Der offene Umgang mit Fehlern – gerade auch was Medizinprodukte betrifft – ist im Bewusstsein von Ärzten und Pflegepersonal noch nicht genug verankert. Laut Prof. Matthias Schrappe ließe sich das nur ändern, wenn jede einzelne Meldung mehr Wertschätzung erfährt.
Sie haben über das Aktionsbündnis Patientensicherheit die Diskussion über ärztliche Kunstfehler mit angestoßen. Was lässt Ärzte und Pflegepersonal schweigen?
Der Hauptgrund ist, dass es weder bei den Ärzten noch bei anderen Berufen im Gesundheitswesen zum Ausbildungskanon gehört, über Fehler zu sprechen. Man geht davon aus, dass alle tüchtig sind, daher nichts schief geht und man also nicht über Fehler sprechen muss – weder in entschuldigender Weise mit den Patienten noch in irgendeiner Weise intern oder mit der Öffentlichkeit.
Wie kann man daran etwas ändern?
Wir müssen zum Einen lernen, mit den zum Teil erschreckenden Ereignissen umzugehen, sie zu analysieren und so dazu beizutragen, dass sie nicht wieder auftreten. Und da die Verfahren, die man dafür braucht, nicht einfach sind, muss man auch die Prozessanalyse erlernen. Zum Anderen geht es um die Haltung jedes Einzelnen. Wir müssen die Bedeutung der Sicherheitskultur für das Gesundheitswesen viel stärker betonen, sonst ist keine Änderung möglich.
Was bringt es den Ärzten, wenn sie offener über Fehler sprechen?
Mehr Souveränität in der professionellen Beurfsausübung. Wenn ständig Fehler passieren, aber niemand darüber reden darf, ist die Situation sehr schwierig, auch für das pesönliche Erleben. Daher hat Offenheit eine entlastende und fördernde Funktion, die zu mehr Arbeitszufriedenheit führt.
Manche Probleme entstehen durch Fehler oder Missverständnisse an Medizingeräten und -produkten – doch zeigen die Statistiken, dass das medizinische Personal seltener meldet als die Hersteller. Warum?
Grundsätzlich ist das Meldesystem wichtig, da es der Fehleranalyse dient, und es kann auch nicht anders als auf freiwilliger Basis funktionieren. Die Mitarbeiter in den Gesundheitsberufen bedienen solche Systeme aber nur dann, wenn sie ein unmittelbares Feedback bekommen. Sie wollen die Erfahrung machen, dass ihre Meldung wahrgenommen wird und etwas bewirkt. Wenn dieser Effekt ausbleibt, ist ein System sofort tot.
Wie könnte eine Rückmeldung aussehen?
Da Untersuchungen zu Vorfällen oft komplex sind, dauert es natürlich häufig länger, bis ein Endergebnis vorliegt. Aber ein erster Schritt wäre eine Eingangsbestätigung oder auch ein Zwischenbescheid, der den Mitarbeitern im Krankenaus zeigt, dass ihre Information ernst genommen wird, wichtig ist und dass hochproduktiv damit gearbeitet wird.
Was können die Hersteller von Medizingeräten und -produkten hier tun?
Sie sollten glaubwürdig zeigen, dass eine Meldung für sie relevant ist. Und ich bin davon überzeugt, dass es sich lohnen würde, eine solche Art von Kommunikation zu gestalten. Denn bisher gibt es nur eine Studie aus den USA, die die Häufigkeit unerwünschter Ereignisse durch Medizinprodukte mit 8,6 Prozent beziffert. Das ist viel, und weil das Meldeverhalten im Gesundheitswesen nicht zufriedenstellend ist, könnten wir es hier mit einem schlafenden Riesen zu tun haben.
Beim Dachkongress Patientensicherheit haben Sie eine Sitzung zu krankenhausinternen Meldesystemen angeboten. Wie war die Resonanz?
