Das Pflaster mit Anbindung ans 5G-Netz – ist das die Perspektive fürs digitalisierte Gesundheitswesen? Was ist im medizinischen Umfeld auf längere Sicht sinnvoll und machbar? Ein Ort, an dem das getestet werden soll, ist der Medizincampus des Universitätsklinikums Düsseldorf. Im Rahmen des Projektes Giga for Health ist geplant, dort in Kooperation mit Vodafone ein „maßgeschneidertes“ 5G-Campusnetz zu installieren – und die Mediziner haben hohe Erwartungen an das, was ein Breitband-Anschluss ermöglichen soll: monitoring patches zum Beispiel, die Pflaster mit Netzanbindung, sollen in der Notaufnahme und auf Station Vitaldaten von Patienten sammeln und an eine Überwachungsstation senden. Bei auffälligen Werten können Ärzte dann besonders schnell eingreifen. Auch bei der computer-assistierten Tumor-Chirurgie soll Datenübertragung in Echtzeit helfen. Als „Mixed Reality“ können zum Beispiel 3D-Strukturen des Gehirns sowie deren wesentlichen funktionelle Bereiche vom Computer virtuell in den Raum projiziert werden, damit sich Operateure besser orientieren können. Gerade im Gesundheitssektor gebe es für die 5G-Technologie „enormes Potenzial“, sagt der nordrhein-westfälische Wirtschafts- und Digitalminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart.
Mobilfunk im Krankenhaus aus Perspektive der EMV
Für Medizinproduktehersteller besonders interessant ist ein Bereich im Projekt Giga for Health, den die Wissenschaftler des Instituts für Hochfrequenztechnik (IHF) der RWTH Aachen angehen wollen. Dort soll untersucht werden, wie störfest Medizingeräte sind: sowohl im Umfeld von 5G-Kleinzellen – ortsfesten Sendeanlagen mit geringer Sendeleistung und kleinem Versorgungsbereich – als auch in der Nähe von Endgeräten.
Bisher gibt es keine Studien dazu, wie eine 5G-Versorgung im Gebäude Medizingeräte beeinflusst. Punktuell habe sich aber gezeigt, dass die medizinischen Geräte gegenüber anderen Mobilfunkgenerationen sogar recht robust seien, sagt Prof. Dirk Heberling, Leiter des IHF und einer der Mitstreiter im Projekt Giga for Health. „Wenn Sie bisher ein Krankenhaus betreten, sehen Sie überall Hinweise, dass das Einschalten von mobilen Geräten nicht gestattet ist – einfach um jedes Risiko auszuschließen, dass ein mitgebrachtes Smartphone die Geräte im Krankenhaus beeinflussen könnte.“
Digitalisierung im Gesundheitswesen: Suche nach passenden Grenzwerten
Bei den geplanten Arbeiten mit dem 5G-Campusnetz soll sich zeigen, wie viel Vorsicht mit mobilen Geräten in der Klinik tatsächlich erforderlich ist. Regeln für
das allgemein und „überall“ verfügbare 5G-Netz gibt es dazu schon: Demnach müssen Basisstationen oder Kleinzellen so betrieben werden, dass die in der
26. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) festgelegten Grenzwerte für den Menschen in allen öffentlich zugänglichen Bereichen nicht überschritten werden. In Krankenhäusern befinden sich allerdings nicht nur Menschen, sondern auch Medizingeräte im Einflussbereich des Netzes. Gemäß der in Deutschland geltenden DIN-Norm brauchen diese nur eine relativ geringe Störfestigkeit aufzuweisen. Viele Untersuchungsräume oder OPs sind sogar abgeschirmt, damit keine möglicherweise störende Strahlung hereinkommt. „Wenn ich genau dort Ärzte mit Virtual-Reality-Lösungen unterstützen will, muss untersucht werden, ob eine 5G-Kleinzelle im Raum selbst möglich ist, ohne dass davon eine Gefahr für die Patientensicherheit ausgeht“, sagt Heberling. Medizingeräte müssen heute Störfestigkeitsprüfungen gegenüber hochfrequenten elektromagnetischen Feldern durchlaufen, um auf den Markt gebracht zu werden. Diese Prüfpegel sind aber relativ gering gewählt. Vielleicht zu gering? „Wenn wir 5G-Technologie dort nutzen wollen, müssen wir vorher genau wissen, unter welchen Umständen Störungen auftreten könnten.“
EMV-Untersuchungen zeigen, was Medizingeräte vertragen
Für das Projekt Giga for Health soll das anhand einer Reihe von Medizinprodukten untersucht werden. Welche das sind, werden Klinikmitarbeiter vorschlagen: zum Beispiel Geräte, bei denen die Störung durch das 5G-Netz für Patienten gefährlich werden könnte – wie Beatmungsgeräte. „Ein weiterer Schwerpunkt werden Geräte sein, die in einem Krankenhaus in großer Zahl eingesetzt werden.“
Bei modernen Medizingeräten rechnet der Aachener Wissenschaftler nicht mit EMV-Problemen. Dennoch empfiehlt Heberling mit Blick auf die Zukunft, ein gewisses Augenmerk auf die Abschirmung der Produkte zu legen – viel mehr noch aber auf die Chancen, die 5G und Folgestandards wie 6G für neue Funktionen bieten.
