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Die additive Fertigung, oft als 3D-Druck bezeichnet, gewinnt seit Jahren immer mehr an Bedeutung und Sichtbarkeit. Wurde die Technologie anfangs vor allem für optische Modelle und schnelle Prototypen genutzt, finden 3D-gedruckte Bauteile heute in vielen Bereichen Anwendung, einschließlich der Medizintechnik. Anwender können mittlerweile aus zahlreichen additiven Fertigungsverfahren und Materialien wählen. Bauteile lassen sich aus technischen Kunststoffen, hochfesten Metallen oder exotischen Werkstoffen – beispielsweise medizinischem Silikon und Zink – herstellen.
Allen additiven Fertigungsverfahren ist gemein, dass die Bauteile schichtweise durch Materialzugabe aufgebaut werden. Anders als bei vielen konventionellen Produktionstechnologien – zum Beispiel dem Drehen, Fräsen oder Erodieren – wird kein Material abgetragen, sondern gezielt hinzugefügt. Deshalb zeichnen sich die additiven Fertigungsverfahren durch eine hohe Gestaltungsfreiheit und Flexibilität aus.
Die Bauteile werden direkt aus den 3D-Daten des Konstrukteurs hergestellt und lassen sich individuell an den jeweiligen Anwendungsfall anpassen. In Kombination mit einer schnellen und wirtschaftlichen Produktion von geringen Stückzahlen macht diese Flexibilität die additive Fertigung insbesondere bei medizinischen Anwendungsfällen zum Mittel der Wahl. Die Bauteile können maßgeschneidert auf die Form und Bedürfnisse des Patienten adaptiert werden, was sich sowohl für ihn als auch für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte als vorteilhaft erweist.
Aufwendige und intensive Zertifizierungsprozesse
Beim Protiq Marketplace, betrieben von der namensgebenden Protiq GmbH, handelt es sich um eine Online-Plattform, die diese Vorteile für Anwender zugänglich macht und bündelt. Die Plattform legt ihren Fokus auf den industriellen 3D-Druck und stellt eine Schnittstelle für zahlreiche Dienstleister mit einer großen Bandbreite unterschiedlicher additiver Herstellungsprozesse und Materialien zu den entsprechenden Kunden dar. Hierbei werden die Ansprüche der Medizinbranche durch hohe Qualitätsanforderungen, Datensicherheit und maximale Transparenz adressiert. Als Tochtergesellschaft der Phoenix Contact GmbH & Co. KG ist Protiq ebenfalls mit einer eigenen Fertigung auf dem Marktplatz vertreten.
Die möglichen Anwendungen des 3D-Drucks in der Medizintechnik sind so breit wie das Feld der Humanmedizin selbst. Sie kommen am ebenso wie im Körper vor. Für den Einsatz im Körper muss selbstverständlich sichergestellt werden, dass die verwendeten Materialien den hohen medizinischen Ansprüchen und Standards entsprechen. Die für diesen Anwendungsbereich produzierenden Unternehmen durchlaufen aufwendige und intensive Zertifizierungsprozesse. Fertigungspartner, die eine solche Zertifizierung besitzen, werden auf dem Protiq Marketplace durch eine auswählbare Filterfunktion hervorgehoben und sind so einfach auffindbar.
Großer Anwendungsbereich in der Zahnmedizin
Bekannte Anwendungsbeispiele in der Medizintechnik finden sich bei individuellen Prothesen, die durch die Gestaltungsfreiheit des 3D-Drucks genau auf die Bedürfnisse des Patienten angepasst werden. Besonders in der Zahnmedizin sind additiv hergestellte Implantate und Zahnkronen bereits weit verbreitet. Als Fertigungspartner auf dem Protiq Marketplace sei hier beispielsweise die CADdent GmbH genannt. Das Unternehmen, das sich unter anderem dem 3D-Druck von biokompatiblem Titan und Cobalt-Chrom sowie der CNC-Bearbeitung von Keramiken verschrieben hat, weist eine langjährige Erfahrung in der Branche auf. Für die Herstellung von medizinischen Kunststoffkomponenten mit allen nötigen medizinischen Zertifizierungen bietet der niederländische Partner Oceanz B.V. auf dem Protiq Marketplace seine Dienstleistungen an.
Im Vergleich befindet sich das größere Anwendungsfeld der additiv gefertigten Bauteile weniger im Körper selbst, sondern eher bei unterstützenden Orthesen und medizinischen Hilfsprodukten. Diese liegen nur am Köper an und bedingen daher eine weniger strenge Zertifizierung. Im Dentalbereich stellen zum Beispiel additiv mit dem SLA- oder SLS-Verfahren hergestellte Zahnschienen eine verbreitete Anwendung dar. Diese kommen zum Einsatz, um Zahnfehlstellungen oder nächtliches Knirschen zu behandeln. Die 3D-gedruckten Schienen werden mithilfe patientenindividueller 3D-Scans der Zahnstellung gestaltet und angepasst. Die Materialien – beispielsweise der technische Kunststoff PA12 – und die Fertigungsprozesse von Protiq erfüllen in diesem Zusammenhang sämtliche Anforderungen für die zeitlich begrenzte Nutzung im Mundraum.
