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„Für komplexe Aufgaben nicht gut geeignet“

Elektronische Nasen: Einsatzgebiete und Einschränkungen
„Für komplexe Aufgaben nicht gut geeignet“

Im Auto, in der Produktion, zur Raumluftüberwachung – das sind überschaubare Einsatzbereiche für elektronische Nasen. Was vor einem routinemäßigen Einsatz in der Medizin zu beachten ist, erläutert Sensorexperte Prof. Udo Weimar aus Tübingen.

Herr Professor Weimar, Sie zählen zu den Kritikern des Begriffs ‚elektronische Nase‘. Was stört Sie daran?

Was wir mit Sensoren messen können, hat nur entfernt etwas damit zu tun, was in der Nase passiert und was wir als Riechen bezeichnen. Technisch erfassen wir Gruppen von Stoffen mit gleichen Eigenschaften – biologisch erfolgt eine Reaktion auf mitunter winzige Konzentrationen eines einzigen Moleküls. Das muss man sich immer vor Augen führen, wenn man den Begriff elektronische Nase verwendet. Und dieses Missverständnis hat in den 90er Jahren eine Euphorie für diese Technik ausgelöst, die deutlich überzogen war. Sensor-Systeme haben natürlich ihre Berechtigung und können gute Dienste leisten. Aber sie können nicht alles, das haben wir in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren lernen müssen.
Welche erfolgreichen Anwendungsbeispiele elektronischer Nasen gibt es?
Ein gern zitiertes Beispiel sind Sensoren in hochpreisigen Autos, die bei der automatischen Belüftungseinstellung eine Rolle spielen. Bewegt sich das Fahrzeug im Tunnel oder bei hoher Verkehrsdichte, registrieren diese Sensoren die erhöhte Konzentration von Kohlenmonoxid, Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen. Beim entsprechenden Signal der Sensoren schaltet die Steuerung auf Umluftbetrieb, verhindert also, dass größere Mengen der unerwünschten Bestandteile in die Fahrgastzelle gelangen. Diese Aufgabe ist überschaubar und aufgrund der hohen Stückzahlen auch mit kostengünstigen Sensoren zu lösen. Ein weiteres Beispiel aus der Lebensmittelindustrie ist die Überwachung von gebrauchten Bierfässern. Dort helfen die Gassensoren, den Reinigungsprozess zu bestimmen: Wenn nichts als Bier im Fass war, ist die Reinigung weniger aufwendig, als wenn noch andere Inhalte ihre Spuren hinterlassen haben.
Und was geht nicht?
Aus der Anfangszeit der technischen Entwicklung stammt zum Beispiel die Idee, Gerüche von Parfüm oder Kaffee reproduzierbar zu erfassen – sie messbar zu machen. Was für einen Menschen gut riecht, ist aber ein so komplexes Bouquet, eine Mischung aus unterschiedlichsten Molekülen, dass ein Sensor-System davor versagen wird, weil es dafür keinen geeigneten technischen Ansatz gibt. Und ins Reich der Fabel gehören für mich auch Aussagen der Art, dass man militärische Explosivstoffe aus der Ferne nachweisen könnte. Dafür reicht deren Dampfdruck längst nicht aus.
Wofür könnte man denn die so genannten elektronischen Nasen in Zukunft einsetzen?
Möglich ist heute schon die Erkennung explosiver Gase im Bergbau wie auch in Produktionsbetrieben, wobei es da noch mehr Ansatzpunkte gibt als die bisher umgesetzten. Nachdem die Einsatzmöglichkeiten im Automobil schon gut erforscht sind, ist in den nächsten Jahren sicher der Einsatz von Sensorsystemen in Gebäuden ein Thema. Um Energie zu sparen, werden viele ältere Häuser gedämmt und abgedichtet, sonst aber kaum verändert. Das wird Probleme mit sich bringen, vor allem mit der Kondensation und der dann drohenden Schimmelpilzbildung. Ein Sensorsystem könnte vorbeugend die Luftfeuchte, den Kohlendioxidgehalt und den Gehalt an Kohlenwasserstoffen in der Luft messen – und je nach Werten und technischer Ausrüstung die Belüftung steuern oder dem Bewohner ein Signal geben, dass es Zeit wird, für frische Luft zu sorgen.
Wie beurteilen Sie den Einsatz elektronischer Nasen in der Medizin?
Grundsätzlich hat dieser Ansatz ein großes Potenzial, weil er die Basis einer nicht-invasiven Untersuchungsmethode ist. Davon gibt es bisher noch zu wenige. Atemluft oder auch die Inhaltsstoffe des Schweißes sind sicher gute Ansatzpunkte, um zukünftig zu Ergebnissen für die Diagnose zu kommen. In der traditionellen chinesischen Medizin zum Beispiel wird der Geruch eines Patienten seit langem mit bewertet. Und auch am Tübinger Uni-Klinikum habe ich von erfahrenen Schwestern und Ärzten schon gehört, dass sie einen typischen Krebsgeruch bei Patienten wahrgenommen haben, bevor die Krankheit mit bildgebenden Verfahren nachgewiesen werden konnte. Aber ist das dann ein Molekül? Ist es ein Gemisch? Das wissen wir nicht. Und ob jemand das riechen kann, ist erstens vom Individuum und zweitens von dessen Tagesform abhängig. Da es aber offenbar geruchliche Anzeichen gibt, lohnt es sich, diesen Ansatz weiter zu verfolgen.
Was macht die Auswertung solcher Daten so schwierig?
Mit chemischen Sensoren erfassen wir physikalische Eigenschaften von Molekülgruppen – eben nicht von einzelnen Molekülen. Daher wissen wir nicht, was genau sich hinter einem Peak verbirgt. Das ist im Fall der Belüftungssensoren im Auto auch nicht so wichtig. Unabhängig davon, ob Propan oder Butan den Messwert für Kohlenwasserstoffe in die Höhe treibt, ist der steigende Gehalt dieser Klasse ein Indiz dafür, dass die Umluft eingeschaltet werden sollte. Ob sich solche Klassifizierungen auf die Medizin übertragen lassen, wurde meines Wissens noch nicht untersucht.
Gesetzt den Fall, ein Marker wäre als Molekül identifiziert: Ließe sich dann ein spezieller Sensor dafür entwickeln?
Das kann man nicht ausschließen. Allerdings geht alle bisherige Sensorentwicklung den umgekehrten Weg: Wenn wir ein Material finden, dass auf eine Molekülklasse messbar reagiert, testen wir, ob es für den Einsatz in einem Sensor geeignet ist – was oft funktioniert. Ein Material zu finden, das nur auf ein Molekül reagiert, dürfte erheblich schwieriger zu finden sein.
Wie schätzen Sie die Zukunft der elektronischen Nasen in der Medizin ein?
Man sollte diesen Weg aus den genannten Gründen verfolgen. Es liegt allerdings noch viel Grundlagenforschung vor uns, zunächst vor allem auf dem Bereich der Medizin und der Analytik. Die Ingenieure und Entwickler sind also erst später an der Reihe, auf diesem Gebiet etwas zu tun.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Über Prof. Weimar und die Forschungsarbeit seiner Gruppe: http://weimar.ipc.uni-tuebingen.de Mehr zum Thema elektronische Nasen ( Artikel aus der April-Ausgabe 2012) Interview mit Prof. Voss zum Einsatz elektronischer Nasen in der medizinischen Diagnose
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