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Wie dehnbar ist die Aorta?

Prüftechnik: Biaxialprüfmaschine untersucht die Wandstruktur von Aneurysmen
Wie dehnbar ist die Aorta?

Die Entscheidung für oder gegen die Operation eines Aneurysmas der Bauchschlagader hängt auch von deren Struktur ab. Eine neue Biaxialprüfmaschine ermöglicht das Messen der Aneurysmengeometrie sowie der mechanischen Eigenschaften der Arterienwand.

Ein Aneurysma ist die krankhafte Erweiterung einer Arterie, die häufig an der Bauchschlagader auftritt. Hohe Blutdruckbelastung verbunden mit einer verringerten Stabilität der erkrankten Arterienwand kann zum Reißen (Ruptur) der Aorta und damit zum Tod des Patienten führen. Ein diagnostiziertes Aneurysma kann operativ behandelt werden, indem eine Gefäßprothese eingesetzt wird. Gegenwärtig wird dann zu einer prophylaktischen Operation geraten, wenn die Erweiterung der Bauchschlagader einen Maximaldurchmesser von 5,5 cm überschreitet. Das ist jedoch ein sehr grobes Kriterium und unter Umständen weit weg vom tatsächlichen individuellen Risiko: Ein pauschaler Grenzdurchmesser berücksichtigt weder die individuelle Geometrie des Aneurysmas noch die patientenspezifischen Wandeigenschaften, die sich in Wanddicke, Aufbau und Grad der Degeneration unterscheiden. In den meisten Aneurysmen bildet sich zudem ein Blutgerinnsel in Form eines gallertartigen Klumpens, der sich im Bereich der Aufweitung innen an die Gefäßwand anlegt.

Zur Bestimmung der unterschiedlichen Einflussfaktoren auf das individuelle Rupturrisiko, läuft im Rahmen der International Graduate School of Science and Engineering (IGSSE) an der Technischen Universität München seit 2007 ein interdisziplinäres Projekt. Es beinhaltet eine Studie an Patienten, die für eine solche Operation vorgesehen sind. Die Vorbereitung der Operationsplanung beinhaltet nicht nur die üblichen CT-Aufnahmen sondern auch eine PET/CT-Aufnahme (Positronen-Emissions-Tomographie). Diese ermöglicht Erkenntnisse über entzündliche, respektive reparatorische Stoffwechselaktivitäten an der Wand des Aneurysmas. Darüber hinaus wird für jeden dieser Patienten die Geometrie seines Aneurysmas aus den CT-Daten rekonstruiert und als Basis für eine numerische Simulation verwendet. Diese Geometrie wird dann von innen mit einem simulierten Druck belastet, entsprechend dem Blutdruck in der Aorta, und die Reaktionen auf diese Belastung werden numerisch ermittelt. Die Werte geben Auskunft darüber, wo die Spannungen der Aortenwand besonders hoch oder niedrig sind.
Die Simulation der Interaktion zwischen Blutdruck und Arterienwand erfolgt mit Hilfe der Finite Elemente Methode (FEM). Sämtliche Berechnungen werden mit dem am Lehrstuhl für Numerische Mechanik entwickelten Finite-Element-Programm Baci für statische und dynamische Strukturprobleme durchgeführt. Darüber hinaus ermöglicht das Programm auch die dynamische Simulation von Strömungen sowie Fluid-Struktur-Interaktionen. Der Lehrstuhl für Numerische Mechanik gehört zur Fakultät Maschinenwesen der TU München.
Bei der Operation des Aortenaneurysmas wird der erkrankte Bereich durch eine Gefäßprothese ersetzt und ein Teil des aufgeweiteten Aortengewebes entnommen. Dies erfolgt nach Möglichkeit dort, wo die numerische Berechnung sowohl hohe als auch niedrige Spannungen prognostiziert und sich ein deutliches Signal im PET/CT ergeben hat. Die Proben werden dann histologisch und mechanisch in Bezug auf Spannungsverteilung und Materialfestigkeit untersucht, um Rückschlüsse auf die Veränderung des Gewebes infolge der abweichenden Belastung im Aneurysma zu erhalten.
Mechanische Zugprüfungen wurden an der Technischen Universität bereits an Lungenproben erfolgreich eingesetzt. Für eine Untersuchung der abdominalen Aortenwand sind aber 5 mm Verfahrweg und eine maximale Zugkraft von 22 N der bisherigen Maschine zu gering, um im destruktiven Zugversuch die Probe zu schädigen und die Festigkeit der Probe zu messen. Darüber hinaus erfolgten die bisherigen Messungen nur uni-axial. Aus diesem Grund wurde für die Messungen des Aortengewebes eine Biaxialprüfmaschine der Zwick GmbH & Co. KG, Ulm, eingesetzt. Sie ist speziell auf die zweiachsige Zugprüfung von natürlichen und künstlichen elastischen Geweben ausgelegt – so dass auch anisotrope Eigenschaften von elastischen Geweben bestimmt werden können. Das ist ein wichtiger Faktor, um eine präzise Aussage in Bezug auf eine Operation zu treffen, denn die mechanischen Eigenschaften der Aortenwand unterscheiden sich auch aufgrund der Ausrichtung der Fasern.
In der Biaxialprüfmaschine sind vier Linearantriebe integriert, die unabhängig voneinander geregelt werden. Die Kraftmessung erfolgt über (wasserdichte) Kraftaufnehmer, jeweils zwei in X- und Y-Richtung. Hinzu kommen vier Mess-, Steuer- und Regelelektronikeinheiten TestControl sowie ein Flüssigkeitsbehälter zur optimalen Temperierung des Mediums. Die maximale Prüfkraft liegt bei 100 N je Aufnehmer und die Auflösung erreicht 0,6 mN. Der Verfahrweg für die Zugmessung ist 50 mm und die maximale Geschwindigkeit 2000 mm/min. Die Probe wird mit Hilfe der mitgelieferten Montagevorrichtungen außerhalb der Prüfvorrichtung montiert und fertig assembliert in das Messsystem eingebracht.
Ein Vorteil der Prüfmaschine ist das Laser Speckle Extensometer, das die Zwick-Tochter Messphysik Materials Testing der TU München zur Verfügung stellte. Es ermöglicht eine berührungslose und zweidimensionale Dehnungs- und Verformungsmessung ohne Probenmarkierung. Das Messprinzip beruht auf der Auswertung von Specklemustern, die auf der Oberfläche der Probe durch die Beleuchtung mit einem Laser entstehen, reflektiert und mit einer Kamera aufgenommen werden. Die Funktionen des LaserXtens sind in das Software-System TestXpert integriert. Ziel der Untersuchungen ist die Korrelation der biologischen Stoffwechselaktivität, wie sie im PET/CT gemessen wurde, mit den mechanischen Eigenschaften der Arterienwand. Das heißt, mit Hilfe des PET/CT würde man ohne OP Aussagen über die lokalen mechanischen Wandeigenschaften erhalten.
Dr. Peter Stipp Fachjournalist in Bensheim
Biaxialprüfmaschine mit vier integrierten Linearantrieben
Informationen Zum Prüfmaschinenanbieter: www.zwick.de Zu den Projekten der TU München: www.tum.de

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