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Automatisierte Berechnung als Zukunftsperspektive

FEM-Simulation: Software erkennt Stärken und Schwächen in Implantaten
Automatisierte Berechnung als Zukunftsperspektive

Nach „fest“ kommt „ab“, lautet die alte Weisheit beim Schrauben anziehen. Damit sich das bei spröden Knochenschrauben aus Titan nicht bewahrheitet, testen Entwickler ihre Produkte heute virtuell bis in die Details – und sparen dabei Zeit.

Wie bei allen Entwicklungsprozessen bleibt bei der Entstehung innovativer Medizinprodukte eine Unbekannte. Eventuelle Problembereiche werden oft zu spät erkannt und erschweren es, die gewünschte Funktionalität und Qualität abzusichern. Beim Ulmer Traditionsunternehmen Ulrich Medical kann diese Unbekannte stark reduziert werden, seit die Simulation mit Ansys in den Produktentstehungsprozess integriert wurde.

„Heute werden mit der Software möglichst frühzeitig konstruktionsbegleitende Berechnungen durchgeführt. So erfüllen wir höchste Qualitätsansprüche bei den Endprodukten und in den Produktionsprozessen“, sagt Stefan Midderhoff, Entwicklungsingenieur Implantate & Instrumente bei Ulrich Medical. Er hat im Jahr 2009 die Einführung der Software im Entwicklungsbereich des Medizintechnik-Herstellers federführend betreut.
Etwa gleichzeitig mit der Ansys-Einführung wurde eine Prüfmaschine installiert, so dass ein direkter Vergleich von Test- und Berechnungsergebnis realisierbar wurde. Ein Beispiel dafür sind so genannte Cages. Das sind Wirbelsäulenimplantate, die nach einer Bandscheibenentfernung zur Versteifung des Zwischenwirbelgelenkes eingesetzt werden. Sie sollen über ein möglichst großes Befüllvolumen verfügen, das vom Knochen durchwachsen werden kann oder mit künstlichem Knochen gefüllt wird.
Als Zulassungstests für diese Cages sind standardisierte Prüfverfahren vorgeschrieben, bei denen der Cage zum Beispiel zwischen Prüfklötzen positioniert wird, auf die eine axiale Last ähnlich wie in der Wirbelsäule ausgeübt wird. Dieses Prüfverfahren wurde von den Ingenieuren von Ulrich Medical als virtueller Test realisiert. „Dazu haben wir mit unserem CAD-System Autodesk Inventor entsprechende 3D-Modelle von Prüfgerät und Cages aufgebaut, diese über die direkte bidirektionale Schnittstelle an Ansys übergeben und die Belastungen dort berechnet“, berichtet Midderhoff. Die Spannungen innerhalb der Cages konnten so analysiert werden, um darauf basierend die Designs zu optimieren.
Als weiteres Beispiel für den Einsatz des Simulationssystems nennt Midderhoff ein Stab-Schraubensystem, das ebenfalls zur Stabilisierung, Fixierung und Korrektur in die Wirbelsäule eingebracht wird. Bei solchen komplexen Anwendungen mussten die Entwickler häufig auf den Support der Grafinger Cadfem GmbH zurückgreifen, beispielsweise um zu erfahren, wie das Gewindedesign bei der Vernetzung berücksichtigt werden muss. Dadurch konnte ermittelt werden, welche Fixierschrauben zu verwenden sind und welche Designvariante am besten ist, damit sich die gewählten Schrauben auch bei extremen Kräften nicht verformen und das Stab-Schraubensystem belastungsoptimiert einsetzbar ist.
„Wir haben in den seltensten Fällen einfache Fragestellungen“, betont Midderhoff. „Meist sind mehrere Probleme wie Kontakte, Reibungen, Klemmungen und ähnliches zu berücksichtigen, so dass vielfältige Fragen für die Simulation geklärt werden müssen. Hier greifen wir gern auf den Support zurück, um über die nächsten Schritte zu beraten und einen sicheren Lösungsweg zu finden.“
