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„Laser könnte das Skalpell ersetzen“

Laser in der Chirurgie: Wo haptisches Feedback fehlt, hilft optische Gewebeerkennung
„Laser könnte das Skalpell ersetzen“

Der Einsatz der Lasertechnik bietet Chirurgen viele Vorteile. Ihren größten Nachteil, den Mangel an haptischem Feedback, wollen Forscher nun ausgleichen. Dr. Florian Stelzle erläutert, wie das funktioniert – und was man sonst noch an Lasern verbessern könnte.

Herr Dr. Stelzle, welche Aufgaben übernimmt der Laser heute in der Chirurgie?

Wenn es darum geht, Gewebe sehr präzise zu schneiden, ersetzt der fokussierte Laser heute schon zum Teil das traditionelle Skalpell. Beispiele für solche Anwendungen wären eine Leberteilresektion oder auch das Entfernen eines Tumors an der Zunge. Ein anderes Einsatzfeld für den Laser ist der breite und flächige Abtrag von Gewebe an der Oberfläche, sei das in der Mundhöhle oder auch im Inneren des Darmes oder der Blase. Diesen Effekt erzielen wir mit einem defokussierten Laserstrahl, der das Gewebe schichtweise entfernt.
Was sind die Vorteile der Laser?
Das flächige Abtragen zum Beispiel ist etwas, was mit einem Skalpell aus mechanischen Gründen kaum zu erreichen ist. Bedingt durch seine Form, werden wir mit dem Skalpell immer nur im weitesten Sinne kegelförmige Schnitte ausführen können. Auch im Vergleich zu Verfahren, die man alternativ für flächigen Abtrag nutzen kann – wie die Kryotherapie oder das Koagulieren durch Hitze – kommt der Laser besser weg, da er seine Aufgabe präziser erfüllt. Und ein wirklich großer Pluspunkt ist die Tatsache, dass ich mit dem Laser je nach Wellenlänge und Energie unterschiedliche Effekte erzielen kann: Ich kann zum Beispiel wählen, ob ich beim Schneiden Gefäße verschließe – was beim Entfernen von Blutschwämmen von Vorteil ist – oder nicht.
Welche Grenzen und Nachteile hat der Lasereinsatz?
Der Laser arbeitet berührungslos. Das ist in fast jeder Hinsicht ein Vorteil und gibt uns viele Freiheiten – allerdings geht uns damit das haptische Feedback völlig verloren, und das ist ein wesentlicher Nachteil. Beim Einsatz des Skapells weiß und fühlt der Chirurg sehr genau, wo er schneidet und wo in etwa ein Nerv verläuft, den er schonen muss. Die unterschiedliche Struktur der Gewebe ist mit etwas Erfahrung deutlich zu spüren. Beim Laser fehlen diese Informationen völlig, sobald der Chirurg in der Tiefe arbeitet – weshalb die meisten Einsatzfälle für den Laser bisher an der Oberfläche des Gewebes liegen.
Welche Einsatzgebiete wären für den Laser denn noch interessant?
Von seinem Potenzial her ist der Laser geeignet, jedes Gewebe im Körper zu schneiden, selbst Knochen oder Zahnhartsubstanz. Auch damit ist er dem Skalpell überlegen. Sein Potenzial wird aber wegen des mangelnden haptischen Feedbacks bisher noch nicht ausgeschöpft. Dabei könnte der Laser eines Tages den Schritt zum universellen Einsatz vollziehen und das Skalpell vollständig ersetzen.
Sie beteiligen sich an der Entwicklung eines gewebespezifischen Lasers. Welchen Fortschritt erhoffen Sie sich davon?
Wir wollen das fehlende haptische Feedback durch ein technisches Feedback ersetzen. Dazu nutzen wir sowohl eine spektroskopische Analyse des reflektierten Lichtes auf dem frisch abgetragenen Gewebe, als auch die Analyse der Partikelwolke, die beim Abtrag entsteht. Wir arbeiten daran, Haut, Muskeln, Knochen und Nerven automatisch zu erkennen – und zwar in den kurzen Pausen, die der Laser zwischen den einzelnen Lichtpulsen lässt.
Sind die technischen Fragen für dieses Projekt schon beantwortet?
Nicht alle, auch wenn wir vieles schon geschafft haben. So können wir Gewebe identifizieren, sowohl im Modell ohne Blutfluss als auch im Tiermodell mit durchblutetem Gewebe. Das war schon ein wichtiger Schritt, da Blut das meiste Licht absorbiert. Auch wissen wir, dass wir die Veränderungen, die der Laser- strahl selbst am Gewebe verursacht, für das Feedback-System und die Gewebeerkennung vernachlässigen können. Die aktuellen Herausforderungen liegen in einer mathematischen Lösung, die uns eine ausreichend schnelle Analyse der spektroskopischen Ergebnisse ermöglicht. Für die Analyse stehen uns ja nur Zeitspannen im Mikrosekunden-Bereich zur Verfügung, und es gibt heute schon Laser, die mit noch kürzeren Pausen arbeiten als unser Laborsystem. Die Auswertung müssen wir also noch beschleunigen.
Warum ist das so wichtig?
Der Laser trägt mit jedem der in sehr kurzen Abständen aufeinander folgenden Pulse etwas Gewebe ab. Wenn wir sicher sein wollen, dass unser System dabei keine zu schonende Struktur angreift, muss es in der kurzen Pause die Analyse komplett vollziehen, das eventuelle Stopp- Signal der Steuerung ausführen und den Laser anhalten. Nur so kann der Chirurg den Abtrag oder den Schnitt auf den vorher von ihm ausgewählten Gewebetyp beschränken. Und nur so kommen wir dahin, dass das System eines Tages auch mit medizintechnischen Innovationen wie zum Beispiel der roboter-assistierten Chirurgie einsetzbar wird.
Wird sich das System für die minimal-invasive Chirurgie eignen?
Laser bestimmter Wellenlängen werden heute schon zum Beispiel für die Gefäßchirurgie genutzt. Flexible Lichtwellenleiter, die man wie Zange oder Schere in das Endoskop einkoppeln kann, sind die Voraussetzung dafür. Da wir optische Analysemethoden für das Feedback nutzen, wird es sich auch für endoskopische Eingriffe anwenden lassen. Die Lichtabschwächung im Lichtleiter beeinträchtigt die Funktion jedenfalls nicht.
Gibt es schon industrielle Partner?
Wir bewegen uns noch im Bereich der Grundlagenforschung und arbeiten intensiv mit dem Bayerischen Laserzentrum als unserem Projektpartner zusammen. Sobald wir uns der Prototyp-Phase nähern und es zum Beispiel um geeignete Handstücke und ähnliche Details geht, sind Fachleute aus der Medizintechnik als weitere Partner sicher willkommen.
Bis zur Marktreife werden Jahre vergehen. Was sollte man in der Zwischenzeit an bestehenden Lasersystemen verbessern?
Flexible und kleine Lichtwellenleiter und grazile Handstücke würden uns die Arbeit im OP erleichtern. Ein Handstück für die Dermatologie ist für den Einsatz in der Mundhöhle oft zu groß. Auch wenn ich den Lichtstrahl in eine andere Richtung lenken will, um zum Beispiel im rechten Winkel unter die Zunge zu kommen, kann ich das zwar tun – muss aber das Handstück zurückziehen und ein Winkelstück aufsetzen. Das ist umständlich. Und es gibt noch etwas, auch wenn das bei Ingenieuren wegen der technischen Anforderungen dahinter gewöhnlich für einen Aufschrei sorgt: Als Chirurgen hätten wir gern einen Laser, dessen Wellenlänge wir modifizieren können – und das bitte in einem Gerät integriert.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Dr. Florian Stelzle, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Uniklinkum Erlangen: www.mkg-chirurgie.uk-erlangen.de Zur Erlangen Graduate School in Advanced Optical Technologies (SAOT): www.aot.uni-erlangen.de/saot/home.html