Was genau könnte aber die Vernetzung der Geräte im Krankenhaus bringen? Dieser Frage wollen Forscher und Mediziner mit den aktuellen 5G-Projekten wie dem in Düsseldorf beantworten. „Wir müssen das Thema 5G international und disruptiv denken“, sagt beispielsweise Prof. Ulrike Attenberger, Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum in Bonn (UKB). Dort entsteht seit Herbst 2020 ebenfalls ein 5G-Campusnetz, das in den nächsten Jahren zum Secure UKB Medical Campus ausgebaut werden soll. Technologiepartner ist hier die Telekom.
Digitalisierung im Gesundheitswesen hat viele Facetten
Ein 5G Netz bietet laut Attenberger für die Behandlung der Patienten in Zukunft viele Möglichkeiten. „Ein lokales Campusnetz ist nur der Anfang“, sagt die Medizinerin. Der Einsatz mobiler Geräte sowie die Optionen für sichere Heimarbeitsplätze mit schnellem Datentransfer würden sich deutlich erweitern. Mit Blick auf die zukünftigen Entwicklungen im Gesundheitswesen müsse man über 5G hinaus langfristige Ziele setzen: die Gesundheitseinrichtungen über Landes- und Staatsgrenzen hinaus zu vernetzen oder zum Beispiel einen europäischen Datenpool einzurichten, in dem Gesundheitsdaten zusammenfließen und für Forschung und Medizin zur Verfügung stehen – entsprechende Maßnahmen zum Datenschutz vorausgesetzt. „Wir werden im Gesundheitssystem in Zukunft immer mehr Daten zur Verfügung stellen müssen und dafür sichere, leistungsfähige und schnelle Netzwerke brauchen.“
Große Perspektiven mit 5G, Anfang in kleineren Schritten
Das Projekt in Bonn geht aber zunächst mit kleineren Aufgaben an den Start. „Wir beginnen in drei Bereichen“, erläutert Attenberger. Dabei geht es zum Beispiel um die Möglichkeit, Daten aus der bildgebenden Diagnostik nicht nur in der Klinik auszuwerten, sondern auch von einem Heimarbeitsplatz aus. „Wir haben das in kleinerem Rahmen schon getestet.“ Der Oberarzt im Hintergrunddienst könne zum Beispiel von zu Hause aus auf die Bilder zugreifen. „Das ist zwar heute schon möglich, funktioniert aber gerade in Regionen mit einer eingeschränkten DSL-Bandbreite nicht mit ausreichender Performance.“ Durch die 5G-Mobilfunkfrequenzen werde auch in solchen Gebieten ein sicherer und schnellerer Datenzugriff vom Heimarbeitsplatz möglich, sagt Attenberger.