Speziell die von den Ulmern angebotenen Schrauben müssen vielfältige Anforderungen erfüllen. Bei einer Spreizdübelschraube sollte beispielsweise der Durchmesser verkleinert werden. Dieses Zwei-Komponenten-System besteht aus Schraube und Stift mit Längen von etwa 15 mm und einem Außendurchmesser von 5 mm. Sobald der Stift eingedreht wird, spreizt sich die Schraube auf, stabilisiert sich und verbessert ihren Halt auch bei verminderter Knochenqualität.
Ob die Schraube auch bei reduziertem Durchmesser noch effizient einsetzbar ist oder beim Spreizen die Flügel abbrechen, ist eine wichtige Frage: Da die Schrauben wegen der guten Verträglichkeit im menschlichen Körper aus Titan oder Titanlegierungen hergestellt werden, sind sie spröder als Schrauben aus anderen Materialien. Mit Ansys ließ sich berechnen, mit welcher Kraft der Stift eingeschraubt werden kann, ohne dass er sich durch Reibung und Klemmung beim Einschrauben tordiert oder bricht.
Insgesamt gesehen setzt sich Midderhoff dafür ein, die Simulation stärker in den Produktentstehungsprozess zu integrieren. Ein Zukunftsprojekt sind dynamische Analysen, um Informationen zur Dauerfestigkeit und dem möglichen Versagen der Produkte zu erhalten. Heute werden noch viele dynamische Tests im Labor durchgeführt, da diese in den einschlägigen Normen vorgeschrieben sind. Die dynamischen Tests sind oftmals sehr zeitaufwendig und laufen teilweise wochenlang. Wenn in der Schlussphase ein Materialversagen auftritt, muss der Vorgang mit einem modifizierten Bauteil erneut gestartet werden. Durch den Einsatz der Simulations-Software lässt sich hier Zeit sparen, da die Schwachstellen schneller erkannt werden können und ein abschließender realer Test im Prinzip nur noch zur Bestätigung dient.
Ein weiterer Gedanke zu einem optimierten Einsatz der Simulationstechnologie innerhalb der Produktentwicklung ist die automatisierte Berechnung von Schrauben. Dazu könnte eine Applikation mit einer so genannten Wizard-Oberfläche auf Basis von Ansys entwickelt werden. Sobald die erforderlichen Parameter eingegeben sind, würde die Belastbarkeit der entsprechenden Schraube automatisch berechnet. „Dieser Automatisierungsaufwand lohnt sich aber nur, wenn viele unterschiedliche Schrauben berechnet werden müssen“, betont Stefan Midderhoff. „Um solche oder auch biomechanische Fragestellungen zu klären, sind wir immer wieder mit den Simulationsspezialisten von Cadfem im Gespräch.“ Deren Erfahrungen helfen, die Simulations-Software noch effizienter zu nutzen und beispielsweise mit gemeinsamen Projekten in neue Anwendungsfelder vorzudringen.
Auch während der Einführung der Simulations-Software waren die Grafinger wichtige Partner. Denn obwohl die Benutzeroberfläche von Ansys Workbench einfach zu nutzen ist, wurden alle Mitarbeiter zu Beginn in Inhouse-Seminaren geschult, deren Konzept gemeinsam mit Cadfem, dem Ansys Competence Center FEM, erarbeitet wurde. In projektbezogen Vertiefungskursen erweiterten die Mitarbeiter ihr Wissen, so dass heute alle die Software nutzen können, um ihre Aufgaben selbst zu berechnen.
Gerhard Friederici Cadfem, Grafing bei München
Simulation zeigt, wann der Stift in der Schraube bricht

Über den Anwender
Schon seit 100 Jahren steht beim Familienunternehmen Ulrich Medical in Ulm die Medizintechnik im Mittelpunkt. Begonnen hat alles mit chirurgischen Instrumenten. Inzwischen hat das Unternehmen auch Spezialisten in drei weiteren Bereichen: bei Implantatsystemen für die Wirbelsäule, Blutsperregeräten und CT/MRT-Kontrastmittelinjektoren. Der Bereich Wirbelsäulensysteme entwickelt, produziert und vertreibt Implantate, die vorwiegend aus Titan gefertigt sind. Sie kommen bei Verletzungen und Erkrankungen der gesamten Wirbelsäule zum Einsatz.

Ihr Stichwort
  • Virtuelles Prüfverfahren für Cages
  • Belastungssimulation für Stab-Schraubensystem
  • Reduzieren des Durchmessers
  • Automatische Kalkulation der Abmessungen
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