Kleiner, leichter und intelligenter soll Medizintechnik für den Rettungswagen sein. Laut Dr. Boris Lutomsky, Experte für Notfallmedizin, wächst das Interesse an Ultraschallgeräten und schnellerer Diagnostik für den Unfallort.
Herr Dr. Lutomsky, welchen besonderen Anforderungen muss Medizintechnik im Rettungswagen genügen?
Die Einsatzbedingungen sind dort besonders hart: Alle Geräte müssen auf der nassen Wiese ebenso zuverlässig funktionieren wie auf der Zugspitze oder auf heißem Asphalt im Hochsommer. Und wenn die Besatzung des Rettungswagens mit einem zehn bis zwölf Kilo schweren EKG-Gerät, dem Defibrillator oder Beatmungsgerät über der Schulter zum Einsatzort rennt, stoßen die Gehäuse oft mit Schwung hart an Tür oder Wand des Wagens. Ein Produkt, das für den Einsatz in der Klinik entwickelt wurde, hält das nicht aus, und die Beschleunigung in Kurven oder beim Bremsen ebensowenig. Nicht umsonst müssen Hersteller heute nachweisen, dass ihre Technik auch nach Crashtests mit bis zu 24 g funktioniert.
In welchen Bereichen sind Sie mit den Entwicklungen der Geräte zufrieden?
Heute gibt es sehr gute Lösungen für Schnellhalterungen an den Wänden des Rettungswagens, aus denen wir ein Gerät entnehmen und auch wieder anschließen können, ohne mit Steckern zu hantieren. Seit die DIN EN 1789 die Ausrüstung von Rettungswagen regelt, überstehen die Aufhängungen auch abrupte Bremsungen, ohne dass sich Geräte lockern und die Menschen im Wagen gefährden – was früher schon mal ein Problem sein konnte.
Welche Verbesserungen würden Sie sich an bisher verfügbaren Produkten wünschen?
Je leichter die Geräte werden, desto einfacher wird es für uns, sie unter den genannten Bedingungen einzusetzen. Bisher sind beispielsweise Beatmungsgeräte besonders schwer, weil sie mit Magnetventilen arbeiten und die sonstige Technik auch noch einige Kilo mitbringt. Abgesehen davon wären Auswerte-Programme für die EKG-Geräte sehr hilfreich.
Können Sie das näher erläutern?
In Deutschland werden Ärzte verschiedener Fachrichtungen zu einem Notfall gerufen. Für einen Internisten ist es kein Problem, ein EKG zu interpretieren. Wenn aber ein Anästhesist oder Chirurg vor dieser Aufgabe steht, entstehen bei Details der Auswertung vielleicht Unsicherheiten. Ein Auswertealgorithmus im Gerät könnte dann die Entscheidung erleichtern, ob ein Infarkt-Patient auf schnellstem Weg in eine Spezialklinik gebracht werden muss, in der ein Herzkatheter gelegt werden kann, oder ob er schon im Rettungswagen mit Medikamenten behandelt werden sollte, die ein Blutgerinnsel auflösen. Eine solche medikamentöse Behandlung ist in Deutschland möglich, weil eben nicht nur Rettungsassistenten, sondern Ärzte am Einsatzort sind. Daher ist es erfreulich, dass erste Produkte mit solchen Auswertehilfen jetzt auf den Markt kommen.
Welche Ergänzungen halten Sie für die medizintechnische Ausrüstung in Rettungswagen für sinnvoll?
Meiner Ansicht nach ist die präklinische Sonographie ein sehr zukunftsträchtiges Gebiet. Bisher sind wir auf das Abtasten des Bauchraumes angewiesen, um auf Blutungen zu schließen. Ein Ultraschallgerät aber könnte in kurzer Zeit Gewissheit darüber bringen, ob es eine Verletzung gibt und welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Dazu müssten nur vier oder fünf Punkte im Bauchraum untersucht werden, was in wenigen Minuten machbar wäre.
Rechnen Sie damit, dass sich diese Technik bald in der Breite einsetzen lässt?
