Zäh, steif und belastbar muss der Werkstoff sein, aus dem Mikropinzetten und -scheren für die Augenchirurgie gemacht sind. Da er zusätzlich transparent ist, ermöglichte er eine besondere Innovation: eine Pinzette mit eingebauter Beleuchtung.
Eine neue Generation von Operationsinstrumenten für Augenärzte hat die Alcon Grieshaber AG, ein führender Medizintechnikhersteller aus dem schweizerischen Schaffhausen, entwickelt. Die Mikropinzetten und -scheren vom Typ Grieshaber Revolution DSP haben gegenüber herkömmlichen Instrumenten einen Vorteil: Sie lassen sich frei drehbar einsetzen. So muss der Chirurg, der am Auge seines Patienten zupft oder schneidet, sein Werkzeug nicht mehr in einem bestimmten Winkel in den Händen halten.
Diese Erleichterung des Operationsalltags haben die Entwickler unter anderem dadurch ermöglicht, dass sie für das Bedienen der Scheren und Pinzetten einen radialsymmetrischen Kunststoffkäfig mit dünnwandigen Stegen auf dem Instrumentenkörper vorsahen. Drückt der Chirurg diesen Käfig mit seinen Fingern zusammen, setzt ein Scharnier in den Stegen einen Schiebemechanismus in Gang, der die Pinzette oder Schere in der Instrumentenspitze bewegt.
Die Konstruktion des Käfigs mit seinen dünnwandigen Stegen war eine echte Herausforderung für Entwickler und Werkstoffexperten. „Gefragt war ein mechanisch stark belastbarer Konstruktionswerkstoff mit hoher Steifigkeit und Zähigkeit“, erläutert Markus Krieter, Experte für Medizintechnik im Geschäftsfeld Polycarbonates bei der Leverkusener Bayer MaterialScience AG. Das Polycarbonat Makrolon 2458, das für medizinische Anwendungen zugelassen ist, erfüllte alle Anforderungen. Seine Dimensionsstabilität stellte zudem sicher, dass das filigrane Spritzgussteil problemlos entformt und die Pinzette oder Schere funktionssicher bedient werden kann.
Insgesamt acht Einzelteile der Einweg-Operationsinstrumente bestehen aus Makrolon. Produzent dieser Komponenten ist die Gebr. Renggli AG in Schaffhausen, die sich mit dem Präzisionsspritzguss und -formenbau international einen Namen gemacht hat. Die Teile werden hier unter Laminar-Flow-Bedingungen gefertigt, in einem Reinraum gereinigt und dort konfektioniert. Die Montage der eigentlichen Instrumente erfolgt in einem Reinraum bei Alcon Grieshaber.
Ein Highlight unter den Pinzetten dieser Serie ist eine Variante mit leuchtenden Zangen. Das Licht gelangt über Glasfasern in die Instrumentenspitze und leuchtet den Operationsort präzise aus. Die winzigen, nur wenige Millimeter langen und breiten Zangen werden ebenfalls im Spritzguss gefertigt und sind aus Makrolon Rx 2530. „Zusätzlich zu den mechanischen Eigenschaften macht sich hier noch die gute Lichtleitfähigkeit unseres hochtransparenten Polycarbonates bezahlt“, so Krieter.
Alle Produkte des Marktsegments Medizintechnik erfüllen laut Krieter die Anforderungen der amerikanischen Norm US-Phamacopeia, Class VI, sowie der international gültigen Norm ISO 10993-1 an die Biokompatibilität von Kunststoffen, die bis zu 30 Tage in Kontakt mit Körperflüssigkeiten und -gewebe stehen.
Die Gebr. Renggli AG setzt Makrolon Rx 2530 und 2458 seit Jahren für verschiedenste medizinische Kunststoffbauteile ein. Grund hierfür ist unter anderem, dass die Polycarbonate sowohl mit Heißdampf bei 121 °C als auch mit Ethylenoxid und energiereichen Strahlen wie Gamma- und Elektronenstrahlen sterilisierbar sind.
