Herr Professor Perka, seit etwa zehn Jahren fließen im EPRD Daten zu Hüft- und Knieimplantaten zusammen. Welche Erkenntnisse können Sie als Mediziner aus diesem Register ziehen?
Aus den bisher erfassten Daten sind mehrere wichtige Schlüsse zu ziehen. Erstens sind unsere Implantate sicher. Das sehen wir an der Häufigkeit von Wechseloperationen. Da sind die Abweichungen in der Häufigkeit zwischen den Kliniken größer als zwischen den Implantaten. Eine zweite Schlussfolgerung ist, dass mit höheren Fallzahlen die Versorgungsqualität steigt. Es lässt sich allerdings keine klare Grenze ziehen, um zu sagen: In einem Zentrum müssen mindestens X Eingriffe ausgeführt werden, um eine bestimmte Qualität zu erreichen. Als Drittes sehen wir, dass wir den Patienten bessere Hinweise für das Leben mit Implantat geben könnten. Der Hauptgrund für Revisionsoperationen ist nämlich aktuell eher, dass Patienten ihr künstliches Gelenk zu wenig belasten. Darüber hinaus sind zahlreiche weitere Aspekte der Auswertungen interessant.
Wie alles begann:
Welche Veränderungen in Ihrer Arbeit haben sich aus Registerdaten ergeben?
Lassen Sie mich das an einem Beispiel beschreiben: Bisher werden in Deutschland wenige Hüftimplantate mit einem Kragen eingesetzt. Allerdings bietet diese Form laut Register Vorteile bei Patientinnen über 75 Jahre, bei denen wir sonst ein erhöhtes Frakturrisiko sehen. Aus dem gleichen Grund ist es bei dieser Gruppe zu empfehlen, das Implantat zu zementieren. Da können wir als Mediziner also etwas verbessern.
Wie läuft bisher der Informationsaustausch mit den Implantat-Herstellern?
Die Hersteller finanzieren das Register mit und wenden sich mit Fragen an uns. Wenn die Auswertungen etwa zeigen, dass es mit einem bestimmen Implantat in einer Klinik Probleme gibt, kann das ein Ansatzpunkt für eine Maßnahme sein: Der Hersteller bietet dann zum Beispiel erweiterte Schulungen oder passt die Anwendungshinweise an, um die Zuordnung eines Implantates zu einer Indikation zu erleichtern.
Sie erfassen viele Werte zu jedem Eingriff. Reicht das für alle Fragestellungen?
Es gibt viele Aspekte, die man abfragen könnte, auch über das hinaus, was wir bisher an Daten sammeln. Aber man muss auch abwägen. Alle Krankenhäuser, die Daten zur Verfügung stellen, tun das freiwillig. Das ist mit Aufwand verbunden, der mit weiteren Daten zunehmen würde. Aber natürlich gibt es Entwicklungen, die wir künftig begleiten wollen. Dazu zählt der Einfluss der Technik, also der Einsatz von Navigationssystemen oder Robotern. Mehr über den Patienten und seine individuellen Erkrankungen und damit die Risiken rund um die Operation zu erfahren, wäre ebenfalls hilfreich. Wie sieht es zum Beispiel mit dem jeweiligen BMI aus, der das Infektionsrisiko beeinflusst? Welche Begleiterkrankungen wie Rheuma oder Diabetes gibt es? Ein weiterer Aspekt ist der Einfluss des einzelnen Operateurs auf das Ergebnis. Derzeit werten wir nach Krankenhäusern aus – aber deren Fachkräfte wechseln ja. Und auch wenn operateurbezogene Daten eine heikle Angelegenheit sind, wollen wir solche Daten als nächstes ins Register integrieren.
Was macht die Daten zum Operateur so heikel?
Für die Erfassung spricht, dass uns Rückschlüsse aus diese Daten erlauben, die Versorgungsqualität zu verbessern. Man muss sich aber sehr genau überlegen, was man mit den Analysen tut. Jedem Operateur seinen Benchmark-Wert zur Verfügung zu stellen, wäre eine gute Art, die Daten zu nutzen. Eine Top-Ten- oder Top-Einhundert-Liste für Operateure hingegen könnte dazu führen, dass niemand mehr Hochrisikopatienten versorgen möchte, die mit zahlreichen Begleiterkrankungen zur OP kommen. Das könnte ja die eigene Platzierung verschlechtern. Damit wäre uns also sicherlich nicht geholfen.
