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Operative Exzellenz

Indien: Wachstumsmarkt mit Chancen, Risiken und Nebenwirkungen
Operative Exzellenz

Deutsche Unternehmen profitieren vom neuen Gesundheitsbewusstsein der Inder: Neben der medizintechnischen Ausrüstung der staatlichen Krankenhäuser investiert der Staat verstärkt in moderne Privatkliniken für Medizintouristen.

Steven Grove hat seinen nächsten Urlaub schon geplant: Im November fliegen er und seine Frau für vier Wochen nach Indien. Während er sich dort einer Herzoperation unterzieht, wird seine Frau Edith nach einem Gesundheits-Check-up zwei Wochen lang an einer Rajasthan-Rundreise teilnehmen. Danach steht für beide eine einwöchige Ayurveda-Kur auf dem Programm. Für den Briten sind Flug, Aufenthalt in einer Spezialklinik mitsamt Kur und Erlebnisreise günstiger als eine Herzoperation in England. Zu Hause würde Grove für die Herzoperation rund 70 000 US-$ bezahlen, in den USA sogar bis zu 150 000 US-$. In Indien kostet die Behandlung in den besten Krankenhäusern zwischen 3000 und 10 000 US-$.

Medizintourismus ist das neue Schlagwort des privaten indischen Gesundheitswesens: Menschen aus den reichen westlichen und östlichen Ländern reisen nach Indien, um dort die medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen. Auch Dr. Sanjay Sharma, General Manager des Escort Heart Institute and Reseach Centre (EHIRC) in Neu Delhi, erhofft sich vom Medizintourismus viele zahlungskräftige Patienten aus dem Ausland für seine Herzklinik. „Wir bieten medizinische Versorgung der ersten Klasse zu Dritte-Welt-Preisen“, bekräftigt Dr. Sharma. Die Escort-Herzklinik verfügt derzeit über 330 Betten und neun Operationssäle. Weitere Betten für neue Patienten sind geplant. Deshalb ist Dr. Sharma auf der Suche nach Partnern, die in das Hospital investieren, um es weiter ausbauen und modernisieren zu können. Ein wichtiges Anliegen des Mediziners – nicht nur im Hinblick auf den Medizin-Tourismus.
Auch bei den Indern hat er in den letzten Jahren ein deutlich verändertes Gesundheitsbewusstsein festgestellt: „Wer gesund ist, macht bessere Geschäfte. Und wer gute Geschäfte macht, sorgt sich mehr um seine Gesundheit.“ Vor allem die stark wachsende Mittelschicht wird seiner Meinung nach in eine bessere medizinische Versorgung für sich investieren – und durch ihre Ansprüche den indischen Gesundheitsmarkt verbessern. Sharmas Klinik braucht dazu neue Geräte und moderne medizintechnische Ausrüstung. Die Escort-Gruppe setzt dabei bisher vor allem auf Anbieter wie Siemens, Philips und GE Healthcare.
Dass der Markt für Medizintourismusächst, zeigen aktuelle Zahlen: Werden heute noch 250 Mio. US-$ mit Medizintourismus umgesetzt, erwarten nach einer Studie von McKinsey und dem indischen Wirtschaftsverband Confederation of Indian Industry (CII) die indischen Kliniken bis 2012 ein Umsatzwachstum auf rund 2 Mrd. US-$. Die indische Regierung prognostiziert der neuen Sparte im Gesundheitswesen ein jährliches Wachstum von 30 %.
Auch Reiseveranstalter und Hotelunternehmen hoffen auf ihren Anteil vom Kuchen: Sie offerieren medizintouristische Pauschalangebote, die unter anderem den Flughafen-Transfer, den Service am Krankenbett, Internetzugang im Krankenzimmer, internationale Küche in den Kliniken und einen Erholungsurlaub im Anschluss an die Behandlung im Programm haben.
Bereits über vier Millionen Menschen sind heute im indischen Gesundheitssektor beschäftigt – Tendenz steigend. Somit zählt das Gesundheitswesen zu den größten Dienstleistungssektoren der indischen Wirtschaft. Die Ausgaben in diesem Sektor werden sich nach Expertenangaben in den nächsten zehn Jahren verdoppeln. In den Metropolen Mumbai, New Delhi, Bangalore, Chennai und Hyderabad werden Millionen Rupien in moderne Privatkrankenhäuser investiert, die mit moderner Technik und hochqualifiziertem Personal ausgestattet sind. Immerhin rechnet man damit, dass in den nächsten drei bis vier Jahren jährlich rund 80 000 neue Krankenhausbetten benötigt werden. In Mumbai beispielsweise sollen Patienten aus dem Ausland die subventionierten medizinischen Angebote der großen privaten Krankenhäuser nutzen und dies praktischerweise mit den touristischen Attraktionen des Landes verbinden. Doch mit dem Boom des Medizintourismus in einem Land wie Indien sind eine Reihe Risiken und Nebenwirkungen verbunden. Ein wichtiger Punkt ist die Hygiene: Gesundheitsgefährdende Krankenhausabfälle werden häufig nicht menschen- und umweltgerecht entsorgt. Das Infektionsrisiko ist hoch. Ein Problem, das Sören Gleitsmann, der als Area Sales Manager bei der Meiko Maschinenbau GmbH & Co. KG für die Region Asia/Pacific zuständig ist, gut kennt. „Bei der Hygiene gibt es nicht nur große Unterschiede zwischen privaten und staatlichen Krankenhäusern in Indien, es besteht ein genereller Verbesserungsbedarf“, erzählt der Asien-Experte.
Mit seinem Reinigungs- und Desinfektionsgeräte-Programm ist der Schwarzwälder Maschinenbauer auf dem indischen Markt aktiv. Seit einigen Jahren arbeitet Meiko mit der Wotek Engineering Services Pvt. Ltd. zusammen, die ihre Zentrale in Bangalore hat und mit mehreren Sales Managern den indischen Markt abdeckt. Ein Mitarbeiter in Mumbai brachte Meiko auch im Luxus-Hospital Saifee ins Gespräch. Der Kontakt zahlt sich für die Schwarzwälder aus: Inzwischen sind in dem modernisierten Hospital, das ebenfalls auf gute Geschäfte mit ausländischen Patienten hofft, 14 qualitativ hochwertige Steckbeckenspüler mit Ausguss und Handwaschbecken im Einsatz.
Die Reinigungs- und Desinfektionsautomaten für Bettpfannen und Urinflaschen kamen per Seefracht in Mumbai an. Wotek klärte die technischen Details vor Ort und ist zuständig für den After Sales Service. Alle Verhandlungen mit dem Saifee-Hospital laufen in enger Abstimmung mit Meiko über den indischen Partner. Sören Gleitsmann ist mit seiner Partnerfirma zufrieden: „Wir arbeiten sehr eng zusammen und setzen auf einen regen Informationsaustausch.“ Regelmäßige Indien-Besuche gehören für ihn dazu.
Die Chancen für deutsche Unternehmen, ihre medizintechnischen Produkte auf dem Markt zu platzieren, sind trotz einiger bürokratischer Probleme gut: Das indische Marktvolumen für Medizintechnik von 1,5 bis 2 Mrd. US-$ ist zwar im Vergleich zu anderen Märkten bisher eher noch bescheiden, aber die Branche verzeichnet Zuwachsraten von 15 bis 20 % pro Jahr. Mit einem Importanteil von 80 % werden vor allem höherwertige Maschinen aus dem Ausland geordert. Die Eigenfertigung beschränkt sich zur Zeit noch vor allem auf das Low-Tech-Segment. Somit ist die Branche auch künftig stark auf Importe angewiesen. Nach Bfai-Angaben importierte Indien im Jahr 2005 Medizintechnik für 741 Mio. US-$:
  • Elektromedizin: 274 Mio. US-$,
  • medizinische Instrumente: 396 Mio. US-$
  • orthopädische Apparate: 72 Mio. US-$
Der Anteil deutscher Produkte betrug dabei rund 118,8 Mio. Euro. Damit exportierte die Bundesrepublik 2005 rund 11 % mehr medizinische Geräte und orthopädische Vorrichtungen nach Indien als im Jahr zuvor. Neben Deutschland gehören die USA und Japan zu den wichtigsten Lieferländern. Verstärkt drängen auch Hersteller aus China und Taiwan auf den indischen Markt. Vor allem die privaten Klinikbetreiber investieren in Hinblick auf den Medizintourismus in moderne medizinische Ausrüstungen, um den künftigen Anforderungen ihrer ausländischen Patienten gerecht zu werden.
Wachstum verspricht auch die derzeitige medizinische Versorgung in vielen Städten und ländlichen Gegenden. In den staatlichen Krankenhäusern und Arztpraxen herrscht ein immens hoher Bedarf an medizinischer Primärversorgung. Unternehmen wie Siemens, Dräger und GE Healthcare sind seit Jahren auf dem Subkontinent aktiv und haben vor Ort ihre Produktionsstätten aufgebaut.
Die B. Braun Melsungen AG beispielsweise stellt seit Januar in Chennai Rechtherzkatheter her. Das Unternehmen hat in das moderne Entwicklungs- und Produktionszentrum mehr als 3 Mio. US-$ investiert. Ananda K. Naidu, Geschäftsführer der neuen Produktionsstätte, erklärt: „Mit der Produktion der Rechtherzkatheter in Chennai wollen wir der wachsenden Nachfrage nach Qualitätsprodukten für den gesamten Gesundheitsmarkt Indien nachkommen.“

