Herr Professor Hirt, 2025 sind zwei Veranstaltungen der Reihe Einschnitte | Einblicke dem Green Hospital gewidmet. Wie dringlich sind hier Fortschritte?
Wenn man anfängt, sich mit dem Thema zu befassen, erschrickt man, weil es im Krankenhaus bisher wenig um die Nachhaltigkeit ging. Dennoch gibt es eine große Sensibilisierung für das Thema: unter Medizinern und Medizinerinnen, auch sehr stark bei Studierenden, die das Thema in der Ausbildung angesprochen sehen wollen, ebenso im Krankenhausmanagement. Konzepte und konkrete Daten, was man verbessern könnte, gibt es auf jeden Fall noch zu wenig. Aber es besteht Einigkeit darüber, dass jedes Krankenhaus seinen ökologischen Fußabdruck verringern muss. Nun gilt es, die richtigen Ansatzpunkte dafür zu diskutieren. Das wollen auch wir mit unseren Veranstaltungen im kommenden Jahr erreichen.
Was muss ein Krankenhaus erfüllen, um ein Green Hospital zu sein?
Eine feste Definition des Begriffes gibt es meines Wissens immer noch nicht. Aber die Liste der Dinge, die zu mehr Nachhaltigkeit führen, ist wirklich lang – und es gehört weit mehr dazu, als die Müllberge im OP, die einem sofort einfallen. Da reden wir von nachhaltiger Beschaffung und Lieferketten mit geringem Umwelteinfluss, vom Verbrauch an Wasser, Chemikalien und Energie, von Bauweisen, die mehr Tageslicht nutzen, über Mitarbeitermobilität bis hin zur digitalen Transformation und Telemedizin, die mit weniger Papier und weniger anreisenden Patienten den gewünschten Effekt erzielt. Damit ist die Aufzählung natürlich nicht vollständig. Aber die Vielfalt zeigt, dass man auch, wenn man über den OP spricht, sehr viele Ansatzpunkte mit bedenken kann, um etwas zu verbessern.
Green Hospital: Der Trend zur Nachhaltigkeit nimmt Fahrt auf
Wo sehen Sie die Hauptansatzpunkte?
Man muss sich gestatten, vieles, was wir gewohnt sind, grundsätzlich zu hinterfragen. Ein Beispiel sind die Biozide, die wir aktuell zur Boden- und Oberflächenreinigung verwenden. Einiges davon ist plötzlich verboten. Wir müssen jetzt also entscheiden, wo wir welche Reinigungsfunktion wirklich brauchen und wie wir das ohne die gewohnten Chemikalien, aber vielleicht mit anderen Technologien hinbekommen. Ähnliche Fälle gibt es viele. Denken wir an Verpackungen. An manchen Stellen ist viel Aufwand erforderlich, um Produkte sehr sicher steril zu halten. Aber ist wirklich überall der gleiche hohe Standard erforderlich? Oder gehen Sie nachts durch einen OP, da leuchtet und blinkt so einiges. Was davon ist unverzichtbar – und was können wir energiesparender lösen? In einem Krankenhaus, dass seinen Energiebedarf reduziert, kann ein Medizingerät, dass hier der Zeit voraus ist, durchaus Wettbewerbsvorteile erzielen.
Wie wichtig sind Verbesserungen im OP für die Klinik insgesamt?
Der Operationssaal ist für das Krankenhaus ein Hauptleistungsbereich. Wenn wir dort etwas ändern, hat das auch insgesamt spürbare Auswirkungen. Darüber wollen wir mit Fachleuten aus der Medizintechnik diskutieren. Lassen sich die Produkte verändern? Was kann man dem Krankenhauspersonal zumuten? Welche gestalterischen oder technischen Möglichkeiten gibt es, um zum Beispiel den Abfall besser zu sortieren und so das Problem zu reduzieren? Dazu läuft die Diskussion gerade. Manche sagen, es habe sich schon vieles verbessert. Wir wollen besprechen, ob das ausreicht oder sich noch mehr erreichen lässt, ohne natürlich die Patientensicherheit zu gefährden.
Wie bewerten Sie den rechtlichen Rahmen für mehr Nachhaltigkeit?
Wir müssen mehrere Ziele gleichzeitig erreichen. Wir wollen mehr Nachhaltigkeit, müssen und wollen den ökologischen Fußabdruck verringern. Wir wollen und müssen ebenso die Patientensicherheit gewährleisten und haben finanzielle Rahmenbedingungen einzuhalten. Wie gut die aktuellen rechtlichen Vorgaben dazu passen, wird zu diskutieren sein.
Was erhoffen Sie sich vom Austausch mit den Medizintechnikern?
Wir wollen den Medical Need zeigen, unseren Bedarf für Veränderungen, um Weiterentwicklungen zur Nachhaltigkeit eine Richtung zu geben, die die Möglichkeiten des Personal im Krankenhaus berücksichtigt. Bei der Online-Sitzung stellen wir das Thema vor, benennen Schwachpunkte an Produkten. In den vergangenen Jahren war es so, dass zur Präsenzveranstaltung einige Monate später Entwickler die Kritik aufgegriffen hatten und mit Prototypen eines Instrumentes zu uns kamen, um dessen Vor- und Nachteile zu besprechen. So etwas erhoffen wir uns auch zum Green Hospital – und sehen auch Zulieferer der Branche als Zielgruppe.
Wie lange könnte es dauern, bis es mit der Nachhaltigkeit im OP besser läuft?
Wir stehen noch zu weit am Anfang, um dazu konkrete Zahlen zu nennen. Aber da die Studierenden das Thema jetzt schon aufgreifen und bald diejenigen sein werden, die darüber entscheiden, gehe ich davon aus, dass sich in den kommenden Jahren ein Menge tun wird.
Über die Veranstaltungen zum Green Hospital
Die Workshop-Reihe Einschnitte | Einblicke findet seit einigen Jahren am Institut für Klinische Anatomie und Zellanalytik in Tübingen statt. Bisher ging es dabei um den Medical Need und neue Ideen für Instrumente oder OP-Methoden, die Mediziner mit Entwicklern aus Medizintechnik-Unternehmen diskutierten. Veranstalter der Reihe sind das Interuniversitäre Zentrum für Medizinische Technologien Stuttgart – Tübingen (IZST), die Stuttgarter Bioregio Stern Management GmbH und der Verein zur Förderung der Biotechnologie und Medizintechnik e. V. Für 2025 ist bei Einschnitte | Einblicke zum ersten Mal ein übergreifendes Thema auf der Agenda: die Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen. Zwei Termine zur „Nachhaltigkeit im OP – Green Hospital“sind geplant.
29. Januar 2025 – „Online im Dialog“
25. Juni 2025 – „Vor Ort im Dialog“.
Weitere Informationen:
https://klinische-anatomie.de/klinische-anatomie/einschnitte-einblicke/