Das Interesse war groß. Uns ging es darum zu zeigen, was zu tun ist, wenn im internen System zum Beispiel ein Bedienfehler gemeldet wird. Bisher arbeiten zwar nur 10 bis 15 Prozent der Krankenhäuser überhaupt mit CIRS, also einem Critical Incident Report System, und die Medizintechnik fristet in diesem Bereich ein Schattendasein. Aber die Technik ist wichtig, und wir müssen uns in Zukunft viel mehr damit beschäftigen. Ausgehend vom Aktionsbündnis Patientensicherheit haben wir kürzlich eine Arbeitsgruppe gegründet und wollen eine entsprechende Empfehlung herausgeben.
Wäre es sinnvoll, den Herstellern von Medizinprodukten auch Informationen aus den CIRS zugänglich zu machen?
Solche internen Systeme laufen nur, wenn die Meldungen anonym und vertraulich behandelt werden. Solange dies gewahrt ist, kann ich mir vorstellen, dass man Informationen nach außen gibt. Die Entscheidung darüber muss natürlich jedes Krankenhaus für sich fällen. Aber Interesse an solchen Informationen dürfte bestehen, sie sind für die Hersteller sehr wertvoll. Allerdings ist mir nicht bekannt, dass jemand diesbezüglich angefragt hätte.
Was ließe sich in der Kommunikation zwischen medizinischem Personal und den Herstellern verbessern ?
Es muss in den Krankenhäusern und Arztpraxen immer wieder offen angesprochen werden, dass Sicherheit ein relevantes Thema ist und beide Seiten davon profitieren, wenn Fehler analysiert werden. Das könnte auch eine Aufgabe für die Hersteller sein, auf Tagungen oder anderen Veranstaltungen zu signalisieren, dass sie an Informationen zu Problemen interessiert sind – und auch Hinweise zu Beinahe-Vorfällen in ihre Arbeit integrieren.
Sollten Hersteller häufiger bei den Anwendern nach möglichen Fehlern fahnden?
Große Fragenkataloge sind sicher nicht der richtige Weg, und selbst ein Honorar für das Ausfüllen eines Fragebogens wiegt den entscheidenden Faktor nicht auf: Für denjenigen, der antwortet oder etwas meldet, muss erkennbar sein, dass er zu einem Verbesserungsprozess beiträgt.
Würde ein Ansprechpartner im Krankenhaus für alle Fragen zur Sicherheit von Medizinprodukten helfen?
Ich würde es für sehr sinnvoll halten, so eine Person zu definieren. Damit das kein ungeliebter Bürokratie-Job ist, müsste diese Funktion allerdings in das Gesamtsicherheitskonzept des Krankenhauses intergriert werden. Und die Person muss der heiklen Aufgabe entsprechend ausgebildet sein: Wenn es einen Vorfall gegeben hat, ist viel Angst im Spiel, und die Mitarbeiter sind häufig geschockt.
Was ist am dringendsten, um die Sicherheit von Medizinprodukten zu verbessern?
Das wichtigste ist, das Thema und seine große Bedeutung zur Kenntnis zu nehmen. Das gilt für Hersteller, Institutionen und medizinisches Personal. Und Industrie und Forschung sollten Sicherheit als ein innovationsförderndes Thema betrachten und nutzen.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Aktionsbündnis Patientensicherheit www.aktionsbuendnis-patientensicherheit.de
Patientensicherheit: Ärzte sind aktiv
Wie sehr das Thema Sicherheit auf den Nägeln brennt, hat der Dachkongress Patientensicherheit und Medizinprodukte gezeigt, der im März in Münster stattfand. Er vereinte den 5. Medizintechnik- und Ergonomiekongress MEK 2008 und die 3. Jahrestagung des Aktionsbündnis Patientensicherheit APS 2008. Organisiert wurde er vom Aktionsbündnis Patientensicherheit, der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT) sowie der Fachhochschule Münster.
Das Forum Patientensicherheit, an dem sich Bundesärztekammer (BÄK) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) beteiligen, hat auf seiner Internetseite Links zu CIRS-Seiten aus deutschen Krankenhäusern hinterlegt. Betreut wird das Forum vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ). www.forum-patientensicherheit.de
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