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Sauber, rein und fast keimfrei – bis in den engsten Spalt

Reinigungstechnik: Kohlendioxid lässt sich in verschiedenen Aggregatzuständen nutzen
Sauber, rein und fast keimfrei – bis in den engsten Spalt

Durch die Klimadebatte ist CO2 als Klimakiller verschrien. Dabei lässt es sich ressourceneffizient zur Teilereinigung einsetzen. Ein interessanter Nebeneffekt bei komprimiertem CO2: Die Keime auf den behandelten Oberflächen reduzieren sich.

Von wegen kalter Kaffee: In der Nahrungsmittelindustrie wird Kohlendioxid (CO2) zwar schon lange zur Entkoffeinierung von Kaffee oder zum Extrahieren von Ölen aus Kräutern eingesetzt. Und auch in der industriellen Teilereinigung ist es vom Trockeneisstrahlen oder Schneestrahlen bekannt. Und dennoch: „In der Technologie steckt viel mehr Potenzial, als man bislang annimmt. Dabei ist sie unter ökologischen Aspekten fast unschlagbar“, sagt Dr. Mark Krieg, Leiter der Fraunhofer-Allianz Reinigungstechnik. CO2 und Ökologie? Durch die Debatte um die Treibhausgasemissionen hat die Öffentlichkeit ein ganz anderes Bild von der chemischen Verbindung. „Für die Reinigung wird nur technisches CO2 genutzt, das als Abfallprodukt, meist aus der chemischen Industrie, kommt“, erklärt der Experte. „Es wird nicht aus fossilen Brennstoffen gewonnen und ist insofern treibhausneutral. Mehr noch: Es handelt sich um eine trockene Reinigung, ein energieintensiver Trocknungsprozess ist danach nicht mehr erforderlich.“ Zudem sei es ein ungefährlicher und nicht toxischer Stoff.