Als weiteres Einsatzfeld nennt sie mobile Geräte, die unter anderem die Behandlung von Notfallpatienten verbessern können. „Dem Team in der Notaufnahme hilft es bei der Vorbereitung, wenn Vitaldaten eines Patienten schon aus dem Rettungswagen oder -hubschrauber zur Verfügung stehen.“ Als drittes Gebiet soll die Robotik in Bonn über 5G angebunden werden. Potenzielle künftige Einsatzgebiete könnten hier Pflege- und OP-Roboter sein. Angesichts des wachsenden Anteils älterer Menschen an der Bevölkerung werde man auf „digitale Hände“ angewiesen sein. Auch Operationen aus der Ferne könnten dann zum Alltag gehören. „Bislang haben wir allerdings das 5G-Campusnetz noch nicht im Umfeld von Operationssälen implementiert“, sagt Prof. Attenberger.
Vernetzung in größerem Maßstab ist das Ziel der Digitalisierung
Die größten Vorteile von 5G liegen ihrer Meinung nach in der Vernetzung mobiler Geräte in größerem Maßstab sowie der schnellen und sicheren Datenübertragung. „Wir Mediziner müssen die Anforderungen definieren und sagen, wie wir die Medizin der Zukunft sehen.“ Bisher gibt es noch keine technische Lösung, um Medizingeräte mit 5G-Adaptern anzubinden. „Aber die Medizintechnik-Industrie ist höchst innovativ: Wir haben heute schon Anwendungen, die wir uns vor zehn Jahren nicht mal hätten vorstellen können. Ich gehe daher davon aus, dass eine 5G-Netz-Anbindung in Zukunft verfügbar sein wird.“
5G-Testumgebung: Mannheim hat Platz für Medizintechniker
Genau an diesem Punkt arbeiten Forscher in Baden-Württemberg. 5G-Stand-alone-Netze wurden hier ebenfalls 2020 an fünf Standorten aufgebaut und stehen kleinen und mittleren Unternehmen für Tests zur Verfügung. Koordiniert wird das Projekt 5G4KMU vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Angesprochen sind verschiedene Industriebranchen, darunter ausdrücklich die Medizintechnik.
„Wir stehen mit diesem Thema noch ganz am Anfang“, sagt Professor Jan Stallkamp, der die Mannheimer IPA-Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie, kurz PAMB, leitet. Deren 5G-Testumgebung umfasst auch einen Interventionsraum, in dem sich unterschiedliche Ideen für Medizingeräte und Gesundheitsanwendungen ausprobieren lassen. Da es noch keine Adapterbausteine gibt, werden zunächst Mobiltelefone und danach externe Modems mit Medizingeräten gekoppelt. „Wir bieten Unternehmen an, Dinge mit uns und bei uns auszuprobieren“, sagt Stallkamp. „Aber noch wartet die Industrie eher auf unsere Vorschläge und die Ergebnisse aus den ersten Versuchen.“ Zurückhaltung seitens der Hersteller war auch bei der redaktionellen Frage nach einer Einschätzung zu 5G deutlich zu spüren.
5G als Baustein auf dem Weg zum digitalisierten Krankenhaus
Für den Ingenieur Stallkamp ist 5G ein Baustein auf dem Weg zu digitalisierten Krankenhäusern. Allerdings sieht er für die Technologie nur dann eine Chance, wenn es in etwa zeitgleich eine ganze Reihe von Anwendungen gibt, die einer Klinik Vorteile versprechen. „Die 5G-Vernetzung bringt ja erst etwas, wenn auch die Peripherie vernetzt ist und entsprechend Funktionalitäten anbietet.“ Der finanzielle und technische Aufwand, ein Netzwerk in einer Klinik zu installieren, sei riesig – „dafür muss es starke Argumente und eine gute Strategie geben“, betont der Ingenieur. Eine einzige erfolgreiche Anwendung wäre längst nicht Grund genug. Die Herausforderung für die Medizintechnik-Entwickler: Geräte, die durch Vernetzung Vorteile bieten, müssen so leicht und einfach einsetzbar sein wie die Vorgänger ohne 5G-Adapter.