Gewebespezifischer Laser
Haut, Muskeln, Nerven und selbst Knochen: Messerscharf und äußerst präzise kann der Chirurg bei einer Operation mit einem Laser jedes Gewebe durchtrennen, ohne den Patienten auch nur zu berühren. Wie tief der Laser in das Gewebe eindringt und was er zerschneidet, kann der Arzt allerdings nicht kontrollieren und muss daher häufig auf den Laser-Einsatz verzichten.
Ein interdisziplinäres Team aus Ärzten, Ingenieuren, Mathematikern und Physikern der Universität Erlangen-Nürnberg forscht aber im Projekt „Tissue specific laser surgery“ an einer Möglichkeit, den Laser besser zu steuern. Die Beteiligten wollen einen optischen Feedbackmechanismus entwickeln, der dem Arzt mitteilt, welche Gewebeschichten der Laser durchtrennt. Zwei optische Systeme sollen dafür bei einer Operation parallel arbeiten. Eines davon nutzt die kurzen Pausen, die beim Schneiden des Gewebes per Laser regelmäßig auftreten. In den Pausen stellt es anhand des diffus reflektierten Lichtes und der Fluoreszenz fest, welches Gewebe der Laser unmittelbar als nächstes durchtrennen wird. Das zweite optische System analysiert die beim Laserabtrag entstehende Plasma- und Partikelwolke, um zu erkennen, welches Gewebe gerade durchtrennt wurde. Diese Doppelstrategie soll sicherstellen, dass die Chirurgen umliegendes Gewebe nicht durch zu tiefe oder an falscher Stelle eingesetzte Laser-Schnitte irreparabel verletzen.
Beteiligt sind Wissenschaftler der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen und Wissenschaftler des Bayerischen Laserzentrums (BLZ) unter Leitung von Prof. Michael Schmidt. Die Partner kooperieren mit der Graduate School of Advanced Optical Technologies (SAOT) und dem Institut für Medizininformatik, Biometrie und Epidemiologie.

Ihr Stichwort
  • Laserchirurgie
  • Optisches Feedbacksystem
  • Kleinere Handstücke
  • Flexible Lichtwellenleiter
  • Wählbare Wellenlänge
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