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Eine saubere Angelegenheit

Reinraum: Plasma-Behandlung medizintechnischer Bauteile
Eine saubere Angelegenheit

Eingeklebte Sensoren sichern die Leistungsfähigkeit einer Handprothese. Die dafür erforderliche Plasma-Behandlung findet im Reinraum statt. Ein Dienstleister übernimmt diese Aufgabe, inklusive der Rückverfolgbarkeit.

Was ist Hightech? Zum Beispiel eine künstliche Hand, die sich bei Maximalgeschwindigkeit fast dreimal so schnell öffnet und schließt wie eine herkömmliche System-Elektrohand. Bei der Prothese Sensor-Hand Speed der Duderstädter Ottobock HealthCare GmbH ist das der Fall, und sie ist nicht nur beeindruckend schnell, sondern auch leicht, präzise und hat ein integriertes Griffstabilisierungssystem mit spezieller Sensorik. Diese haben die Niedersachsen zusammen mit der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) entwickelt.

Mit Hilfe der Sensorik erkennt die künstliche Hand beispielsweise sofort, wenn ein Gegenstand wegzurutschen droht – und es wird in Sekundenbruchteilen die Griffkraft erhöht, bis sich der Gegenstand wieder in stabiler Lage befindet.
Damit die Sensoren ihre Aufgabe erfüllen können, werden sie im Produkt verklebt. Um ihre Leit- und Klebefähigkeit zu gewährleisten, bedarf es aber einer sauberen Oberfläche. Daher müssen die rund 10 cm großen Bauteile aus PA6 GF35, also Polyamid 6 mit einem Glasfaser-Anteil von 35 %, gründlich gereinigt werden. Der Kopf, auf dem sich die Elektronik befindet, ist aus galvanisch Nickel-Gold mit einer hauchdünnen, 3 bis 4 µm Bondgold-Schicht gefertigt. Ein Reinigungsprozess im Reinraum sollte daher jede Verunreinigung nach der Behandlung ausschließen. Unter Abwägung aller Qualitäts- und Kostenaspekte entschied sich Ottobock dafür, die Reinigung mit Niederdruckplasma an die Diener Electronic GmbH + Co. KG, Ebhausen, auszulagern.
Das Niederduckplasma entfernt organische Schichten. Diese werden durch den als Prozessgas eingesetzten technischen Sauerstoff chemisch angegriffen. Energiereiche Teilchen im Plasma wandeln die Verunreinigungen in kleinere, stabile Moleküle um, die sich absaugen lassen. Durch den Unterdruck und die oberflächliche Aufheizung verdampfen die Verunreinigungen zum Teil auch direkt. Das Kunststoffteil wird dabei nicht erhitzt. So kann nicht nur der Kopf mit der Sensorik, sondern das gesamte Teil gereinigt werden.
Die Plasma-Behandlung erfolgt in der Anlage Tetra 50. In deren mit Löchern versehene Drehtrommel kommen die Bauteile als Schüttgut. Während sich die Trommel langsam dreht, dringt das Plasma gleichmäßig bis zu jedem Bauteil vor. Der Prozess dauert zehn Minuten. Geschäftsführer Christof Diener: „Der Vergleich der gemessenen Oberflächenspannung des Bauteils vor und nach der Reinigung hat gezeigt, dass man die Teile nicht länger in der Anlage belassen muss.“ Dass alle Bauteile – ganz gleich wann sie ins Haus kommen – in der gleichen Qualität gereinigt werden, belegt Diener in einem Prozessprotokoll mit allen wichtigen Daten. Dieses stellen die Ebhausener Ottobock zur Verfügung und speichern es zu Sicherungszwecken auf eigenen Servern.
Um die Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten, haben bei Diener Electronic alle Anlagen einen Druckeranschluss für den Ausdruck von Prozessprotokollen und einen Etikettendrucker. Anhand der Angaben kann nachvollzogen werden, um welche Charge es sich handelt oder wann sie produziert wurde. Durch eine validierte Prozesssoftware lässt sich eine lückenlose Dokumentation für alle Produkte erstellen.
Auch ein Hersteller von partiell zu bedruckenden Kathetern aus PTFE entschied sich für die Behandlung mit Niederdruckplasma. Kunststoffe wie PTFE sind von sich aus unpolar aufgebaut und müssen vor dem Bedrucken, Lackieren und Verkleben vorbehandelt werden. „PTFE lässt sich nicht leicht aktivieren. Da bedarf es schon einiger Erfahrung“, erklärt Diener. Eine weitere Herausforderung lag in diesem Fall in der Transparenz der Katheter. „Bleiben sie zu lange in der Plasma-Anlage, besteht die Gefahr, dass sich der Werkstoff dunkel färbt. Insofern steht uns nur ein relativ kleines Prozessfenster zur Verfügung.“
Die Aktivierung der Katheter erfolgt in der Plasmaanlage Tetra 100. Dazu werden – wegen der in der Plasmakammer entstehenden Hitze – Keramikplatten auf die Bleche aufgelegt. Mit speziellen Warenträgern werden die Katheter dann teilweise maskiert, so dass nur die zu aktivierenden Teile mit Plasma behandelt werden. Die Aktivierung dauert in diesem Fall rund 30 min bei 30 bis 50 °C.
Auch Oberflächen von Mikrotiterplatten müssen aktiviert werden, wenn sie zum Beispiel für die Blutgerinnungsbestimmung funktionalisierte Oberfläche aus Proteinen haben müssen. Die rechteckigen Platten aus transparentem Polycarbonat dürfen – wie die Katheter – während der Plasmabehandlung nicht gelb werden. In diesem Fall werden die Bauteile carboxyliert. Das heißt, sie erhalten unter Zuführung eines kohlenstoffhaltigen Gases eine funktionelle Beschichtung. Dabei wird die polymere Oberfläche unter Atmosphärendruck mit dem reaktiven Gas in Kontakt gebracht, was die Oberfläche chemisch modifiziert.
„Gerade in der Biotechnologie ist eine Behandlung im Reinraum unerlässlich, die Vorgaben sind sehr streng. Unsere Mitarbeiter arbeiten hier mit Hand- und Mundschutz, was bei der Reinraumklasse 8 nicht zwingend notwendig ist“, sagt Diener. Der Auftraggeber testet die Produkte in diesem Fall selbst. Diener: „Beanstandungen gab es bislang noch nie. Das zeigt, dass unsere Prozesse eine hohe Qualität garantieren.“
Sabine Koll Fachjournalistin in Böblingen
Weitere Informationen Über die Hand-Prothese: www.ottobock.de (Suchbegriff: Sensorhand Speed) Über Diener Electronic: www.diener-electronic.de