Dafür müssten extrem kleine Ultraschallgeräte entwickelt werden, was noch ein Problem ist. Bisher gibt es nur ein Gerät, mit dem der Hersteller diese Richtung einschlägt. Ein weiterer Faktor ist der Preis: In den Sondenköpfen sind viele Ultraschallsensoren eingebaut, die zum Gerätepreis von zehn- bis fünfzehntausend Euro führen. Die Krankenkassen, die den Rettungsdienst finanzieren, würden ein Gerät sicher erst akzeptieren, wenn der Preis auf etwa die Hälfte fällt. Ich hoffe allerdings, dass sich dieser Effekt durch größere Stückzahlen einstellt.
Welche Chancen hat die kabellose Datenübertragung im Rettungswagen?
Große. Um einen Patienten zu überwachen, muss er beispielsweise über eine Vielzahl von Kabeln mit dem EKG-Gerät verbunden werden. Beim Transport auf der Trage durch ein Treppenhaus ist das nicht möglich, so dass wir für diese Zeit das Gerät nicht anschließen und ihn nicht überwachen können. Auch im Rettungswagen ließe sich ohne Kabel, die erst an der Decke eingesteckt werden müssen, manches leichter erledigen. Darüber hinaus könnte bei kabelloser Technik eine zentrale Einheit die Daten verschiedener Messungen empfangen und auswerten.
Welche Rolle spielt die Point-of-Care- Diagnostik in der Notfallmedizin?
Die Blutzuckermessgeräte zeigen, was in diesem Sektor möglich ist: Sie sind extrem klein und leicht und liefern zuverlässige Daten in 15 bis 30 Sekunden. So etwas würde ich mir auch wünschen, um beispielsweise Enzyme schneller nachzuweisen, die auf einen Herzinfarkt hinweisen. Heute dauert das Messen der Herzenzyme noch rund 15 Minuten. Das gleiche gilt für die Blutgasanalyse. Weil die Messgeräte bisher zu groß, zu schwer, zu umständlich zu handhaben und aufwändig zu reinigen sind, fehlen sie im Rettungswagen. Hier könnten Biochips und Biosensoren erhebliche Entwicklungsschübe bringen.
Sehen Sie bei Notfallpatienten sinnvolle Anwendungen für Telemedizin?
Technisch wäre es kein Problem, die Daten eines Notfallpatienten an ein Krankenhaus zu übertragen, um dort die weitere Behandlung vorzubereiten oder dem Notarzt Empfehlungen zu geben. In Amerika oder auch in abgelegenen Regionen, wie es sie in Schweden gibt, wird so etwas schon gemacht. In Deutschland ist das allerdings nicht üblich und auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten: Die Kliniken müssten eine Work-Station installieren, um die Daten empfangen zu können. Das rechnet sich für die Betreiber nicht. Und die Rettungsdienste haben häufig nicht die finanziellen Möglichkeiten, um Krankenhäuser mit solchen Empfangsgeräten auszustatten.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen www.notfallmedizintechnik.de
Notfallmedizin in Deutschland
Rund 35 000 Mitarbeiter sind in Deutschland im Rettungsdienst tätig. Ihnen stehen, verteilt auf etwa 2800 Rettungsdienstwachen, rund 10 000 Fahrzeuge zur Verfügung. EKG-Gerät, Defibrillator und Beatmungsgerät gehören zu deren Standardausrüstung. Die Zulassung der Geräte für den Einsatz in der Notfallmedizin regelt die Richtlinie 93/42/EWG Anhang I.
Zum Einsatz fahren, je nach Bundesland, zwei ausgebildete Rettungsassistenten oder ein Assistent mit einem Sanitäter. Der Notarzt trifft das Team am Einsatzort. Ärztliche Betreuung ist eine deutsche Besonderheit: In anderen Ländern ver- sorgen ausschließlich Assistenten den Patienten und bringen ihn in eine Klinik.
Ihr Stichwort
- EKG-Gerät
- Ultraschall
- Kabellose Datenübertragung
- Point-of-Care-Diagnostik
- Blutgasanalyse
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