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Leichter und ergonomischer – aber aus welchem Werkstoff?

Materialauswahl: Software erleichtert die Wahl einer Alterantive zum Stahl
Leichter und ergonomischer – aber aus welchem Werkstoff?

Eine spezielle Pinzette für chirurgische Eingriffe wollte der Hersteller komplett überarbeiten und strebte dabei einen Wechsel von Stahl zu Kunststoff an. Die Wahl des am besten geeigneten Materials ließ sich mittels Software erheblich beschleunigen.

Keine einfache Aufgabe für die Entwickler: Sie sollten eine chirurgische Pinzette überarbeiten, die bei perkutanen Dilatationstracheotomien – also Eingriffen an der Luftröhre – verwendet wird. Das Ziel war, das Instrument leichter, günstiger, ästhethischer und ergonomischer zu gestalten, aber auch so, dass es sich einfach herstellen lässt. Sicherheit, Funktionalität und Zuverlässigkeit der Pinzette sollten selbstverständlich erhalten bleiben.

Bei der Entwicklung solcher medizinischer Instrumente ist die Auswahl des am besten geeigneten Werkstoffes aus zahlreichen am Markt verfügbaren ein entscheidender Faktor. Aber der Entwickler muss viele Randbedingungen berücksichtigen, wie physikalische Eigenschaften, Kosten, Verfügbarkeit und Verarbeitbarkeit. Die bekannten CAD- und CAE-Softwarelösungen bieten nur eingeschränkte Möglichkeiten zur Auswahl eines Materials. Die Werkstoffentscheidungen basieren daher meist auf der Erfahrung der Ingenieure. Das birgt jedoch das Risiko, dass potenziell geeignete Werkstoffe gar nicht in Betracht gezogen werden.
Mehr Unterstützung in diesem Auswahlprozess bietet hingegen die Software CES Selector von Granta Design Ltd aus dem britischen Cambridge, die über eine umfangreiche Datenbank und leistungsfähige Werkzeuge verfügt und beim Projektdesign sowie bei der Beratung zu Materialien und Herstellungsprozessen hilft. Darüber hinaus liefert sie unterstützende Daten zur Kennwertermittlung und Versagensanalysen.
Beim Re-Design der beschriebenen chirurgischen Pinzette entschieden sich die Verantwortlichen bei NCS Lab aus Carpi in Italien, die CES Selector Software zu nutzen. Als erster Schritt wurden existierende chirurgische Instrumente analysiert. Für das Design des neuen Produktes wurde ein CAD-System verwendet. Der CES Selector half bei der Auswahl des Werkstoffes, der den Projektanforderungen am besten entsprach – und schließlich wurden die Eigenschaften der neuen Pinzette mit Hilfe der Finite-Elemente-Analyse (FEA) bewertet.
Um das bislang verwendete Material, einen nichtrostenden martensitisch aushärtbaren Edelstahl (17-4 PH), der besonders fest und zäh ist, zu ersetzen, mussten zunächst eine Reihe von Minimalanforderungen als Randbedingungen definiert werden: Der neue Werk- stoff musste sich für den medizinischen Einsatz eignen, sterilisierbar sein und eine ausreichende Festig- keit für die auftretenden Kräfte aufweisen.
Als Ersatzwerkstoff wurde ein Polymerwerkstoff angestrebt. Unter den 659 Kunststoffen in der Granta-Materialdatenbank waren 512 über den Spritzguss verarbeitbar, und diese Eigenschaft war als ein Auswahlkriterium festgelegt worden. Aber nur 30 Werkstoffe ließen sich auch sterilisieren. Diese waren durch die USP Class IV und ISO-10993-Richtlinie als medizinisch unbedenklich klassifiziert. Unter den geeigneten Werkstoffen waren Polymerfamilien wie PA / PEEK / PEI / PES / PARA / PPO / PPS / PSU / PPSU / SPS / LCP, verstärkt mit Glas- oder Carbonfasern.