Plasmabehandlung im Reinraum
Der Reinraum von Diener Electronic wurde im Januar 2011 auf die Reinraumklasse 8 nach DIN EN ISO 14644-1 klassifiziert und zertifiziert und im Juni 2011 nach DIN EN ISO 9001:2008 und DIN EN ISO 13485:2003 + AC: 2009 zertifiziert. Im Reinraum findet die Niederdruckplasma-Behandlung statt. Dazu werden in den Anlagen zunächst ein Vakuum und dann ein Druck von etwa 0,4 mbar in der Kammer erzeugt. Dann wird Prozessgas zugeführt – meist ein technischer Sauerstoff, oft reicht aber schon Raumluft aus. Sobald an den Elektroden in der Anlage eine Spannung von 40 kHz erzeugt wird, ionisiert das Gas und ein Plasma entsteht.
Die meisten Kunststoffe können damit behandelt werden. Im Gegensatz zur Beflammung kann eine Plasmabehandlung wiederholt werden, und die Auswahl an Prozessgasen ist sehr viel größer. Selbst dreidimensionale Teile sind mit vertretbarem Aufwand behandelbar. Die Verwendung von Primern erübrigt sich – sogar bei PTFE. Die Teile bleiben wenige Minuten bis einige Monate aktiv. Polypropylen kann noch mehrere Wochen nach der Behandlung weiterverarbeitet werden.

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