Ihr Stichwort
  • Neues Gesundheitsbewusstsein
  • Medizinische Ausrüstung
  • Export
  • Medizintourismus
  • Hygiene

  • Investieren in Indien
    Erste Hinweise zu Strategie, Recht und Steuern:
    • Indien verfügt über ein ausgefeiltes Rechts- und Steuer-system. Basis ist das englische Common Law, es bestehen jedoch in den Details wesentliche Abweichungen, gerade bei Investitionen durch ausländische Unternehmen.
    • Im Bereich Medizintechnik sind Aktivitäten durch ausländische Unternehmen meist ohne Beschränkungen zulässig. Zu beachten sind nur die gesetzlichen Anforderungen an die Zulassung von Medizinprodukten.
    • Das indische Recht sieht vor, dass ein indischer Vertriebs- oder Joint-Venture-Partner in bestimmten Fällen künftige Aktivitäten des ausländischen Unternehmens in Indien blockieren kann. Wird dies im Vorfeld nicht vertraglich geregelt, kann es zu kostspieligen Konflikten kommen.
    • Dokumente wie Absichtserklärungen oder Texte zur Vorbereitung einer Gesellschaftsgründung sollten nicht ohne rechtliche Prüfung unterzeichnet werden.
    • Das Besteuern von Verkaufsgeschäften oder Gewinnen ist in Indien komplex ausgestaltet. Die einzelnen Staaten haben eine Art Umsatzsteuer, auch sind die Zollregelungen zu beachten. Sonderwirtschaftszonen bieten Steuer- und Zollvorteile.
    Weitere Informationen: www.roedl.com
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