigen ließen.
Die Lebensdauer komplett gekapselter IT-Komponenten ist nach Angaben der Puchheimer nicht geringer als die herkömmlicher Geräte. „Allerdings kann man nicht jeden beliebigen Prozessor verbauen“, erläutert der Penta-Chef. Es müssten schon solche sein, die dafür auch ausgelegt sind. Der Vorteil: „Die Einsatzdauer der Systeme steigt, da die Komponenten zumeist für erweiterte Temperaturbereiche und höheren ‚Materialstress’ hinsichtlich Temperaturschwankungen ausgelegt sind.“ Insofern lohne sich die Investition in solche Systeme auch bezüglich der Lebensdauer.
Damit sich Keime auf häufig berührten Geräten nur schwer ansiedeln können, empfiehlt sich auch der Einsatz von Edelstahl. „Die Oberflächen dieses Werkstoffs sind dauerhaft kratz- und abriebfest sowie chemisch beständig“, erläutert Dr. Hans-Peter Wilbert von der Düsseldorfer Informationsstelle Edelstahl Rostfrei (ISER). Gegenüber ‚weicheren’ Materialien, bei denen die Oberflächen im Klinikalltag nach und nach rauer würden, blieben Edelstahlflächen dauerhaft glatt, Anhaftungen und Ablagerungen würden minimiert. Deshalb sollten Türklinken, Lichtschalter, Bettgestelle oder Sanitärarmaturen entsprechend glatt gestaltet werden und zudem abgerundete Ecken besitzen. „Zusätzlich sind Spalten aufgrund der Kapillarwirkung zu vermeiden.“
Hinsichtlich der Materialwahl bei häufig berührten Oberflächen ist auch der Einsatz des Klassikers Kupfer interessant. Klassiker deswegen, weil die keimtötende Wirkung dieses Werkstoffes und entsprechender Legierungen schon lange bekannt ist und etwa an Türgriffen öffentlicher Gebäude genutzt wird. Aktuelle Untersuchungen in der Asklepios-Klinik Wandsbek zeigen, dass auf Türklinken aus der Kupfer-Speziallegierung CuZn21Si3 die Zahl der Bakterien darauf um ein Drittel sinkt (siehe medizin&technik 4/09, S. 12). Das gilt vor allem auch für antibiotikaresistente Bakterien wie MRSA. Vermutet wird, dass für den antibakteriellen Effekt die Freisetzung von Sauerstoff-Radikalen verantwortlich ist – „eines der ältesten Wirkprinzipien überhaupt“, wie Chefarzt Prof. Braun erläutert.
Daher sind Werkstoffe und Beschichtungen mit keimtötender Wirkung für die Gerätehersteller besonders interessant, wenn Wege gesucht werden, die Keimverbreitung zu hemmen. Etwa Pulverlacke, denen Additive zugesetzt werden. Sie können unter anderem deswegen antimikrobiell wirken, weil sie beispielsweise Metallionen freisetzen oder den pH-Wert an der Lackoberfläche verändern.
Sofern die wirksamen Stoffe als Beschichtung aufgebracht werden, wenden Kritiker ein, dass diese sich bei harter Beanspruchung lösen könnte und damit die Schutzwirkung verloren gehe. Auch die eventuell mögliche Ausbildung von Resistenzen wird diskutiert. Einer Studie des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit (IHPH) der Universität Bonn zufolge konnten Bakterien im Laufe ihrer Evolution „so genannte Ionenpumpen entwickeln, die es ihnen ermöglichen, benötigte Ionen ins Zellinnere und überschüssige und toxisch wirkende Ionen aus dem Zellinneren herauszuschleusen“. Außerdem sei immer die Frage zu stellen, wie langfristig die keimtötende Wirkung anhalte. Wenn wirksame Stoffe abgegeben werden, kann sich der Vorrat erschöpfen.
