Herr Professor Heverhagen, was bietet das neue Dynamic Imaging Center, kurz DIC, für die medizinische Bildgebung?
Das lässt sich gut am Beispiel von Rückenbeschwerden erklären. Wenn ein Patient Schmerzen hat, würden wir heute zwei oder drei statische Aufnahmen vom betroffenen Bereich der Wirbelsäule machen. Dabei nimmt der Patient unterschiedliche Positionen ein. Wenn wir auf diesen Bildern eine Erklärung für die Beschwerden erkennen können, hilft uns das weiter. Wenn nicht, wird es schwierig. Dann könnte die Ursache des Problems ganz woanders liegen – oder eben doch an der vermuteten Stelle, aber nicht in den Positionen, die wir untersucht haben. Mit dem DIC hoffen wir, eine vollständige Bewegung aufnehmen und analysieren zu können. Dann wäre klar, welche Richtung die Therapie nehmen muss, um gegen die Schmerzen anzugehen. Aufnahmen machen wir dafür jeweils in zwei Richtungen – die dritte Dimension können wir durch Berechnungen ergänzen und mit darstellen.
Wie entstand die Idee zum DIC?
Wir haben diesen Gedanken vor etwa vier Jahren in einer Gruppe von Fachleuten diskutiert. Beteiligt waren wir Radiologen, die gern Details am Patienten während der Bewegung darstellen wollten. Dazu braucht man aber unter anderem große Räume, die im Krankenhaus kaum zur Verfügung stehen. Bestehende Bildgebungsverfahren haben auch Einschränkungen, die dem entgegenstehen. In der Röhre eines CT oder MRT ist kaum Spielraum für Bewegungen, und natürlich gibt es Grenzen, was die Belastung eines Probanden oder Patienten durch Röntgenstrahlen angeht. Beteiligt an der Diskussion über so etwas wie das DIC waren aber auch Empa-Forschende. Für sie schien es interessant, Fragen der Materialprüfung im Körper zu betrachten – zum Beispiel die Belastung eines Implantates. Und mein Kollege Prof. Ameet Ayangar schließlich hatte bei einem Aufenthalt in Pittsburgh ein System aus Röntgengeräten und Kameras kennengelernt, mit dem die Bildgebung während der Bewegung machbar erschien. Im Team haben wir dann beschlossen, dass wir Fördermittel beantragen, um ein erstes Zentrum dieser Art in Europa aufzubauen.
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Welche Herausforderungen standen dabei im Vordergrund: die technischen oder die organisatorischen?
Wir hatten anhand des Pittsburgher Vorbildes ja schon eine Idee, wie wir das Dynamic Imaging Center umsetzen wollten. Die Technik dafür, die Sensoren und Kameras sowie die Bildverarbeitungssoftware, ist grundsätzlich im Markt verfügbar. Natürlich setzen wir High-End-Geräte ein, um die bis zu tausend Bilder pro Sekunde aufnehmen und auch verarbeiten zu können. Die Datenmengen, die in unserem Hochgeschwindigkeitsbildgebungssystem anfallen, sind schon immens. Doch nur so können wir die Aufnahmen in der erforderlichen Auflösung bekommen. Nur als Vergleich: Mit anderen Systemen, die eine Bewegung aufzeichnen, entstehen aktuell etwa 15 bis 30 Bilder pro Sekunde. Die größere Herausforderung war für uns aber tatsächlich, sowohl die Mittel in Höhe von etwa eineinhalb Millionen Schweizer Franken zu erhalten als auch die erforderlichen Räumlichkeiten zu finden. Doch seit Herbst 2023 haben wir nun alles zusammen, die Geräte und die Ausstattung für die Räume im Sitem, dem Swiss Institute for Translational and Entrepreneurial Medicine in Bern. Und auch das Personal ist da, um mit den ersten Projekten zu beginnen.
Sie formulieren das noch vorsichtig. Wann rechnen Sie damit, dass Patienten mit diesem neuen Weg der medizinischen Bildgebung untersucht werden können?
Das wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Wir stehen erst am Anfang. Die Ausrüstung ist vorhanden. Aber wir müssen jetzt herausfinden, wie wir die Geräte und alle Details am besten aufeinander abstimmen, um die bestmöglichen Aufnahmen zu erhalten. Ich denke, in den kommenden Monaten werden wir das mit gesunden Probanden in den Griff bekommen. Diese werden über die Strahlenbelastung, die dabei auftritt, informiert, und für alle Durchläufe liegt die Zustimmung des Ethikrates vor. Wir sprechen aber noch nicht von einer diagnostischen Nutzung. Dafür müsste das System regulatorische Hürden überwinden.
Wie stark ist die Strahlenbelastung bei einer Untersuchung im DIC?
