Startseite » Allgemein »

Gesundheitskur für den Patienten Russland

Modernisierungsschub: Staat investiert in Ausbau von Hochtechnologie-Kliniken
Gesundheitskur für den Patienten Russland

Moskaus berühmte Lomonossow-Universität erhält ein neues Klinikum: Ausgestattet mit Hightech aus Deutschland. Das ist kein Einzelfall. Für deutsche Hersteller wird Russland zum neuen Land – fast – unbegrenzter Möglichkeiten.

„Die russischen Kunden möchten meist deutsche Ware haben“, sagt Ute Jäckel, Marketing-Referentin der Jenaer AJZ Engineering GmbH. Als Generalunternehmer rüstet die Firma derzeit den Neubau der Moskauer Lomonossow-Universitätsklinik mit moderner Medizintechnik aus, unter anderem von Dräger, Siemens und Maquet. In Wolshskij im Wolgograder Gebiet, wo bis 2010 ein föderales Zentrum für Nierentransplantation und -dialyse entsteht, ist die im Jahr 2000 durch Carl Zeiss Jena und Analytik Jena gegründete GmbH für das Gesamtprojekt verantwortlich. Auftraggeber ist der russische Staat. Und der hat eine Menge an Nachholbedarf, wenn es um die Gesundheit seiner Bürger geht. Ärzte sind bislang ebenso Mangelware wie moderne Medizintechnik, der Patient Gesundheitswesen liegt schwer krank darnieder.