Additiv erstellte Schablonen für die Gesichtschirurgie
Additiv hergestellte Schnitt- und Bohrschablonen, sogenannte Cutting Guides, helfen bei einer schnellen und vollständig digitalen OP-Planung im Bereich der rekonstruierenden Gesichtschirurgie.
Muss wegen einer Tumorerkrankung oder eines Unfalls ein großer Teil des Kieferknochens entfernt werden, lässt sich dieser durch Teile des körpereigenen Wadenbeins – der Fibula – ersetzen. Die komplexe U-förmige Geometrie des Kiefers ist durch eine Segmentierung des Transplantats in mehrere Längen und Winkel rekonstruierbar. Die digital geplanten und im 3D-Druck gefertigten Cutting Guides zeigen die genauen Positionen der zu setzenden Schnitte, die Länge der zu hebenden Transplantate und den benötigten Schnittwinkel an, damit sich die Kieferform wie geplant wiederherstellen lässt.
Neuer Werkstoff ist formstabil und beständig gegenüber gängigen Sterilisationsmethoden
Die additiv generierten Schablonen können sterilisiert und als Medizinproduktklasse 1 für einen kurzzeitigen Wundkontakt zertifiziert werden.
Bis zum erfolgreichen Einheilen der transplantierten Segmente sind diese mit einer Titanplatte verschraubt und so in Position fixiert. Bei diesem Implantat handelt es sich in der Regel um ein Standardprodukt, das anhand einer 3D-gedruckten Hilfsgeometrie in Form gebogen wird. Alternativ lassen sich mittlerweile auch direkt 3D-gefertigte Titanimplantate verwenden, die schon digital auf den Patienten adaptiert werden können.
Maßgeschneiderte Orthesen in der Orthopädie
Ein eigens zu erwähnendes Anwendungsfeld für den 3D-Druck ist die Orthopädiebranche. Diese greift in ihrer Tätigkeit vermehrt auf Orthesen zurück und profitiert von der Anpassbarkeit der 3D-gefertigten Teile auf den individuellen Patienten. Als prominente Beispiele seien hier Schienen zur Fixierung sowie speziell adaptierte Helme oder Schuhleisten in der Orthopädieschuhtechnik genannt. Die Schienen, Helme und anderen Orthesen werden von den jeweiligen Orthopäden auf Basis der 3D-Scandaten des Patenten erzeugt. Abgesehen von der gesteigerten Passgenauigkeit lassen sich durch den 3D-Druck Funktionen wie eine verbesserte Belüftung und ein höherer Tragekomfort umsetzen. Darüber hinaus überzeugt die additive Fertigung durch ihre Geschwindigkeit und Flexibilität. Die Orthesen werden mithilfe des SLS- oder MJF-Verfahrens aus dem nicht-erdölbasierten Kunststoff PA11 hergestellt. Dieser technische Kunststoff weist eine gute Kombination aus Festigkeit und hoher Bruchdehnung auf.
Digitalisierung bei Ottobock: Vom 3D-Druck im Start-up zum Standard
Die Maßanfertigung orthopädischer Schuhe nimmt normalerweise mehrere Wochen in Anspruch. Ein entscheidender Zeitfaktor dabei ist die individuelle Herstellung der Leisten, die zur Fertigung der Schuhe eingesetzt werden. Dieser langwierige Vorgang lässt sich durch den 3D-Druck deutlich verkürzen. Dazu stellt Protiq auf seiner Online-Plattform einen kostenlosen Konfigurator für die Erstellung der 3D-Daten der individualisierten Leisten zur Verfügung. Auf diese Weise wird die sonst aufwendige Modellgenerierung direkt in den digitalen Bestellprozess integriert und der Leisten anschließend im SLS-Verfahren innerhalb weniger Tage aus dem technischem Kunststoff TPU hergestellt.
Vielfältiges Engagement in Forschungsprojekten
Ein Ausblick in die Zukunft lässt auf viele neue Innovationen im Bereich der medizinischen additiven Anwendungen hoffen. Die Technologie entwickelt sich im Eiltempo weiter. So ist Protiq bereits seit einigen Jahren in mehrere öffentliche Forschungsprojekte involviert, etwa zum Thema der additiv gefertigten Prothesen aus Zink. Das Metall gilt als gut vom Körper resorbierbar und könnte zur Verwendung von Implantaten genutzt werden. Diese baut der Körper nach der Heilung des Patienten auf natürliche Weise ab. Die Zukunft bleibt also spannend.
Max Wissing, Technologiemanager Additive Fertigung bei Protiq, Blomberg