Wir verwenden Röntgenstrahlen für die Hochgeschwindigkeitsbildgebung, für das Dynamic Biplane Radiographic Imaging oder kurz DBRI. Das, was wir von einer Bewegung aufzeichnen, sind aber nur sehr kurze Sequenzen. Wenn beispielsweise ein Sportler hochspringt und bei der Landung Knieprobleme hat, passiert das Entscheidende innerhalb vielleicht einer Millisekunde. Auch wenn die Röntgenaufnahme etwa ein bis zwei Sekunden umfasst, ist die Strahlenbelastung insgesamt sehr überschaubar.
Welche Untersuchungen sind für die Materialwissenschaftler der Empa im DIC geplant?
Das DIC bietet erstmals die Möglichkeit, die Belastung, die auf ein Implantat im Körper wirkt, während der Bewegung zu untersuchen. Mit den Ergebnissen lassen sich die heute üblichen Formen von Implantaten besser bewerten und vielleicht auch optimieren. Das ist für Implantathersteller sehr interessant.
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Haben Unternehmen schon Interesse bekundet?
Schon als wir mit dem Aufbau begonnen haben, kamen zahlreiche Anfragen von Verbänden und Unternehmen. Allein diese zu sichten und gegebenenfalls Forschungsprojekte dazu zu formulieren, wird einige Monate in Anspruch nehmen. Realistisch wäre wohl die Annahme, dass wir mit den ersten Projekten 2025 starten können. Es zeigt sich aber schon jetzt, dass wir an der einen oder anderen Stelle auch die Wünsche an die Realität werden angleichen müssen.
Wo sind heute die Grenzen des Dynamic Imaging?
Wir haben aktuell eine Bildgröße von etwa 40 mal 40 Zentimetern, die wir darstellen können. Ein weiterer Punkt ist, dass ein Proband oder später der Patient in der Lage sein muss, selbstständig und ohne Begleitung auf dem Laufband im DIC zu gehen, während die Aufnahmen entstehen.
Wie ließe sich diese Art der medizinischenBildgebung eventuell noch weiterentwickeln?
Das ist bisher noch schwierig zu sagen, wir tasten uns ja zunächst an die Möglichkeiten des heutigen Systems heran. Dabei kooperieren wir auch mit den Fachleuten aus Pittsburgh. Da wir das DIC gerade neu aufgebaut haben, ist unser System derzeit, was Schnelligkeit und Auflösung angeht, sogar noch weiter vorn. Die ETH Zürich hat allerdings schon Kontakt zu uns aufgenommen und wäre der richtige Ansprechpartner, um bei Bedarf die Technik weiterzuentwickeln.
Welche Perspektiven sehen Sie für das Dynamic Imaging mit dem DBRI-Verfahren?
Wenn wir mit unserem System zeigen können, dass wir Aufnahmen erhalten, die uns für die Therapie weiterhelfen, könnte so ein Verfahren die Diagnosemöglichkeiten auch in anderen Kliniken erweitern. Dann allerdings werden wir abgespeckte Versionen brauchen, denn die gesamte technische Ausrüstung wird für einen Einsatz in der Breite wohl zu teuer sein.
Über die Bildgebung mittels DBRI
Das Herzstück des Dynamic Imaging Center (DIC) am Sitem in Bern ist ein dynamisches Röntgen-basiertes Hochgeschwindigkeitsbildgebungssystem, das als Dynamic Biplane Radiographic Imaging (DBRI) bezeichnet wird.
Bis zu 1000 Röntgenbilder pro Sekunde nimmt es in zwei verschiedenen Ebenen auf. Damit lassen sich nach Angaben der Betreiber Bewegungen auf den Submillimeter genau messen und auch feinste Roll- und Gleitbewegungen im Gelenk feststellen.
Während der Aufnahme bewegen sich Probandinnen und Probanden entweder auf einem Laufband, das mit Kraftsensoren ausgestattet ist, oder auf Kraftmessplatten. 16 Infrarot-Bewegungserfassungskameras nehmen die Bewegungen auf, parallel wird auch noch ein Muskel-Elektrogramm (EMG) aufgezeichnet.
Die bewegten Röntgenbilder sollen dreidimensionale Bilder aus MRT- und CT-Geräten nicht ersetzen, sondern ergänzen. Durch alle Aufnahmen zusammen entsteht nach Angaben der Fachleute vom DIC ein umfassendes Bild der Situation im Knochen oder im Gelenk.
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Das Universitätsinstitut für Diagnostische, Interventionelle und Pädiatrische Radiologie (DIPR) am Inselspital, Universitätsspital Bern, ist Eigentümerin des Labors. Das DIPR gewährt der Empa im Rahmen einer zehnjährigen Kooperationsvereinbarung besondere Zugangsrechte und Nutzungsrechte.
Zum DIPR: www.radiologie.insel.ch/de/
Zur Empa: www.empa.ch