Eine traurige Folge: Russen sterben jünger als alle anderen Europäer, Männer haben eine Lebenserwartung von nur 59 Jahren. Ist der Negativtrend nicht zu stoppen, wird die Zahl der Erwerbstätigen einer aktuellen Prognose zufolge bis 2020 von 90 Millionen auf 77 Millionen zurückgehen.
Während Deutschland im Jahr 2006 10,6 % des Bruttoinlandsproduktes ins Gesundheitswesen investierte, waren es in Russland nach Schätzungen der Bundesagentur für Außenwirtschaft (Bfai), Köln, lediglich 3,9 %. Doch dank der Einnahmen aus Öl- und Gasverkäufen konnte der russische Staat seinem maroden Gesundheitswesen eine kräftige Geldspritze verordnen. Im Jahr 2006 wurde das staatliche Programm „Zdorovje“ (Gesundheit) aus der Taufe gehoben, das allein 2007 mit 130 Mrd. Rubel (3,6 Mrd. Euro) ausgestattet wurde. Russlandweit – von Smolensk bis Wladiwostok – entstehen in den nächsten Jahren unter anderem 15 Hochtechnologie-Krankenhäuser. Kliniken werden neu ausgestattet, Ärzte und Krankenschwestern besser entlohnt. Experten sprechen von jährlichen Wachstumsraten von 7 % für den Markt für Medizintechnik, der auf 1,4 Mrd. Euro geschätzt wird.
Es gibt viel zu tun – vor allem für deutsche Hersteller, die vom russischen Gesundheitsboom profitieren. „Das Label ,Made in Germany’ hat in Russland ein gutes Standing“, sagt Dr. Tobias Weiler, Leiter des Spectaris-Fachverbandes Medizintechnik, der dieser Tage zu einem Seminar über Medizintechnik für Russland nach Berlin einlud. Im vergangenen Jahr sind die Ausfuhren laut Spectaris weiter um 30 % gestiegen: Dies mache Russland zum siebtgrößten Exportmarkt für deutsche Medizintechnik.
Im Bereich Orthopäde und Rehatechnik haben die Exporte 2007 sogar um 46 % zugenommen. Dabei umfassen die Ausfuhren nach Russland laut German Healthcare Export Group (GHE) derzeit allerdings noch weniger als 3 % am deutschen Gesamtexport. Trotzdem ist Deutschland schon heute Russlands wichtigster Lieferant für medizintechnische Produkte: Ohne fremdes Know-how wäre der Modernisierungs-Kraftakt nicht zu bewältigen. „Einheimische Hersteller sind besonders bei komplizierten Geräten und ganzheitlichen Lösungen noch keine Konkurrenz für deutsche Unternehmen“, stellt Gerit Schulze, der Moskauer Korrespondent der Bundesagentur für Außenwirtschaft (Bfai), fest. Seit dem Ende der Sowjetunion seien die Produktionszahlen steil zurückgegangen: Wurden 1990 etwa noch 23 000 EKG-Geräte hergestellt, so waren es 2005 nur noch 2600. Der Importanteil bei Medizintechnik liegt bei über 50 %.
Hightech aus Deutschland ist gefragt, denn noch krankt das russische Gesundheitswesen an allen Gliedern. Allein zur Prophy-laxe von Herz- und Gefäßkrankheiten – die häufigste Todesursache – werden bis zum Jahr 2010 in zwölf Föderationssubjekten – vergleichbar den deutschen Bundesländern – für 8 Mrd. Rubel (221 Mio. Euro) neue Kliniken und Behandlungszentren gebaut.
Während es auf der einen Seite darum geht, im größten Land der Erde die medizinische Grundversorgung zu sichern, sprießen gleichzeitig private Luxuskliniken aus dem Boden. 10 000 US-$ bezahlen die Patienten im Moskauer Krankenhaus Neo Vita für eine Stunde Psychoanalyse. Auch Wellness und Anti-Aging sind im Kommen, Schönheits- und Dentalkliniken boomen.
„Der russische Markt bietet grundsätzlich sehr gute Chancen“, sagt Martin Koch vom Sales Management der Region NE East bei Dräger Medical. Wie andere deutsche Unternehmen war auch der Hersteller von Medizin- und Sicherheitstechnik bereits zu Sowjetzeiten im Lande aktiv. Zunächst nur mit einer Repräsentanz im Lande vertreten, hat Dräger aufgrund der guten Geschäftslage im Jahr 2000 für den Vertrieb in Russland eine Tochtergesellschaft mit Sitz in Moskau gegründet. „Die Budgets steigen und damit auch die Nachfrage nach hochwertiger Medizintechnik“, erklärt Koch. Zurzeit stattet Dräger Medical mehrere Krankenhäuser mit dem kompletten Produktprogramm im klinischen Akutbereich aus. Besonders groß sei das Interesse an Geräten aus den Bereichen Beatmung, Narkose, Wärmetherapie und Monitoring.
„Bei der Größe des Landes besteht die Herausforderung in Russland darin, eine funktionierende Serviceabdeckung aufzustellen“, betont Martin Koch. Doch hier liegt auch eine der Stärken deutscher Hersteller: Sie können gegenüber Billiganbietern mit Qualität und Zuverlässigkeit punkten.
Produziert wird weiter in Deutschland. Nur vereinzelt gibt es in Russland eine Endmontage von Produkten ausländischer Hersteller, doch ist ein Trend zu Joint Ventures mit russischen Firmen zu erkennen.
1300 km östlich von Moskau wurde vor kurzem bereits ein deutsch-russisches Gemeinschaftswerk eröffnet. Fresenius Medical Care produziert in Ischewsk, der Hauptstadt der russischen Republik Udmurtien, zusammen mit dem einheimischen Partnerunternehmen Rester Beutel für die Peritoneal- dialyse (Interview S. 16). Botschafter Walter Jürgen Schmid sprach im April anlässlich der feierlichen Eröffnung von einer Vorbildwirkung für andere Investoren und Firmen.
Bettina Gonser Freie Journalistin in Stuttgart
Unsere Whitepaper-Empfehlung
Aktuelle Ausgabe
Titelbild medizin technik 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Titelthema: PFAS

Medizintechnik ohne PFAS: Suche nach sinnvollem Ersatz

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Aktuelles Webinar

Multiphysik-Simulation

Medizintechnik: Multiphysik-Simulation

Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de