Wie realistisch ist es, dass mehr Daten freiwillig zur Verfügung gestellt werden?
Um Daten zu bekommen und sie auszuwerten, müssen wir die Vorgänge rund um die Datenübertragung stärker automatisieren. Patientendaten beispielsweise liegen im Krankenhausinformationssystem vor. Diese sollten mit einem Klick auswählbar sein und gleich mit den Röntgenbildern automatisiert übertragen werden. Diese wiederum lassen sich über eine KI analysieren. Wenn wir solche Systeme haben, bekämen die Kliniken auch die Möglichkeit an die Hand, selbst ihre Daten auszuwerten. Das macht die Sache interessanter. Bisher erfassen wir allerdings nicht einmal die Röntgenaufnahmen – obwohl diese im Zusammenhang mit dem Gelenkersatz sehr wichtig sind. Aber wir haben eine eigene Lösung in Arbeit, für die wir mit dem Münchner Unternehmen Brainlab eine Tochtergesellschaft gegründet haben, die RSG Register Solutions gGmbH.
BVMed: Implantateregister muss Versorgungsrealität darstellen
Seit 2019 gibt es das Implantateregistergesetz. Gibt es dazu auch eine Zusammenarbeit mit dem EPRD?
Als das Gesetz kam, haben wir mit dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn darüber gesprochen, dass die Struktur des EPRD als Blaupause für die kommenden Register dienen könnte. Das wäre aus unserer Sicht sehr sinnvoll gewesen, und er hat die Idee unterstützt. Bisher wurde dieser Ansatz seitens Politik und Behörden allerdings nicht weiter verfolgt. Wir bemühen uns weiter um eine Zusammenarbeit, aber es gibt im Moment keinen Plan, wie sich das umsetzen lassen könnte. Als erstes ist staatlicherseits ein Register für Brustimplantate geplant. Das geplante Register für Hüft- und Knieimplantate soll nach jetziger Planung weniger Daten erfassen als das EPRD. Zudem hat sich der geplante Zeitpunkt des Echtbetriebs bereits um mehrere Jahre verschoben.
Würde ein nationales Register das EPRD ersetzen?
Nicht zwingend. Aber so eine Entwicklung könnte sich über die Finanzierung ergeben. Wenn die Industrie das nationale Register mitfinanzieren muss, entfallen möglicherweise die Mittel, die die Hersteller bisher für das EPRD zur Verfügung gestellt haben – auch wenn im EPRD wahrscheinlich umfassendere Datensätze verfügbar sind, die mehr Auswertungen erlauben.
Was planen Sie künftig für das EPRD?
Als nächstes sollen Daten für Schulter- und Ellenbogenprothesen integriert werden. Und weil die Struktur des Registers nicht allein für orthopädische Implantate funktioniert, werden auch Kiefergelenkprothesen folgen. Aus meiner Sicht ist es die beste Lösung, all das Wissen, das wir schon gesammelt haben, zu bündeln. Ebenso die Erfahrungen zu Registern, Datenbanken und der erforderlichen Software, so dass alle kommenden Register davon profitieren können. Damit wird sich die RSG Register Solutions gGmbH übrigens über die Automatisierungsfragen hinaus auch befassen.
Über das EPRD
Das Endoprothesenregister Deutschland EPRD ist nach dem englischen und US-amerikanischen das drittgrößte endoprothetische Register der Welt. Darin wurden bis zum Juli 2023 rund 2,5 Millionen Operationen erfasst, bei denen Patienten Hüft- oder Knieprothesen eingesetzt bekamen.
Das Register bekommt Daten der Krankenhäuser auf freiwilliger Basis zur Verfügung gestellt. Jährlich werden Berichte veröffentlicht, die sich unter anderem auf die mit verschiedenen Prothesen erzielten Ergebnisse beziehen.
Geschäftsführer der EPRD Deutsche Endoprothesenregister gGmbH ist seit
1. Juli 2023 Timo Stehn. Er folgt auf Dr. Andreas Hey, der zuvor acht Jahre in der Position des Geschäftsführers tätig war und aus Altersgründen ausschied.
Timo Stehn studierte Sozialökonomie mit Schwerpunkt Gesundheitspolitik und ist seit Mai dieses Jahres bereits Geschäftsführer der RSG Register Solutions gGmbH. Diese gemeinnützige Tochtergesellschaft der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) verfolgt den Zweck, medizinische Register aufzubauen und zu betreiben.