Sobald die Vorauswahl der Materialien getroffen war, konnten diese entsprechend der Projektziele bewertet werden. Dafür wurden sie auf Basis der gewünschten Eigenschaften eingestuft, wie zum Beispiel hoher Festigkeit, Hitzebeständigkeit oder minimalem Gewicht und vertretbarer Kosten.
Aufgrund der hohen Biegebeanspruchung der Pinzette waren die Biegefestigkeit und der Elastizitätsmodul die wichtigsten physikalischen Parameter für den Designer. Auch die Dichte hatte einen hohen Stellenwert, da sich ein geringeres Gewicht günstig auf Kosten, Energieaufwand und Umwelteinfluss auswirkt.
Wie leistungsfähig ein Werkstoff ist, hängt in der Regel von der Kombination zweier oder mehrerer Eigenschaften ab. Die mathematische Funktion, die diese Kombination beschreibt, ist auch als Performance Index bekannt. Über die grafische Benutzeroberfläche von CES Selector kann der Designer die Materialien auswählen, deren Performance Index gleich oder höher ist als der des Referenz-Stahlwerkstoffes. Sie waren in diesem Fall die möglichen Alternativen zum 17-4PH-Stahl.
Die Liste der geeigneten Materialien schrumpfte nach diesem Auswahlschritt auf zehn Kandidaten, darunter PEEK / PARA / PPS / SPS / LCP, jeweils verstärkt mit Glas- oder Karbonfasern. Ein Blick auf die Kosten zeigte darüber hinaus, dass die beiden Werkstoffe PARA mit einem Glasfaseranteil von 50 % und SPS mit einem Glasfaseranteil von 30 % geringere spezifische Kosten als Stahl aufwiesen.
Für die anschließende Analyse der individuellen Eigenschaften beider Materialien bietet CES Selector detaillierte Datenblätter mit den relevanten Informationen zu technischen Eigenschaften und spezifischen Informationen wie zum Beispiel Handelsnamen und Lieferantenangaben. Damit konnte der Instrumentenhersteller NCS Lab die Verfügbarkeit des Werkstoffes einschätzen, Preise überprüfen sowie detaillierte Datenblätter, Spritzgussempfehlungen und Konformitätszertifikate anfordern.
Am Ende dieses Auswahlprozesses, der auf einer rationalen Bewertung beruhte, stand aufgrund seiner herausragenden mechanischen Eigenschaften der Werkstoff PARA mit einem Glasfaseranteil von 50 %. In den anschließenden FEM-Simulationen wurden die Materialauswahl validiert sowie die Geometrie und die Ergonomie der Pinzette optimiert.
Die Vorteile, die der Einsatz eines Softwaretools bei der Materialauswahl bietet, sind also vielfältig. Das systematische Vorgehen mit CES Selector basiert auf objektiven Daten, mathematischen Gleichungen wie zum Beispiel den Performance Indizes und einer umfangreichen Datenbank. So wird sowohl die Anzahl der rechnerischen Versuche mit verschiedenen Materialien als auch die Zahl der Prototypen und Versuche reduziert. Die Zeit- und Kostenersparnis in diesem Projekt belief sich Schätzungen zu Folge auf rund 50 % – beim Prototypenbau und den Versuchen sind die Einsparungen sogar noch höher.
Der Materialexperte findet auf diese Weise schnell nützliche Antworten, um sein Wissen zu erweitern, während der Konstrukteur direkt Materialklassen vergleichen kann und sein Projekt nicht durch eine Auswahl einschränkt, die eher auf Gewohnheiten basiert als auf einer neutralen Bewertung.
Dr. Andrea Vecchi, Elisa Ferrari NCS Lab, Carpi/Italien
Weitere Informationen Über den Hersteller der Pinzette: www.ncs-lab.com Über den Anbieter des Softwaretools zur Materialauswahl: www.grantadesign.com

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