Herr Kammerer, was ist aus Ihrer Sicht das Positive an der MDR?
Das wesentliche Ziel der MDR-Regelungen ist ein Mehr an Patientensicherheit – das begrüßen wir, denn das ist auch unsere Vorgabe. Abgesehen davon bekommen wir mit der MDR eine sofort wirksame stärkere Regulierung des Marktes. Damit gelten für alle Unternehmen die gleichen Spielregeln, überall in Europa. Die Benannten Stellen arbeiten nach den gleichen strikten Vorgaben, die auch auf Billiganbieter aus anderen Regionen der Welt angewendet werden. Das sehe ich positiv.
Was bedeutet die EU-MDR für Ihr Unternehmen?
Wir haben uns mit dem Thema schon früh auseinandergesetzt und uns technisch und organisatorisch vorbereitet. Uns hat dabei geholfen, dass wir viel mit Forschungsinstituten und Branchenorganisationen wie Medical Mountains sprechen und schon früh mitbekommen haben, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln würden. Technisch haben wir zum Beispiel unsere Produkte darauf ausgerichtet, dass sie nachweislich gut zu reinigen, sterilisierbar und biokompatibel sind, um den Anforderungen der MDR zu entsprechen. Bereits 2013 haben wir begonnen, ein neues QM-System zu etablieren und waren 2017 nach der DIN EN ISO 13485:2016 zertifiziert. Daher behaupte ich, dass wir jetzt schon in der Lage sind, die ab Mai 2020 gültigen Anforderungen zu erfüllen. Da das noch nicht viele Anbieter können, kommen neue Kunden auf uns zu. Wir wachsen also stark.
Wie war die Umstellung zu bewältigen?
Es steckt viel finanzieller und personeller Aufwand dahinter. Ich schätze, dass wir eine halbe Million Euro in die Vorbereitungen investiert haben. Das muss man wollen und leisten können.
Welcher Aspekt der MDR beschäftigt Sie aktuell am meisten?
Das Thema Design-Transfer. Unsere Kunden brauchen alle Angaben und Unterlagen zu den Produkten, die wir für sie herstellen. Das ist eine Gratwanderung. Einerseits müssen wir alles offenlegen – was schwierig sein kann. Andererseits ist der Kunde so auch längerfristig an uns gebunden. Das bietet uns mehr Perspektiven.
Welche der neuen Regelungen bereitet Ihnen die größte Sorge?
Mir geht es da gar nicht um einzelne Regelungen, sondern eher um das Hau-Ruck-Verfahren, mit dem die Welt der Medizintechnik auf den Kopf gestellt werden soll. Ähnliche Veränderungen in einer Branche haben wir früher schon erlebt, beispielsweise in der Automobilindustrie. Aber da stand für den Prozess mehr Zeit zur Verfügung. Jetzt haben wir noch fast keine neuen Benannten Stellen, aber bis Mai 2020 sollen alle Produktakten geprüft sein. Das wird nicht zu schaffen sein. Und wer zu spät kommt oder nur kleine Prüfaufträge mitbringt, wird das Nachsehen haben.
Was bedeutet das für Ihr Produktportfolio?
Wir sind heute schon kein Inverkehrbringer von Medizinprodukten mehr, sondern fertigen ausschließlich im Auftrag unserer Kunden. Insofern ändert sich unser Portfolio mit der MDR nicht. Von unseren Kunden aber erfahre ich, dass längst nicht alle Produkte am Markt bleiben werden – manchmal auch einfach deshalb, weil ein Hersteller von seinen Lieferanten nicht alle erforderlichen Unterlagen bekommt, die er für Produktakte und Prüfung bei der Benannten Stelle bräuchte.
Welche Auswirkungen erwarten Sie für die Branche und die Hersteller in Europa?
Die Struktur der Branche wird sich ändern: Kein Unternehmen wird mehr mit einer Vielzahl von Lieferanten zusammenarbeiten können, die jeweils alle zwei Jahre vom Hersteller selbst auditiert werden müssten. Also wird es eine Konsolidierung geben, bei der die kleineren Lieferanten wegfallen. Und ich rechne damit, dass sich die Vielfalt bei den Produkten reduziert. Statt Hüftschäften in zwanzig Varianten wird es dann vielleicht nur noch vier oder fünf verschiedene am Markt geben. Und da sich im Moment die Manpower auf die MDR konzentriert, bleibt kaum Zeit, an Innovationen zu arbeiten. Auch das werden wir bald zu spüren bekommen.