Auch an weiteren neuen Anwendungen für Polycarbonate ist der Leverkusener Werkstoffanbieter interessiert. Um ein Umfeld zu schaffen, in dem Ideen entstehen und wachsen können, ist auf Initiative der beiden Business Units Polycarbonates (PCS) und Thermoplastic Polyurethanes (TPU) das TechniKomm entstanden. Es ergänzt das
Im TechniKomm ist Medizintechnik eine Insel
Technikum, bei dem die Kunststoffverarbeitung im Mittelpunkt steht und dessen Maschinenequipment stets den aktuellen Stand der Verfahrenstechnik zeigt.
„Das TechniKomm bietet die Möglichkeit, in heller, freundlicher Umgebung neue Konstruktionen und Produkt-Designs zu diskutieren“, sagt Dr. Günter Hilken, Leiter der Business Unit PCS. Das TechniKomm zeige anhand vieler Fallbeispiele den Erfindergeist der Kunden. Die Fallstudien sind auf mehrere Informationsinseln aufgeteilt, wobei neben der Medizintechnik unter anderem Automotive Interieur und Exterieur sowie Sport und Freizeit, optische Datenspeicher, Elektrotechnik und Elektronik oder auch Industrietechnik vertreten sind. Die ständig wechselnde Ausstellung richtet sich an Fachleute und Kunden, soll aber auch Schülergruppen sowie Bayer MaterialScience-Mitarbeiter ansprechen. op
Weitere Informationen www.alcon.com www.renggli-ag.com
Aus Expertensicht
Herr Krieter, welche Trends sehen Sie für Materialien in der Medizintechnik?
Anders als in der schnelllebigen Elektronik-Branche kommt es in der Medizintechnik weniger auf ständig neue Materialentwicklungen an, als vielmehr auf langfristige Verfügbarkeit und Liefersicherheit. Beides stellen wir sicher. Darüber hinaus beobachten unsere Experten die Entwicklungen bei Normen, Qualitätsstandards und Leitlinien. Auf neue Anforderungen werden unsere Werkstoffe überprüft und gegebenenfalls weiterentwickelt. Abgesehen von Neuerungen geht es derzeit aber vor allem darum, das Potenzial bestehender Werkstoffe auszureizen. Hierfür gibt es viele Ansatzpunkte. Losgelöst vom Tagesgeschäft diskutieren wir innovative Ideen der Kunden und stellen Materialien und Technologien bereit, um gemeinsam zu einer Lösung zu kommen.
Können Sie Beispiele nennen?
Eine aktuelle Entwicklung ist der Trend zur Selbstmedikation. Für hochbeanspruchte und kompakte Präzisionsbauteile von Inhalatoren beispielsweise bietet sich unser Makrolon an, da es eine gute Dimensionsstabilität aufweist, mechanisch sehr belastbar und bruchsicher ist. Ein weiterer Trend sind Herz- und Krebsoperationen mit minimalinvasiver Chirurgie. Für millimeterdünne Endoskope und Katheter hat sich Makrolon bei Anschlüssen und Kupplungsstücken bewährt. Es hat noch Potenzial in diesem Sektor, weil es gegen Desinfektionslösungen, Reinigungsmittel, Körperflüssigkeiten und Wundsekrete beständig ist und sich auch mit Strahlen sehr gut sterilisieren lässt.
Wo sehen Sie noch Herausforderungen für die Materialentwicklung?
Seit einigen Jahren werden antimikrobielle Eigenschaften für Werkstoffe diskutiert. Das lässt sich durch das Beimengen von Additiven oder das Beschichten der Oberfläche erreichen. Wir beobachten dieses Segment, ohne bisher eine Lösung zu haben. Meines Erachtens ist aber auch noch nicht abschließend geklärt, wie groß der Nutzen des antimikrobiellen Effekts ist. Die Nanotechnologie wiederum könnte intelligente Materialien und funktionale Oberflächen hervorbringen. Ein wirtschaftliches Produktionsverfahren für Carbon Nanotubes haben Fachleute von Bayer Technology Services und Bayer MaterialScience bereits entwickelt.
Ihr Stichwort
- Makrolon
- Filigrane, belastbare Bauteile
- Sterilisieren
- Antimikrobielle Eigenschaften
- Nanotubes
Unsere Whitepaper-Empfehlung
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