Unabhängig vom Aggregatzustand und vom eingesetzten Verfahren hat das Medium weitere Vorteile für die Teilereinigung: Es ist leicht verfügbar, reinigt auch empfindliche Oberflächen und kann danach wiederverwertet werden. Kein Wunder, dass sowohl Hersteller als auch Anwender der Meinung sind, dass die CO2-Reinigungsverfahren insgesamt in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen werden. Dies hat eine Marktstudie der Fraunhofer-Allianz Reinigungstechnik Ende 2007 mit 600 Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum ergeben.
Dem Strahlen mit festem Kohlendioxid werden dabei die größten Chancen eingeräumt. „Die Verfahren, die darunter fallen, sind heute schon teilweise am Markt etabliert, insofern sind sie relativ bekannt“, so Krieg. Das sind zum einen das Pelletstrahlen, auch Trockeneisstrahlen genannt, und zum anderen das CO2-Schneestrahlreinigen.
Trockeneis ist die bei Atmosphärendruck feste Form des Kohlendioxids. Es wird hergestellt, indem flüssiges, unter Druck stehendes CO2 sehr schnell auf Atmosphärendruck entspannt wird. Wird es durch Matrizen gepresst, entstehen -78 °C kalte Blöcke oder Pellets. Beim Aufprall auf eine Oberfläche reduziert das Trockeneis schnell deren Temperatur. Dadurch kommt es zur Versprödung von anhaftendem Schmutz oder filmischen Schichten. Die nachfolgenden Pellets lösen mit ihrer kinetischen Energie den zu entfernenden Belag und die Verschmutzung vom Untergrund. Nach dem Aufprall sublimieren die Pellets rückstandsfrei und der Schmutz wird mit einem Sauger aufgenommen. Laut Krieg kommt das Verfahren vor allem bei der Wartung und Instandhaltung von Teilen für Neufertigungen zum Zug. „Seine Stärke liegt in der Flexibilität hinsichtlich der meist manuellen Anwendungen.“
Eine stärkere Automatisierung erlaubt das Schneestrahlreinigen. Hier wird flüssiges Kohlendioxid mit Druckluft beschleunigt und in einem Prozessschritt in Trockeneisschnee mit einer Temperatur von -78 °C umgewandelt und auf die zu reinigende Oberfläche aufgeschossen. „Die Anlagen enthalten nur wenige bewegliche Teile, so dass deren Verfügbarkeit hoch ist“, ergänzt der Fraunhofer-Experte. Zur Vorbereitung von Fügeprozessen ist das Verfahren gut geeignet, weil sich damit selektiv die Bereiche eines Bauteils reinigen lassen, die anschließend geklebt oder geschweißt werden sollen. Auch die Vorbehandlung vor dem Lackieren ist damit möglich. Beim Lackieren von Kunststoffen empfiehlt die Linde AG, Pullach, als Flüssig-CO2-Lieferant allerdings einen mehrstufigen Reinigungsprozess: Nach dem Schneestrahlreinigen sollte die Fläche mit entionisierter Luft behandelt werden, um kurz vor dem Lackieren die Oberflächenenergie zu erhöhen.
Weit weniger bekannt als das Reinigen mit festem CO2 ist der Einsatz mit überkritischem Kohlendioxid. Das könnte sich bald ändern, denn mit der Dürr Ecoclean GmbH, Filderstadt, steigt nun immerhin der Marktprimus in die Technologie ein. Seine Reinigungsanlage Ecoco2 hat er gemeinsam mit dem Spezialisten Eco2 S.A. mit Sitz im Schweizer Mezzovico entwickelt.
Das Prinzip des Verfahrens: Das CO2 gelangt als Flüssigkeit in die Anlage und wird dort durch die Erhöhung des Drucks auf über 74 bar sowie der Temperatur auf 31 °C in den überkritischen Zustand überführt. Das heißt, es verfügt dann über die Dichte einer Flüssigkeit und die Viskosität eines Gases. Damit kann es in kleinste Poren und Einschlüsse eindringen und Verschmutzungen abtransportieren. Das ist von Vorteil bei sehr komplexen Geometrien wie Kapillaren oder porösen Werkstücken, etwa Implantaten oder Sinterrohlingen. Unter Druck verflüssigtes CO2 hat außerdem gute Lösungseigenschaften für Fette und Öle. Bei temperaturempfindlichen Bauteilen wie aus Kunststoff gibt es dank der vorherrschenden Temperatur überdies keine Probleme hinsichtlich Verzug.
Für die Medizintechnik ist in dem Zusammenhang wichtig, dass das Verfahren reproduzierbare Reinigungsergebnisse gewährleistet. Denn durch den CO2-Einsatz ist die Konstanz des Ergebnisses sichergestellt, da Reiniger und Verschmutzung nach jedem Reinigungsprozess vollständig getrennt werden. Diese Trennung von Reiniger und Verschmutzung will sich die Fraunhofer-Allianz Reinigungstechnik auch in einem anderen Projekt zu Nutze machen, nämlich bei der Reinigung von Metallspänen, die mit Kühlschmierstoff versetzt sind. Krieg: „Die Späne werden in dem Fall wie Bauteile gereinigt und lassen sich anschließend ebenso wie der Schmierstoff sortenrein wiederverwenden.“
Ein weiterer angenehmer Nebenaspekt für die Medizintechnikbranche: Durch die Verwendung des komprimierten CO2 wird die Zahl der Keime auf der Oberfläche deutlich reduziert. Für Hersteller von Implantaten ist dies beispielsweise durchaus von Interesse: An dem von der Fraunhofer-Allianz Reinigungstechnik geführten Forschungsprojekt Kodiwasch ist deshalb Cendres+Métaux SA, Biel/Schweiz, beteiligt.
In diesem Projekt geht es um die Entwicklung einer dezentralen Anlagentechnik zur wirtschaftlichen Reinigung mit flüssigem und überkritischem Kohlendioxid. „Wir wollen die Kosten für die Anlagen reduzieren, das heißt deutlich unter eine Million Euro drücken, so dass mehr Unternehmen die Technologie nutzen können“, erklärt Krieg. Dies sei nur möglich, indem der Druck in der Reinigungskammer auf rund 70 bar verringert wird. Damit wird dann erstmals CO2 in flüssiger Form genutzt – mit nahezu allen Vorteilen des überkritischen Zustands. Krieg: „Nach dem Reinigen wird das CO2 entspannt, kurz in den gasförmigen Zustand überführt – und der Kreislauf beginnt von vorne.“ Im Kodiwasch-Projekt ist die Amsonic Deutschland GmbH, Remseck, als Anlagenhersteller mit im Boot. Krieg hofft, dass die Flüssig-CO2-Technologie in den nächsten fünf Jahren so weit entwickelt ist, dass dann Produkte auf den Markt kommen können.
Doch damit ist nach Kriegs Meinung das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht: Er kann sich gut vorstellen, dass flüssiges Kohlendioxid zum Einsatz kommt, um Kulturgüter zu detoxifizieren: Sie sind vielfach jahrelang mit Pestiziden behandelt worden, um Motten und andere Schädlinge von ihnen fern zu halten. Jetzt zeigen sich die Folgen: Im Ethnologischen Museum Berlin-Dahlem etwa sind rund zwei Drittel der Sammlung kontaminiert – die Auswirkungen für die Mitarbeiter nicht absehbar. Krieg: „Das Potenzial der Technologie ist somit noch längst nicht ausgeschöpft.“ Alles andere also als kalter Kaffee.
Sabine Koll Journalistin in Böblingen

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