Trotz aller Herausforderungen ist 5G für das Digitale Krankenhaus laut Stallkamp ein wichtiges Zukunftsthema für die Medizin. „Künstliche Intelligenz wird hier wahrscheinlich größere Veränderungen hervorrufen als der Baustein 5G. Die Kombination aus beiden allerdings hat immenses Potenzial, die Prozesse in der Gesundheitsversorgung zu beschleunigen und zu verbessern.“ Darüber hinaus tauchten am Horizont die ersten Anzeichen des Nachfolgers 6G auf. Dieser könne mit den bisher bekannten Spezifikationen endgültig eine unbeschränkte Vernetzung im Krankenhaus bieten und der Digitalisierung zum Durchbruch verhelfen.
Krankenhauszukunftsgesetz: die Kosten der Digitalisierung
Doch zunächst gibt es mit der Anpassung der IT-Infrastruktur in Krankenhäusern und Kliniken eine Riesenaufgabe zu bewältigen. Wie dringlich das ist und welche Investitionen es erfordern wird, zeigt das Krankenhauszukunftsgesetz vom Herbst 2020. Darin sind über 3 Mrd. Euro eingeplant, mit denen die Einrichtungen unter anderem bei der digitalen Ausstattung vorankommen sollen.
Mit den neuen 5G-Campusnetzen ist aber ein Anfang gemacht. So sieht es auch Prof. Dr. Dr. Frank Schneider, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Düsseldorf und Konsortialführer des Verbundprojektes: „Mit der Förderung der Giga-for-Health-Projekte können wir digitalen Techniken im Krankenhaus einen wichtigen Schub geben.“
Weitere Informationen
Über das Projekt Giga for Health: http://hier.pro/5kBT7
Uniklinik Bonn, Prof. Attenberger: http://hier.pro/mvJpb
PAMB, Testumgebung 5G4KMU: https://pamb.ipa.fraunhofer.de/
(Bild: metmorworks/stock.adobe.com)
Fortschritt im Krankenhaus
Ende Oktober 2020 ist das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) in Kraft getreten. Mit dem Gesetz wird das durch die Regierungskoalition im Juni 2020 beschlossene „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“ umgesetzt. Vom Bund werden 3 Mrd. Euro Fördermittel bereitgestellt, damit Krankenhäuser in moderne Notfallkapazitäten, die Digitalisierung und ihre IT-Sicherheit investieren können. Die Länder und/oder die Krankenhausträger sollen weitere Investitionsmittel in Höhe von 1,3 Mrd. Euro aufbringen, sodass sich das Gesamtfördervolumen auf bis zu 4,3 Mrd Euro beläuft.
Die vier Technologieverbände Bvitg, BVMed, Spectaris und ZVEI haben ihre Mitgliedsunternehmen bereits über die Förderrichtlinie zum Krankenhauszukunftsfonds, einem Kernelement des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG), informiert. Anlässlich einer Infoveranstaltung mit Experten des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) und des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) appellierten die Verbände im Dezember an alle Beteiligten, diese „große Chance für einen Digitalisierungsschub in den Krankenhäusern“ zu nutzen.
Gefördert werden, wie es auf den Internetseiten des BMG heißt, Investitionen in moderne Notfallkapazitäten und eine bessere digitale Infrastruktur (beispielsweise Patientenportale, elektronische Dokumentation von Pflege- und Behandlungsleistungen, digitales Medikationsmanagement, Maßnahmen zur IT-Sicherheit sowie sektorenübergreifende telemedizinische Netzwerkstrukturen). Auch erforderliche personelle Maßnahmen können durch den Krankenhauszukunftsfonds finanziert werden. Der Stand der Digitalisierung der Krankenhäuser soll zum 30. Juni 2021 und 30. Juni 2023 evaluiert werden.
Über das Krankenhauszukunftsgesetz:
http://hier.pro/8PYVc
Infos zu E-Health
Aus der Politik gibt es viel Rückenwind für die verschiedensten Ansätze zur Digitalisierung. Alle Aktivitäten, die das Bundesministerium für Gesundheit BMG angeht, sind zusammengefasst auf der Seite zur E- Health-Initiative. Dazu zählen unter anderem das Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG), das am 20. Oktober 2020 in Kraft getreten ist, sowie das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG).
www.bundesgesundheitsministerium.de/e-health-initiative.html