Vor allem im Bereich der Nanotechnologie gibt es allerdings schon Forschungsansätze, mit denen sich Bakterien auch auf eine andere Art angehen lassen. So ist es einem Forscherteam der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster und des CeNTech (Center for NanoTechnology) gelungen, Bakterien gezielt abzutöten. Die Chemiker um Prof. Dr. Luisa De Cola und Biologen um Prof. Dr. Berenike Maier verwenden dazu speziell ausgestattete Zeolith-L-Nanokristalle. Diese lassen sich in einem ersten Schritt an Bakterien anheften. Anschließend können diese über einen unter dem Fluoreszenzmikroskop grün leuchtenden Farbstoff sichtbar gemacht werden. „Mit rotem Licht aktivieren wir dann einen dritten Stoff an den Nanopartikeln“, berichtet Dr. Cristian Strassert vom Physikalischen Institut der Uni Münster, der an der Studie federführend mitgewirkt hat. „Dadurch lässt sich der in den Zellen vorhandene Sauerstoff anregen, es entsteht Singulett-Sauerstoff.“ Nach wie vor handele es sich dabei um O2-Moleküle, doch seien diese im angeregten Zustand sehr toxisch für die Bakterien und töteten diese ab. Prinzipiell kann sich Strassert vorstellen, dass Zeolith-L-Nanokristalle auch in eine Oberflächenbeschichtung eingebettet werden. „Bakterien, die auf der Oberfläche in Kontakt mit den Nanokristallen kommen, lassen sich mit dem Prozess bekämpfen.“ Bis zur Umsetzung sei allerdings noch einige Forschungsarbeit zu leisten.
Keime aktiv bekämpfen – möglichst nebenwirkungsfrei
Bezüglich des Einsatzes der Nanotechnologie muss allerdings auch untersucht werden, inwiefern Nanopartikel generell gesundheitsschädigend wirken können. Verstehen lässt sich das am einfachsten beim Vergleich mit dem Werkstoff Asbest. Einst aufgrund der großen Festigkeit und Beständigkeit als Wundermaterial angesehen, erwiesen sich die mikrometergroßen Fasern besonders in der Lunge als sehr schädlich. Bei den noch kleineren Nanopartikeln könnte die Gefahr darin bestehen, dass diese die so genannte Blut-Hirn-Schranke überwinden und damit direkt in das Zentralnervensystem gelangen – was zumindest dann bedenklich ist, wenn man diesen Schritt nicht beabsichtigt.
Wie so häufig gilt aber auch hier, dass Fortschritt immer mit Risiko verbunden ist. Ein Grund mehr, die Arbeiten interdisziplinär voranzutreiben. Was sich dann erreichen lässt, zeigt ein Blick auf das Max-Planck-Institut (MPI) für extraterrestrische Physik in Garching. Unter Leitung von Prof. Dr. Gregor Eugen Morfill beschäftigt man sich hier mit Niedertemperatur-Plasma, das sich bei Raumtemperatur und Normaldruck anwenden lässt. „Innerhalb von zwei bis fünf Sekunden können wir damit die Bakterienladung auf einer Agarplatte auf ein Hunderttausendstel reduzieren“, berichtet MPI-Forscherin Dr. Julia Zimmermann. Angesichts der mit herkömmlichen Mitteln im Klinikalltag rund 30 s dauernden Desinfektion der Hände könnte dies eines Tages die Handhygiene für das medizinische Personal weniger belastend machen. Zumal die Wissenschaftler mit guten Resultaten sogar schon offene Wunden behandeln.
Das Plasma wird bei der Wundbehandlung aus Argon erzeugt, ansonsten aus normaler Luft. Neben der entstehenden UV-Strahlung dürften vor allem reaktive Bestandteile wie Sauerstoff- und Stickstoff-Radikale für die keimtötende Wirkung verantwortlich sein. „Entscheidend ist das Zusammenwirken aller Komponenten“, fährt Zimmermann fort. Bei der Plasmaerzeugung würden jeweils nur so kleine Mengen entstehen, dass diese allein die Keime nicht ausreichend bekämpfen könnten. Interesse an dem Plasma-Verfahren hat übrigens die europäische Raumfahrtbehörde ESA bekundet. Der Hintergrund: Solange man nicht definitiv ausschließen kann, dass andere Himmelskörper unbelebt sind, müssen Raumfahrzeuge und -sonden sterilisiert werden, um eine Kontamination von vornherein zu vermeiden. Die Erfahrungen der Raumfahrer dürften auch für die Medizintechniker von Nutzen sein. Denn auf diese Weise könnten sich auch Geräte mit Lüftungsschlitzen desinfizieren lassen – mitsamt der empfindlichen Elektronik.
Michael Corban Fachjournalist in Nufringen

TV-Tipp: Wunden mit Plasma desinfizieren
Wie sich selbst resistente Bakterien mit Niedertemperatur-Plasma bekämpfen lassen und damit auch Wunden desinfiziert werden können, zeigt ein Bericht des Wissenschaftsmagazins „Nano“ auf 3sat. Da sich das Plasma bei Raumtemperatur und Normaldruck anwenden lässt, könnten auch Klinikmitarbeiter bei der Handdesinfektion davon profitieren oder Katheter sterilisiert werden.
www.3sat.de/mediathek Stichwort: Plasma Sendung vom 17.12.2009

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